Neonazis in Deutschland Der unterschätzte braune Terror

Berlin · Jeden Tag tauchen neue Details über das tödliche Treiben des sächsischen Neonazi-Trios auf. Sie werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Die drängendste von allen lautet: Warum konnten die drei über ein Jahrzehnt lang nahezu unbehelligt morden?

Neonazi-Mörder verhöhnen Opfer mit Video
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Neonazi-Mörder verhöhnen Opfer mit Video

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"Der rosarote Panther" war eine Zeichentrickserie, die in den 70er Jahren, Dienstag nachmittags, im westdeutschen Fernsehen lief. Darin stolpert Paulchen Panther durch eine Reihe von Abenteuern, bei denen es zischt, knallt und pufft.

Kongenial ist die simple Handlung mit rumpelnden Reimen unterlegt, gesprochen von Gert Günther Hoffmann. Eine ganze Generation hat noch heute das Liedchen des Abspanns im Kopf: "Wer hat an der Uhr gedreht ...?"

Ein paar Jahrzehnte später führt Paulchen Panther durch seine grausigste Episode: Die Musik im Hintergrund dudelt wie immer, und Gert Günther Hoffmanns bekannte Stimme quält das Versmaß: "Hier geht es nicht um Muskelkraft / mal sehen, ob Dynamit es schafft".

Comic-Pistole am Kopf

Aber dann sind Menschen in Todesangst zu sehen, Menschen, die kurz darauf in ihrem Blut liegen. Särge werden abtransportiert, anrückende Polizisten gezeigt. Einer von ihnen hat plötzlich eine in den Film hinein montierte Comic-Pistole am Kopf.

Doch das ist kein Trickfilm, sondern das Bekennervideo des "Nationalsozialistischen Untergrunds", das Vermächtnis von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die wahrscheinlich mindestens zehn Menschen getötet haben, immer mit Kopfschüssen, nur weil sie Ausländer oder Polizisten waren.

Es ist das erste Bekenntnis der drei Neonazis, eines, das nicht nur "Taten statt Worte" verlangt, sondern auch furchtbare Taten dokumentiert. Es ist zugleich die Hinterlassenschaft eines todbringenden Trios, die erstmals dem klassischen Muster entspricht, dem sich Terroristen bedienen: absichtlich Spuren zurücklassen, Botschaften aussenden.

"Löchrig wie ein Schweizer Käse"

Verbirgt sich hinter Beate Zschäpe, ihren beiden inzwischen toten Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sowie dem erst am Sonntag wegen dringenden Verdachts der Mittäterschaft verhafteten Holger G. mehr als eine rechtsterroristische Zelle? Hat es Deutschland gar mit einer "Braunen Armee Fraktion" zu tun?

Dass die rechtsextreme Szene in Ostdeutschland besonders aktiv ist, wissen die Geheimdienste seit Jahrzehnten. Dass diese Szene zugleich "löchrig wie ein Schweizer Käse" erscheint, galt lange als offenes Geheimnis.

Den Erkenntnissen der Ermittler zufolge fehlen die Strukturen, das Netz, das den Terror der "Roten Armee Fraktion" weit mehr als ein Vierteljahrhundert lang in der Bundesrepublik so schlagkräftig machte, die eiserne Verschwiegenheit, die absolute Geheimhaltung der mörderischen Pläne. Vor allem fehlt die Mission, die völlige Umkrempelung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die in den Herzen linksextremistischer Killerkommandos brannte.

Prahlereien im Wirtshaus

Rechtsextreme Gewalttäter handeln nicht minder brutal. Doch auffällig werden zumeist Einzeltäter, die mehr oder weniger spontan prügeln, morden, Brände legen, getrieben von dumpfem Hass auf alles Fremde oder Andersartige. Sie machen kaum ein Hehl aus ihrer Gesinnung, und wenn sie betrunken sind, prahlen sie nicht selten laut im Wirtshaus mit ihren Schandtaten.

Dieses Umfeld, das obendrein durchsetzt war von Spitzeln und Agenten des Verfassungsschutzes, war Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos offenbar viel zu riskant. Sie, die in den 90er Jahren eine Weile aktiv im rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz" aktiv gewesen waren und dort das Bombenbauen erlernt hatten, erkannten wohl, dass sie nur dann so lange, so effizient, so unbehelligt würden sprengen und schießen können, wie sie es schließlich taten, wenn sie als Gruppe möglichst klein blieben.

Es entstand jenes eingeschworene Trio, das nur seiner schieren Lust am Töten zu frönen schien, dem dies vermutlich Zweck genug war. Und es entstand schließlich der Plan, lieber tot als lebendig in die Hände der Polizei zu fallen.

Mit Ausnahme von Beate Zschäpe wurde er umgesetzt. Es gehört zu der bitteren Bilanz, dass es den dreien über Jahre von tödlichem Nutzen war, in kein Schema, in kein Raster zu passen.

Weitere Taten angekündigt

Die sogenannten "Döner-Morde" auf Einwanderer im gesamten Bundesgebiet verbuchten die Ermittler nach langer erfolgloser Fahndung als Verbrechen im türkischen Millieu, bei dem Attentat mit einer Nagelbombe 2004 auf der Keupstraße in Köln schlossen sie einen terroristischen Hintergrund rundweg aus. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos fühlten sich sicher. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, die Tatwaffe zu wechseln.

In ihrem in den Trümmern der ehemaligen Wohnung in Zwickau entdeckten Bekennervideo nun verhöhnen die Mörder nicht nur ihre Fahnder, sie kündigen auch weitere Taten an. Und sie stellen die Behauptung auf, beim "Nationalsozialistischen Untergrund" handele es sich um ein "Netzwerk von Kameraden".

Beklemmend: Schon insgesamt drei DVDs mit dem Video gingen nach dem Auffliegen des Trios an Parteibüros der Linken in Sachsen- Anhalt, an ein nicht mehr existierendes PDS-Büro in Sachsen sowie an das bayerische Innenministerium. Der Magdeburger Linken-Chef Gebhardt erwartet, dass weitere DVDs auftauchen werden. Wer verschickt die Kopien? Überdies scheint die Tatwaffe aus der Schweiz zu stammen. Hatte das Trio eidgenössische Verbündete?

Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) ist überzeugt: "Die Zwickauer Gruppe ist die größte Terrorzelle seit der RAF". Und auch nach Meinung des RAF-Terror-Experten und Ex-"Spiegel"-Chefredakteurs Stefan Aust können die drei nicht ohne Unterstützung agiert haben: "Es gibt keinen Terrorismus ohne Massenbasis."

(RP/csr)
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