Nach bundesweiter Studie Antibiotika im Hühnerstall - was das bedeutet

Düsseldorf (RP). Eine bundesweite Studie des NRW-Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz hat ergeben, dass in der Geflügelmast hierzulande vermutlich viel zu viele Antibiotika zum Einsatz kommen. Der Verbraucher fragt sich, warum die Lebensmittelindustrie diese Medikamente überhaupt zum Einsatz bringt und was dies letzten Endes für den Menschen bedeutet. Hier die wichtigsten Fakten.

Das sollten Sie über Antibiotika wissen
Infos

Das sollten Sie über Antibiotika wissen

Infos
Foto: dpa, Federico Gambarini

Welche Bedeutung spielt die Hähnchenmast in der Agrarwirtschaft?

Pro Jahr stehen in Deutschland den knapp 30 Millionen Legehennen mehr als 600 Millionen sogenannte Broiler zur Fleischproduktion gegenüber. Denn der Bedarf ist groß: Der Bundesbürger verzehrt pro Jahr knapp elf Kilogramm Hähnchenfleisch, und die deutsche Geflügelindustrie exportiert auch noch ins Ausland. Nach einigen Umsatzdellen infolge von Vogelgrippe und anderen Krisen zeigt der Trend auch weiterhin deutlich nach oben. "Die Hähnchenmast in Deutschland erlebt derzeit eine enorme Nachfrage", erklärt die Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Und eine steigende Nachfrage erfordert Maßnahmen zur Steigerung der Produktion.

Unter welchen Bedingungen leben die Tiere?

Kein Tier ist biologisch so ausgereizt wie das Huhn. Zwischen 1935 und 1995 stieg das Durchschnittsgewicht eines Masthuhns um 65 Prozent, während seine Lebensdauer um 60 Prozent sank. Das Prinzip lautet also: möglichst viel Fleisch in möglichst kurzer Zeit. Vor 50 Jahren brauchte ein Huhn zwei Monate, um mit gut einem Kilogramm Gewicht geschlachtet zu werden. Heute frisst es sich in Riesenställen — zusammen mit Tausenden anderer Tiere — in etwa 35 Tagen 1,6 Kilogramm an.

Wozu dienen Antibiotika in der Hühnermast?

Durch das Zusammenleben der Tiere auf engstem Raum steigt das Risiko für Infektionen, die dann per Antibiotika bekämpft werden. Darüber hinaus beschleunigen und fördern diese Medikamente aber auch das Wachstum, indem sie in den natürlichen Bakterienbestand des Darms eingreifen: besonders "gefräßige" Mikroben werden eliminiert, eher bescheidene und kooperative Stämme, wie etwa Milchsäurebakterien, werden gefördert. Das Huhn muss sich also seine Nährstoffe mit weniger mikrobiologischen Mitbewohnern teilen als zuvor, so dass es sein eigenes Wachstum besser "unterfüttern" kann. Außerdem wird es weniger mit Stoffwechselprodukten der im Darm lebenden Mikroben wie beispielsweise Ammoniak belastet. In der Folge verdünnt sich die Darmwand, die dadurch wiederum mehr Nährstoffe aufnehmen kann. Insgesamt also können Antibiotika in der Geflügelmast dafür sorgen, dass die Tiere die Nahrung besser für ihr Wachstum verwerten können.

Welche Antibiotika kommen zum Einsatz?

Ein weites Spektrum von Penicillin über Sulfonamide bis zu Neomycin, das in der Humanmedizin bei Wunden und Harnwegsinfekten zum Einsatz kommt.

Wie werden Antibiotika in der Geflügelmast angewendet?

Die Anwendung erfolgt über Beimischungen ins Trinkwasser und ins Futter. "Dies ist jedoch problematisch in punkto Einhaltung therapeutischer Dosierungen", erklärt Angelika Richter vom Fachbereich Veterinärmedizin der FU Berlin. Die Medikamente kommen also in stark schwankenden Mengen zum Einsatz.

Welche Folgen hat der Einsatz von Antibiotika in der Geflügelmast für den Menschen?

Antibiotika in stark schwankenden und oft — aus Sicht der Infektionsbekämpfung — unterdosierten Mengen wirken auf Bakterien wie ein Trainingsreiz. Es bilden sich resistente Stämme aus, die auch dem Menschen gefährlich werden können und gegen die viele Antibiotika keine Chance mehr haben. Eine Untersuchung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) fand Anfang 2011 in über 42 Prozent der Putenfleisch- und 22,3 Prozent der Hühnerfleischproben multiresistente Bakterienstämme.

Sind Antibiotika in der Geflügelmast überhaupt erlaubt?

Die Europäische Union untersagte 2006, Antibiotika weiterhin als Wachstumsförderer einzusetzen. Doch die neue Studie gibt deutliche Hinweise darauf, dass viele Betriebe wohl noch immer daran festhalten. Das Problem: Anders als in der Schweine- und Rindermast wird der Arzneimittelgebrauch in der Geflügelmast nur relativ unpräzise erfasst.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort