Stellungnahme zur Sterbehilfe Der Ethikrat lehnt die ärztliche Suizidhilfe ab

Berlin · Der Deutsche Ethikrat hat sich in die Debatte um Sterbehilfe eingeschaltet und sich im Grundsatz gegen eine ärztlich assistierte Selbsttötung ausgesprochen.

Fakten zur Sterbehilfe in Deutschland
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Foto: ddp

In einer am Freitag veröffentlichten Stellungnahme empfiehlt das Gremium, das Strafrecht nicht grundsätzlich zu ändern. Eine Mehrheit des Ethikrates lehne auch eine gesetzliche Regelung etwa der ärztlichen Suizidbeihilfe ab. Damit stellt er sich gegen die Position einer Gruppe von Koalitionsabgeordneten um Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU)
und die SPD-Fraktionsvize Carola Reimann. Sie wollen einen ärztlich assistierten Suizid gesetzlich regeln, um dem Arzt mehr Rechtssicherheit zu geben. Der Bundestag will im Februar erstmals über die dann vorliegenden Gesetzentwürfe debattieren. In der zweiten Jahreshälfte soll dann eine Neuregelung verabschiedet werden.

In der Stellungnahme des Ethikrates heißt es, zwar sei die ärztliche Suizidbeihilfe keine Aufgabe des Arztes - wie die Bundesärztekammer immer wieder festhält. In Ausnahmesituationen aber müssten Gewissensentscheidungen (eines Arztes) in einem "vertrauensvollen Arzt-Patient-Verhältnis" respektiert werden - auch wenn sie im Widerspruch zu diesem Grundsatz stünden. Und diese Position sollten die Ärztekammern "einheitlich zum Ausdruck bringen".

Hintze und Reimann sehen nun in der Stellungnahme des Ethikrates, in dem unter anderem Juristen, Theologen und Ethiker sitzen, eine Stärkung der Gewissensfreiheit der Mediziner. Der CDU-Politiker und die SPD-Fraktionsvize sagten am Freitag der Deutschen Presse-Agentur: "In für sie ausweglosen Situationen müssen todkranke Menschen das Recht haben, den Arzt um Suizidassistenz zu bitten. Es bleibt die freie Gewissensentscheidung des Arztes, ob er diesem Wunsch folgen will."

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte: "Hintze und Reimann verbiegen die Empfehlungen des Ethikrates zu ihren Gunsten." Die Mehrheit des Gremiums lehne ein Recht auf ärztlich assistierten Suizid ab.

Thomas Sitte von der PalliativStiftung sieht sich durch die Stellungnahme bestätigt: "Sterben ist nicht normierbar. ... Wir Ärzte stehen in einer besonderen Verpflichtung und Verantwortung dem Leben gegenüber. Die höchste Instanz für unser Handeln ist unser persönliches Gewissen."

Soziologe: Gesellschaft industrialisiert das Sterben

Unterdessen hat der Soziologe Reimer Gronemeyer eine "Industrialisierung des Sterbens" beklagt. Er sehe die Gefahr, dass das Lebensende der Menschen in Deutschland zunehmend von bezahlten Dienstleistungen überwuchert werde, sagte Gronemeyer der "Süddeutschen Zeitung". Es sei zwar richtig, dass angesichts von immer mehr Alten, Sterbenden und Pflegebedürftigen die Palliativ- und Hospizversorgung ausgebaut werde. In zehn Jahren könne es aber sein, dass einem die Frage gestellt werde: "Wollen Sie eine hospizliche Begleitung oder eine gut organisierte Beihilfe zum Suizid?"

So wie heute einer im Supermarkt vor der Käsetheke stehe, könne man sich in Zukunft den selbst gemachten Tod aussuchen, gab der Soziologe zu bedenken. Früher sei das Leben mehr vorherbestimmt gewesen, wenn es etwa um Beruf, Ehepartner oder Wohnort gegangen sei. Seine Generation habe sich davon befreit, so der 72-Jährige. Das habe aber letztlich zu einer enormen Unsicherheit geführt, ob einer etwa die richtige Partnerwahl getroffen habe. Das Do-it-yourself-Prinzip gelte ab sofort genauso für das Sterben. Zum selbstbestimmten Leben gehöre eben die Schattenseite, "dass uns auch nichts abgenommen wird".

Nach Ansicht von Gronemeyer sterben die Menschen heute "so trostlos" wie nie zuvor. "Keine Religion, stattdessen der Zwang, auch das Sterben noch möglichst gut hinzukriegen." Das Alter werde hinter die Fassaden von schicken Altersheimen verbannt und professionell versorgt. Der Wissenschaftler plädierte für eine "wiedererwärmte Gesellschaft", in der Freundschaftsstrukturen länger als bisher unterstützenden Charakter hätten: "Freunde, die sich gegenseitig um sich kümmern, statt professionelle Dienstleister zu beschäftigen." Das sei menschlicher und auch finanziell günstiger.

(dpa)
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