Ein Besuch in der JVA Bielefeld-Senne Das größte Gefängnis Deutschlands

Düsseldorf (RP). 1721 Haftplätze, 430 Mitarbeiter, 18 Standorte: Die JVA Bielefeld-Senne ist der bisher konsequenteste Versuch des Landesjustizministeriums, in NRW optimale Haftbedingungen zu schaffen. Und eine riesige Herausforderung, sagt Anstaltsleiter Uwe Nelle-Cornelsen. Ein Besuch.

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Foto: DDP

Überpünktliche Gäste kann Uwe Nelle-Cornelsen nicht brauchen. Seine Zeitfenster seien bis zur letzten Minute verplant, sagt der 46-Jährige, bevor er schließlich doch in sein Büro bittet. Ein spartanisch möblierter Raum. Auch für Einrichtungsfragen war kaum Zeit, seit er im vergangenen September hier eingezogen ist.

Funktionale Schaltzentrale eines Großunternehmens

Der Raum, früher Zentrum einer Lungenheilstätte 20 Minuten außerhalb Bielefelds, sieht nach dem aus, was er ist: funktionale Schaltzentrale eines Großunternehmens. Von hier aus managt Nelle-Cornelsen 2151 Menschen, verteilt über ein 5000 Quadratkilometer großes Gelände, das von Hamm bis zum Teutoburger Wald und vom Münsterland bis Paderborn reicht. Der Jurist leitet den größten offenen Vollzug Europas.

Die jetzt vollzogene Fusion der Bielefelder Haftanstalten Senne und Brackwede II zur 430-Mitarbeiter-Anstalt für bis zu 1721 Gefangene ist der bisher konsequenteste Versuch des Landesjustizministeriums, die Haftbedingungen in NRW zu verbessern. "Weniger Verwaltung, weniger Außenbewachung, dafür mehr Personal in der Behandlung", beschreibt ein Ministeriumssprecher das Ziel aktueller Um- und Ausbauarbeiten der JVAs im Land. 1992 Haftplätze sind derzeit im Bau. In absehbarer Zeit seien zwar keine weiteren Fusionen geplant. Langfristig würden möglicherweise aber auch die geschlossenen JVAs in Hagen und Dortmund zusammengelegt.

Fünf Mitarbeiter sollen gehen

"Ich selbst bin das beste Beispiel für Einsparmöglichkeiten", sagt Anstaltsleiter Nelle-Cornelsen. Zehn Autominuten von der Zentrale entfernt führt er durch den Standort Brackwede II. Hier war er vor der Fusion Chef, einen Nachfolger gibt es nicht. Mindestens fünf Mitarbeiter sollen noch ausscheiden oder anders eingesetzt werden: "Manpower umschichten, Abläufe ändern, Haftbedingungen optimieren", erklärt Nelle-Cornelsen.

"In vielen Außenstellen kam früher zum Beispiel nur einmal pro Woche ein Arzt vorbei. Für aufwendigere Behandlungen mussten Betten in Kliniken bezahlt werden, einschließlich Bewachung." Die zwölf Krankenbetten mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung in Brackwede II stehen nun Häftlingen aller Häuser zur Verfügung. Gleiches gilt für die Therapien, die den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben vorbereiten.

Diese Resozialisierung ist nicht nur wichtigstes Ziel, sondern auch wirtschaftliche Grundlage des offenen Vollzugs. In wenigen JVAs wird das so deutlich wie in Bielefeld. 90 bis 95 Prozent der ehemaligen Schwerverbrecher, Kleinkriminellen und Ersatzstrafenverweigerer arbeiten in hauseigenen Werkstätten oder in umliegenden Unternehmen. Mit dem Verkauf von Produkten und Arbeitsleistung nimmt die JVA pro Jahr zehn Millionen Euro ein — und bestreitet damit etwa 55 Prozent ihrer Kosten selbst. "Damit ist Bielefeld ganz weit vorn in NRW", lobt das Ministerium.

Auch in Bielefeld-Senne gibt es Zwischenfälle

Nicht nur der engen Kontakte zu den Arbeitgebern der Region wegen ist die Verteilung auf 18 Standorte hilfreich, sagt Nelle-Cornelsen. "Die dezentrale Struktur macht eine JVA dieser Größe erst regierbar", meint er, angesprochen auf die vielen Zwischenfälle in anderen Haftanstalten in den vergangenen Monaten. Auch bei ihm gab es Vorfälle, räumt er ein. Seit seinem Dienstantritt hat ein Gefangener während seines Urlaubs eine kleine Straftat begangen. Und dann war da der "Knast-Romeo", der nachts in die JVA einbrach, um seine dort inhaftierte Freundin zu sehen.

"Aber so bitter es klingt", meint Nelle-Cornelsen auf dem Weg zurück zur Zentrale: "Wenn wir im Jahr 126 000 Lockerungen machen und zweimal im Jahr etwas passiert, ist das statistisch gesehen nicht viel." Die meisten Entscheidungen über Therapien und Verlegungen übernehmen Abteilungsleiter. Der Chef selbst betreut nur 70 Härte- und Einzelfälle. "Natürlich brauche ich Mitarbeiter, denen ich voll vertraue, bei denen ich weiß: Alle Entscheidungen wurden sauber getroffen", sagt er, zurück in seinem Büro, wo der nächste Termin wartet. "Aber wir beherbergen hier eine ganze Kleinstadt — da kann man nie sagen: Hier passiert nichts."

(RP)
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