Pro und Contra Bundesjugendspiele abschaffen?

Düsseldorf · Eine Mutter aus Konstanz hat im Internet dazu aufgerufen, den mehr als 60 Jahre alten Schulsport-Wettkampf abzuschaffen. Ihr Kind hatte nur eine Teilnehmerurkunde bekommen und deshalb geweint.

Petition gegen Bundesjugendspiele: Das sind die Reaktionen
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Petition gegen Bundesjugendspiele: Das sind die Reaktionen

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Foto: Jürgen Moll

Ja — sagt Horst Thoren

 Horst Thoren ist stellvertretender Chefredakteur der Rheinischen Post.

Horst Thoren ist stellvertretender Chefredakteur der Rheinischen Post.

Foto: Phil Ninh

Bundesjugendspiele sind Bühne und Pranger zugleich. Die Sportelite nutzt den Schulwettbewerb zum Schaulaufen, kann sich dabei bestens präsentieren und sogar Urkunden einheimsen. Die sportlich weniger Begabten dagegen können nur darauf hoffen, bloß nicht aufzufallen. Ihnen droht das öffentliche Versagen und damit der Spott der Mitschüler und Lehrer. Zitat aus meiner Schulzeit: "Da laufen ja selbst die Mädchen schneller!" Das hat mich damals arg getroffen. Dabei störte weniger der Vergleich mit den Mädchen, sondern vor allem die mangelnde Wertschätzung meiner Bemühung: Anstrengung mit Bauch und Brille!

Nun darf es natürlich nicht so sein, dass sich die Müden und Dicklichen vom Sport befreien lassen. Bewegung tut gut. Auch können und sollen sportliche Wettbewerbe ein Anreiz sein, eigene Stärken zu erproben und sich und seine Leistungsfähigkeit zu beweisen

Die Bundesjugendspiele aber setzen auf ein überkommenes, diskriminierendes Konzept. Hier gilt nicht das olympische Prinzip: "Dabei sein ist alles!" Hier geht es nur um die öffentliche Darstellung von Bestleistung. An sich nicht schlimm, wenn tatsächlich die Besten der Besten gegeneinander anträten; und zwar freiwillig.

Zu diesem Wettbewerb aber müssen alle Schüler; wenn sie sich denn nicht mit oder ohne Attest drücken. Allein die Zwangsverpflichtung macht die Teilnahme für manchen zur Qual: Vom angestrebten Gemeinschaftserlebnis bleibt nur der Gruppenzwang. Zwangsverpflichtete aber bilden selten eine Einheit.

Der Wettbewerb ist auch kein Training, bietet also kaum eine Möglichkeit seine eigenen Fähigkeiten zu verbessern und Neues zu erlenen. Hier geht es einzig und allein um das Vorführen von Leistung (oder eben Nicht-Leistung). Sportliche "Versager" werden diskriminiert, gehen geknickt nach Hause. Es fließen Schweiß und viele, viele Tränen.

Ein Anreiz, in Zukunft mehr Sport zu treiben, ist dieser Spott-Wettbewerb sicherlich nicht. Spaß geht anders. Das Konzept entstammt den 1920er Jahren. Es ist verstaubt, überkommen und hat rein gar nichts mit einer heute zeitgemäßen Pädagogik zu tun, in der das gedeihliche Miteinander im Vordergrund steht.

Kein Wunder, dass viele Schüler die Bundesjugendspiele als Horror empfinden. Mir ging es ebenso. Wie sehr habe ich die Schulkameraden beneidet, die mit einer Ehrenurkunde heimwärts zogen. Teilnehmerurkunden, wie sie später eingeführt wurden und bis heute jedem verliehen werden, sind nicht einmal ein Trostpreis. Sie sind nichts anderes als ein beschönigender Ausweis des Scheiterns. Sie gehören ins Altpapier. Und die Bundesjugendspiele sind ein Fall für die Müllkippe des Schulwesens.

Nein — sagt Martin Beils

 Martin Beils ist Sportredakteur der Rheinischen Post.

Martin Beils ist Sportredakteur der Rheinischen Post.

Foto: Phil Ninh

Die Bundesjugendspiele müssen bleiben. Schon weil das Wort so herrlich nach einer Mischung aus Bundesliga und Olympischen Spielen klingt. Es lohnt sich, diese Tradition zu pflegen, die zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehört. Denn nicht viele solcher Erfahrungen können Oma und Opa, Mutter und Vater generationenübergreifend mit den Kindern von heute teilen.

Der Weitsprung war in den 1950ern schon das, was er heute ist: ein fairer Wettkampf (wenn das Maßband nicht in Schlangenlinien gelegt wurde), nach dem man den Sand kaum aus der Unterhose heraus bekam. Und Großvaters historischer Ballwurf von 52 Metern nötigt dem Nachwuchs heute noch Respekt ab ("Boah! Über den halben Sportplatz?").

Vieles, was mit Leistung, mit Sich-auch-mal-quälen zu tun hat, wird heute aber scheel angeguckt. Vermutlich wird die Konstanzer Anti-Bundesjugendspiele-Petition von Eltern getragen, die den lieben Kleinen geschälte Apfelstückchen in Tupperdosen mit in die Schule geben, anstatt ihnen abzuverlangen, kraftvoll in einen ganzen Apfel zu beißen. Und die ihnen homöopathische Kügelchen zur Schmerzlinderung und Blaue-Flecken-Vermeidung verabreichen, sobald sie sich an einer Tischkante stoßen. Diese Art der Überbetüddelung und der damit einhergehenden permanenten Unterforderung ist ebenso schädlich wie die allenthalben beklagte Überforderung von Kindern und Jugendlichen. Mindestens ebenso schädlich.

Kinder lieben Wettkämpfe. Wettrennen liegt in ihrer Natur. Beim Memory zocken sie mit Wonne die Erwachsenen ab. Mathe-Olympiaden und Musikwettbewerbe finden übrigens große Akzeptanz. Mancher wird nun einwenden, dass die Teilnahme an genannten Wettkämpfen freiwillig ist, während die Bundesjugendspiele Pflicht sind. Stimmt. Aber gerade die Tatsache, dass alle Schüler teilnehmen, macht sie zum Gemeinschaftserlebnis.

Gute Sportlehrer — von denen gibt es übrigens sehr viele — bereiten ihre Schüler gründlich und gewissenhaft auf das Sportfest vor. Sie sorgen dafür, dass jeder sein Leistungsvermögen kennt, dass er seine athletischen Grenzen austestet und das Ergebnis bei den Bundesjugendspielen richtig einordnet. Jeder ist dort ein Sieger, der sich selbst übertrifft. Die Ehren- oder Siegerurkunde ist nur schmückendes Beiwerk. Gute Lehrer bekommen es hin, dass die schwächeren Sportler in ihrer Klasse nicht gehänselt werden, sondern dass die besseren Läufer, Werfer und Springer sie anfeuern, weil sie ihr Bestes geben.

Andererseits sind auf dem Sportplatz dann und wann die besonders gut, die ansonsten in der Schule selten Erfolge haben. Eine Ehrenurkunde wiegt auch mal die Fünfminus in Französisch auf.

(RP)
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