Interview mit Manfred Deselaers "Auschwitz ist als Ort des Dialoges wichtig — und wird es immer sein"

Düsseldorf · Manfred Deselaers (59) lebt seit fast 25 Jahren in Auschwitz, vorher war er Kaplan in Mönchengladbach. In Polen arbeitet er im "Zentrum für Dialog und Gebet in Oswiecim", einem katholischen Gästehaus am Rande des Ortes. Der gebürtige Düsseldorfer predigt Versöhnung in polnischen Dörfern, die die Nazis niedergebrannt haben, und zählt einige Holocaust-Überlebende zu seinen Freunden.

Herr Deselaers, was verbinden die meisten Ihrer Meinung nach mit dem Begriff Auschwitz?

Deselaers Wer an Deutschland denkt, denkt an das Oktoberfest und an Auschwitz. Für viele ist dieser Ort ein Begriff wie Volkswagen, McDonalds oder Coca Cola geworden. Auschwitz steht weltweit für etwas. Für eine Katastrophe. Und für den Ausruf: Nie wieder!

Auschwitz 70 Jahre nach der Befreiung
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Auschwitz: Bilder vom Ort des Verbrechens

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Foto: RP/Sebastian Fuhrmann

Wie wichtig sind Zeitzeugengespräche, um den Holocaust zu begreifen?

Deselaers In erster Linie sind diese Gespräche wichtig für den Zeitzeugen selbst. Er will von den Leiden erzählen, die er durchlebt hat. Wenn er seine Geschichte erzählt, wird er ernst genommen; erfährt er, dass man ihm zuhört. Das war im Nationalsozialismus anders. Damals waren Juden, Polen und andere Dreck und mussten weg. Die Überlebenden des Holocaust haben jetzt wieder einen Platz in der Welt, sogar bei den Deutschen. Für die deutschen Jugendlichen ist es wichtig, diese Geschichten zu hören und zu merken: Der Zeitzeuge hasst uns ja gar nicht, sondern will mit uns befreundet sein. Das ist das Entscheidende bei den Zeitzeugenbegegnungen.

Auschwitz - Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung
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Auschwitz - Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung

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Aber schon bald wird es keine Zeitzeugen mehr geben. Was bedeutet das für die Erinnerungskultur, ganz konkret in Auschwitz?

Deselaers Sie wird sich verlagern von dem Gedanken "Ich muss gesehen haben, wo mein Opa war" zu der Aussage "Ich muss nach Auschwitz, um etwas zu lernen". Der persönliche Familienbezug wird immer mehr abnehmen, der pädagogische Auftrag wird zunehmen. Aber die Erinnerung wird durch die Begegnung der verschiedenen Gruppen lebendig bleiben. Die Zeitzeugen werden nicht mehr da sein, aber ihre Nachkommen und Völker, für die die Erinnerung eine wichtige Rolle spielt, bleiben.

Diese Menschen leben in der "Straße der Überlebenden" in Haifa
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Diese Menschen leben in der "Straße der Überlebenden" in Haifa

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Foto: afp, mk/mcp/BLA

Ist der weltweite Dialog heute wichtiger denn je?

Deselears Die Erinnerung an Auschwitz wirft die Frage auf: Wie können wir uns vertrauen? Dieses Vertrauen kann man nicht einfordern. Deshalb müssen Menschen sich begegnen und miteinander sprechen. Unsere Identitäten müssen an den Begegnungen und Dialogen miteinander wachsen. Wenn man Herzen ändern will, muss man Herzen begegnen. Deshalb ist ein Erinnerungsort wie Auschwitz als Ort des Dialoges so wichtig. Und wird es immer sein.

Jasmin Buck stellte die Fragen.

(jam)
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