Mutmaßlicher Täter in Berlin gefasst Brennpunkt Alexanderplatz - Messertod zwischen Bauzaun und Imbiss

Berlin · Ein junger Mann wird am Alexanderplatz in Berlin erstochen. Keine 24 Stunden später wird der Tatverdächtige geschnappt. Doch viele Fragen bleiben.

Das Tatopfer war am Sonntag nahe dem Berliner Alexanderplatz mitten am Tag erstochen worden.

Das Tatopfer war am Sonntag nahe dem Berliner Alexanderplatz mitten am Tag erstochen worden.

Foto: dpa, car hpl

An dem grauen Betonpfeiler klebt das Bild eines jungen Mannes mit einer Katze im Arm. Am Boden liegt ein Strauß mit Lilien. Die Blutflecken sind notdürftig mit Sand bedeckt. Nur ein paar Schritte vom Berliner Alexanderplatz entfernt bleiben am Montag nur wenige Menschen an der Stelle stehen, wo ein 30-Jähriger am helllichten Tag auf der Straße niedergestochen wurde und starb. Der mutmaßliche, 18-jährige Messerstecher wird knapp einen Tag nach der blutigen Tat vom Sonntag gefasst.

Er ist kein Unbekannter bei der Polizei, soll schon mit Gewalt- und Drogendelikten aufgefallen sein. Abgeschlossen ist mit seiner Festnahme nichts - die Diskussion um die Gewalt an dem unwirtlich wirkenden Platz mitten in Berlin beginnt nun von Neuem.

Eine Anwohnerin zeigt sich fassungslos: "Es ist mir unbegreiflich, wo diese Aggression herkommt - Alkohol, Drogen, schlechte Vorbilder?" Die 71-Jährige, die seit mehr als 40 Jahren in dem Hochhaus an der Karl-Liebknecht-Straße wohnt, findet nicht, dass die Polizei versagt hat. "Die Polizeistreifen hier fallen schon auf." Sie habe aber Angst um ihre Enkel. "Überall kann etwas passieren", sagt die Rentnerin inmitten der Tristesse von Bauzaun, Imbiss und Bushaltestelle.

Das Image des traditionsreichen Platzes, den Tausende jeden Tag passieren, an dem U- und S-Bahnen sowie Straßenbahnen halten, ist schon länger nicht das Beste. Immer wieder gibt es Schlägereien und Gewalttaten. In der Nähe wurde vor zwei Jahren der junge Berliner Jonny K. niedergeprügelt, als er einem Kumpel helfen wollte. Er starb, das bundesweite Entsetzen war groß. Die Schläger wurden verurteilt. Am Neptunbrunnen wurde im Vorjahr ein verwirrter Angreifer von der Polizei aus Notwehr erschossen.

Warum immer wieder am Alex? Das fragen sich viele besorgt. "Wo viele Menschen aufeinandertreffen, passiert einfach mehr. Das ist keine neue Gewaltstufe", sagt ein Polizist am Tatort. Überall könne ohne Vorwarnung verbaler Streit eskalieren. Polizeisprecher Stefan Redlich meint, die Polizei könne nicht jede Gewalttat verhindern.

Der mutmaßliche Täter vom Sonntag soll nach einem Discobesuch plötzlich auf den Älteren zugestürzt sein und ihn mit einem Messerstich in die Brust getötet haben, haben die Ermittler rekonstruiert. Ein Streit zwischen zwei Gruppen soll da schon beruhigt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft will einen Haftbefehl wegen Mordes beantragen. Der Anlass für die Tat sei nichtig gewesen.

Innensenator Frank Henkel (CDU) präsentiert neben Erleichterung über die schnelle Festnahme eine nüchterne Zahl: Die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen am Alexanderplatz habe 2013 gegenüber 2012 um 22 Prozent abgenommen. Trotzdem: "Der Alexanderplatz darf kein Angstraum werden."

Seit dem Tod von Jonny K. hat die Polizei eine mobile Wache eingerichtet und fährt mit einem "Direktionskommando" rings um den Platz, um den Leuten ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Die Schichten beginnen um 11.00 und enden um 21.00 Uhr. "Völlig ausreichend", findet das der 25-jährige Chef des Vierer-Teams am Montag. Ein Mann von der Stadtreinigung in orangener Arbeitskluft erzählt dagegen, er habe in den frühen Morgenstunden, wenn die Partygänger aus den Discos nach Hause wanken, noch nie eine Streife gesehen.

Oktober 2012: Berliner Trauerfeier für Jonny K.
7 Bilder

Oktober 2012: Berliner Trauerfeier für Jonny K.

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Touristen, ältere Männer im Schmuddel-Look, Einkäufer mit dicken Discounter-Tüten, Pfandflaschensucher oder Pflastermaler bevölkern die karge Fläche mit Brunnen und Weltzeituhr. Der Opferbeauftragte des Landes Berlin, Roland Weber, findet, dass Areal müsse umgestaltet werden. Hochwertigere Geschäfte und Gastronomie würden ein anderes Publikum anziehen. Derzeit sei es aber so: "Jede schlechte Nachricht über den Alex führt weiter abwärts."

Der Berliner SPD-Landeschef Jan Stöß fordert eine "Kombiwache" von Bundes- und Landespolizei sowie Ordnungsamt, um die Kräfte zu bündeln. Gegen trostlose Bereiche müsse mehr getan werden, weil sie sonst Enthemmung und Kriminalität begünstigten.

Das weist der Innensenator umgehend zurück, weil eine solche Wache mehr Bürokratie nach sich ziehe. Henkel sagt, die Polizei könne trotz zusätzlichen Personals und erhöhter Sicherheitsmaßnahmen nicht alles regeln, was auf dem Platz an Trunkenheit, sozialen Spannungen und Vernachlässigung aufeinanderpralle.

Berlin Alexanderplatz - Schauplatz der Gewalt
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Der neue Todesfall wühlt auch die Schwester des getöteten Jonny K. auf. "Sobald ich höre, dass irgendwo eine grundlose Gewalttat passiert ist, denke ich natürlich sofort an meinen Bruder." Es zeige ihr, dass noch immer zu wenige Menschen aktiv gegen Gewalt vorgingen.

(dpa)
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