Kopftuchverbot für Lehrerinnen Ein schleierhaftes Urteil

Meinung | Düsseldorf · Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass ein generelles gesetzliches Kopftuchverbot für Lehrerinnen mit der in der Verfassung verankerten Religionsfreiheit nicht vereinbar sei. Vieles an diesem Urteil mutet komisch an.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat das generelle Kopftuch-Verbot gekippt.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat das generelle Kopftuch-Verbot gekippt.

Foto: dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat das pauschale Kopftuchverbot gekippt. Muslimische Lehrerinnen dürfen die verhüllende Kopfbedeckung jetzt wieder tragen, solange es den Schulfrieden nicht stört. Die Richter in Karlsruhe sehen das Recht auf Religionsausübung verletzt, wenn Frauen gezwungen werden, im Unterricht auf das Kopftuch zu verzichten. Doch dieses Recht ist damit nicht verletzt. Denn die Richter unterscheiden nicht zwischen der grundsätzlichen Möglichkeit, die eigene Religion zu leben, und dem Recht, das in allen Lebenslagen zu tun.

Ein Beispiel: Es ist niemandem verboten, fünf Mal am Tag zu einer genauen Uhrzeit in Richtung Mekka zu beten. Das ist der Grundsatz der freien Religionsausübung. Wer aber auf dem Bau Schicht arbeitet oder in einem Hospital Kranke versorgt, der wird diese Vorschrift nicht erfüllen können. Trotzdem ist die Glaubensfreiheit davon nicht berührt. Gerade der Islam sieht in solchen Fällen Ausnahmen von der Gebetspflicht vor.

Genauso verhält es sich mit dem Kopftuch, das nicht einmal zwingende Vorschrift für Musliminnen ist. Im Schulunterricht wirkt ein Kopftuch als sehr deutliches Zeichen einer bestimmten Religion. Da Lehrer in der Regel Autorität ausstrahlen, ist mit dem Tragen des Kopftuchs auch eine Botschaft verbunden: Der Islam gehört in weltanschaulich neutrale Schulen. Es mutet schon komisch an, dass der gleiche Senat des Bundesverfassungsgerichts, der 1995 die Kruzifixe aus den Klassenzimmern verbannt hat, nun das Kopftuch wieder erlaubt — zumindest in Einzelfällen.

Der Staat hat sich bei seinen hoheitlichen Aufgaben weltanschaulich neutral zu verhalten. Er kann — wie es in Deutschland üblich ist — die Religionsausübung fördern, etwa durch konfessionelle Schulen, Wohlfahrtseinrichtungen, Kindergärten oder Krankenhäuser. Aber es ist schon schwer vorstellbar, dass etwa eine Richterin mit Kopftuch Strafurteile fällt, dass verschleierte Polizistinnen Bußgelder verhängen. Und wo hört das Recht auf freie Religionsausübung auf? Etwa bei der Burka? Und mit welchem Grund?

Der Artikel vier des Grundgesetzes, der die Glaubensfreiheit schützt, ist ein hohes Gut. Aus dem Recht auf freie Religionsausübung sind die Meinungsfreiheit, ja sogar die Menschenrechte und die Demokratie entstanden. Aber Glaubensfreiheit heißt, dass jeder frei ist, seine Religion zu leben. Es steht nirgends geschrieben, dass sich dieser Freiheit alle anderen Rechte und Pflichten unterordnen müssen, dass sich also das öffentliche Leben nach den religiösen Bedürfnissen der Bürger richten muss, dass insbesondere der Staat das bei seinen hoheitlichen Aufgaben zu berücksichtigen hat. Offenbar wollten die Richter einen Beitrag zur Integration von Musliminnen leisten.

Das ist aber nicht ihre vordringliche Aufgabe. Sie müssen die weltanschauliche Neutralität und die Gleichheit aller Bekenntnisse herstellen. Wenn sie hingegen im Kopftuchverbot sogar eine Bevorzugung der christlichen Religion sehen, ist das schwer nachvollziehbar. Wo bitte unterrichten noch Nonnen, Mönche oder Pastoren im Talar an deutschen Schulen? Auch in dieser Argumentation bleibt das Urteil schleierhaft. Dass es bei eher laizistisch veranlagten Kultusministern so viel Beifall findet, verwundert schon.

(kes)
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