Trotz allem Die besten Momente dieses üblen Jahres

Düsseldorf · Krisen und Krieg, Verbrechen und Terror haben das nun ausklingende Jahr geprägt. Unsere Autoren erzählen von Augenblicken, die sie mit 2016 versöhnt haben.

Da ist nie nur Dunkelheit, sondern immer auch Licht. Und sei es nur an einem mit Stacheldraht gesicherten Weihnachtsbaum-Verkaufsstand im hessischen Bad Vilbel.

Da ist nie nur Dunkelheit, sondern immer auch Licht. Und sei es nur an einem mit Stacheldraht gesicherten Weihnachtsbaum-Verkaufsstand im hessischen Bad Vilbel.

Foto: dpa

Es ist nicht wahr, dass Journalisten in einer anderen Welt leben als andere Bürger. Zugegeben, auf dem Arbeitsmarkt müssen wir im Gegensatz zu Lagerarbeitern kaum Konkurrenz durch Flüchtlinge fürchten — alles andere aber betrifft uns genau so viel oder wenig wie unsere Leser (und Nicht-Leser): Jede politische Entscheidung, jeder Streik, jede Preiserhöhung, jedes Integrationsproblem, "normale" Unfälle und solche nach illegalen Rennen, jeder Einbruch, jede Vergewaltigung, jeder Mord, Verbrechen, die teils von Flüchtlingen oder Deutschen mit Migrationshintergrund begangen werden — und häufig eben auch von "Urdeutschen" wie den Folterern von Höxter.

 Ja, wirklich: Der beste Moment unseres Autors Sebastian Dalkowski hatte mit dieser Absperrung zu tun. Und mit einem Champions-League-Spiel, das er nicht sah (aber hörte).

Ja, wirklich: Der beste Moment unseres Autors Sebastian Dalkowski hatte mit dieser Absperrung zu tun. Und mit einem Champions-League-Spiel, das er nicht sah (aber hörte).

Foto: Sebastian Dalkowski

Insbesondere der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche am 19. Dezember hat uns nicht nur beruflich beschäftigt, sondern auch persönlich betroffen. Berlin ist auch die Medienhauptstadt, neben den RP-Kollegen hat jeder von uns auch Verwandte oder Freunde dort. Noch am selben Abend schreibt ein befreundeter Sportjournalist, dass er nur zwei Stunden vor dem Anschlag über den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz geschlendert war, Hand in Hand mit seiner hochschwangeren Frau.

Doch neben diesen und all den medial gut dokumentierten schlimmen Ereignissen gab es 2016 für die meisten von uns auch viel als selbstverständlich empfundenes Positives (Gesundheit, Arbeit, Frieden in Deutschland und dem Großteil Europas) — sowie ganz persönliche Glücksmomente, von denen wir hier erzählen möchten:

Neujahr — trotz allem und immer wieder
Henning Rasche

Es ist ein bisschen bescheuert, aber mein Moment 2016 war der erste im neuen Jahr. Ich war sogar in Köln, aber weit weg vom Hauptbahnhof. Von einem sehr hohen Balkon blickte ich auf diese sehr schöne Stadt, verdrängte Höhenangst und Zukunftssorgen, und ließ die Korken knallen. Ich war nie so der Silvestertyp, weil da alle immer so verbindlich werden und den Jahreswechsel als moderne Form der Buße betrachten, schlanker, schöner und schlauer werden wollen. Als könnte man sich das nicht jeden Tag vornehmen — oder es einfach machen.

Aber an Neujahr 2016 habe ich gelernt, dass das auch toll sein kann. Weil wir ja glauben, dass durch den Wechsel des Kalenderblatts alles besser werden könnte. 2015, hieß es, sei das schlimmste Jahr gewesen. Mich hat an diesem tristen Morgen des 1. Januar 2016 nur der Gedanke gerettet, dass jetzt endlich wieder alles gut wird. Stattdessen wurde dann 2016 das schlimmste Jahr — von den ekelhaften Übergriffen auf der Domplatte bis zum Krieg in Syrien, vom Amoklauf von München bis zum Anschlag in Berlin. Und 2017 wird vielleicht das nächste schlimmste Jahr.

Aber nicht mit mir! Ich werde Neujahr wieder die Korken knallen lassen, und ich werde wieder hoffen, dass alles besser wird. Nicht mit meiner Figur (auch wenn dort Bedarf besteht), aber bitte mit der Weltlage. Das ist der Zauber des Neujahrs, den mich 2016 gelehrt hat. Ein neues Jahr, eine neue Hoffnung. Erst wenn die Hoffnung verloren ist, sind wir verloren. Neujahr ist jetzt mein Lieblingstag. So lange, bis alles wieder gut ist. Prosit — und fürchtet euch nicht.

