Oberlandesgericht München Gutachter hält NSU-Angeklagte Zschäpe für voll schuldfähig

München · Seine Einschätzung hat Folgen für den Fall einer Verurteilung: Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess Zschäpe soll laut psychiatrischem Gutachten voll schuldfähig sein. Der Gutachter liefert ein umfassendes Persönlichkeitsprofil.

 Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess Beate Zschäpe.

Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess Beate Zschäpe.

Foto: afp

Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe ist nach Einschätzung des psychiatrischen Gutachters im NSU-Prozess schuldfähig und möglicherweise immer noch gefährlich. Der Sachverständige Henning Saß sagte am Mittwoch vor dem Münchner Oberlandesgericht, er sehe bei der Angeklagten keine psychischen Störungen "mit Auswirkungen auf die Verantwortlichkeit".

Feststellbar seien zwar Anzeichen für "Dissozialität". Diese reichten für den Befund einer psychopathischen Persönlichkeitsstruktur aber nicht aus, ebenso wenig wie die intensiven politisch-ideologischen Überzeugungen Zschäpes.

Saß weckte in seinem Gutachten auch Zweifel an Zschäpes mehrfachen Erklärungen während des Prozesses, sie habe nie vorab von den Morden ihrer beiden Partner Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erfahren und sich während der fast 14 Jahre dauernden Zeit im Untergrund nur widerwillig untergeordnet.

Dagegen sprächen die Aussagen zahlreicher Zeugen. Die hätten Zschäpe zwar als "freundlich" oder "aufgeschlossen" beschrieben, ebenso aber auch als "selbstbewusst", in einer "gleichberechtigten Position in der Dreiergruppe, politisch interessiert und in der Lage, ihre Meinung zu vertreten". Zschäpe sei durchweg als "energisches, wehrhaftes und anerkanntes Mitglied in der rechtsextremen Szene" beschrieben worden.

Der Gutachter berief sich auch auf einen Brief, den Zschäpe an einen in Dortmund inhaftierten Neonazi geschrieben hatte. Darin präsentiere sie sich als "selbstbewusst, autark, stolz, unbeugsam". In dem Brief seien "Tendenzen zu Dominanz, Härte, Durchsetzungsfähigkeit und Diskussionsfreude" zu erkennen. Der Brief widerspreche Zschäpes Selbstdarstellung von "einer schwachen, abhängigen, fremdbestimmten, sich resignierend unterordnenden Person".

Saß hatte außerdem den Auftrag, die Gefährlichkeit Zschäpes zu beurteilen. Seine Einschätzung kann eine Rolle bei der Frage spielen, ob das Gericht über Zschäpe zusätzlich zu einer möglichen Haftstrafe auch Sicherungsverwahrung verhängt.

Saß sagte, auch ohne ihre beiden Partner Mundlos und Böhnhardt sei es möglich, dass bei Zschäpe künftig ein "hohes Risiko von Handlungen gleicher Richtung und Art" bestehe. Das gelte dann, wenn ihre Rolle innerhalb des "Nationalsozialistischen Untergrunds" in der Anklageschrift zutreffend beschrieben sei und Zschäpes eigene Darstellung, sie habe sich nur widerwillig ihren beiden Kameraden untergeordnet, nicht stimme.

Aus Zeugenaussagen und Dokumenten schließe er auch, dass Zschäpe "die Fähigkeit zum Einnehmen von Aliasrollen weitgehend perfektioniert hat". Als Beispiele nannte er ihr Verhalten gegenüber Nachbarn und Urlaubsbekanntschaften und bescheinigte ihr "Disziplin, Raffinesse" und "extrem hohe Fähigkeit zu Camouflage".

Saß hatten seinen am Dienstag begonnenen Vortrag erst am Mittwochmittag fortsetzen können, weil Zschäpes Verteidiger am Morgen erneut intervenierten.

Zschäpe ist wegen Mittäterschaft an den zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" angeklagt. Das Motiv für fast alle Taten war nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft Rassenhass.

Zuvor hatte die Verteidigung von Beate Zschäpe den psychiatrischen Gutachter Henning Saß abgelehnt. Da Saß nicht mit Zschäpe reden konnte, erfülle sein Gutachten nicht einmal die formellen Mindestanforderungen, sagte Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer im Dezember 2016 vor dem Oberlandesgericht (OLG) München und beantragte einen Verzicht auf die Verwertung der Expertise. Das Gericht hatte die Abberufung des psychiatrischen Gutachters Henning Saß abgelehnt.

(klik/dpa)
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