Flashback zu 1998
Florian Rinke

2016 war neben allem anderen auch das Jahr, das mich noch einmal Kind sein ließ. Wobei, Kind trifft es nicht richtig. Eher: junger Mann.

Denn genauso fühlte ich mich 1998, mit 13 Jahren. Schon ziemlich alt, oder jedenfalls alt genug — auch wenn mein Körper das noch nicht bewies: die Stimme zu hoch, der Bartwuchs zu spärlich. Letzteres, stellte ich später fest, würde sich auch nie mehr ändern. Doch zurück zum Thema: Damals hießen meine musikalischen Helden Denyo, Eißfeldt und DJ Mad. Es wäre übertrieben zu behaupten, wir hätten jede Zeile ihres Albums "Bambule" gekannt — einen Teil haben wir nicht mal verstanden. Aber was wir verstanden, das rappten wir mit: "Viele wollen chatten und rappen, von Hamburg bis Meppen", noch heute kann ich den Anfang von "Hammerhart" im Schlaf. Es war klar, dass wir auf ein Konzert mussten. Leider gab es ein Problem: Den Bartwuchs. Die hohe Stimme. Das Alter im Kinderausweis.

Dieses verpasste Konzert kann ich bald nachholen, denn die Beginner sind wieder da — und ich bin wieder 13. Ich verstehe wieder manches nicht, und lache und staune über den Rest. Wie kommt man auf die Selbstbezeichnung "Die Hits-am-Fließ-Band"? Ich habe sofort Konzertkarten gekauft, sie wenig später wieder verkaufen müssen, weil ich an dem Datum beruflich unterwegs war, und sofort wieder neue gekauft. In ein paar Wochen wird es so weit sein. Seit Monaten fiebere ich diesem Tag entgegen. Das Jahr 2016 hat mir kein Beginner-Konzert geschenkt. Aber etwas viel schöneres: Die kindliche Vorfreude, die ich in den vergangenen Jahren so häufig vermisst habe.

Auf die Freundschaft!
Sebastian Bergmann

An das exakte Datum kann ich mich nicht erinnern. Es muss irgendwann Ende Juli gewesen sein. Der Sommer hatte lange auf sich warten lassen, doch jetzt war er da. Bei angenehmen 20 Grad saß ich abends im Garten, trank gemütlich ein Weizen und wartete auf einen guten Freund. Zumindest war der erwartete Gast das einmal. In den vergangenen sechs Jahren hatte ich ihn allerdings kaum gesehen noch gesprochen. Irgendwie hatten sich unsere Wege während des Studiums getrennt, obwohl wir nach wie vor nur wenige hundert Meter voneinander entfernt wohnten. Einen derben Streit, der zum Bruch geführt haben könnte, hatte es nie gegeben.

Waren wir noch Freunde? Ich wollte es herausfinden und lud ihn spontan zu mir ein. Er kam, und wir unterhielten uns. Lange. Sehr lange sogar. Wer sich sechs Jahre nicht sieht, hat viel zu erzählen. Und es war, als hätte es die Funkstille nie gegeben. Erst in den Morgenstunden verabschiedeten wir uns. Seitdem sehen wir uns wieder regelmäßig.

Der Kaiser hatte mal wieder recht behalten: Gute Freunde kann niemand trennen.


Magischer Fußball-Abend in Barcelona
Christina Rentmeister

20.40 Uhr, 19. Oktober, Flutlicht, 96.000 Fans, die ersten Töne der Champions-League-Hymne schallen durchs Camp Nou. Wir sitzen im Oberrang. Einen Block entfernt von den grölenden Manchester-City-Fans und nah genug an den Barca-Anhängern, um auch deren Gesänge zu hören. Ein Traum für einen Fußball-Fan wie mich. Mein Blick schweift über die Ränge, hinunter zum Spielfeld, wo die Teams auflaufen. Die sind von dort oben erstaunlich gut zu erkennen. Jeder Spielzug, die taktische Aufstellung, alles können wir von unseren Plätzen aus analysieren.

Ein Spiel im beeindruckenden Camp Nou, zwischen diesen beiden Mannschaften, in der Champions League, allein das ist für mich schon ein Highlight. Auf den Rängen feiern die Fans ihre Stars. Fast jeder trägt die Farben des FC Barcelona. Dann das 1:0 von Messi. Das ganze Stadion erhebt und verneigt sich. "Messi, Messi!", schallt es. Zum ersten Mal richtige Gänsehaut-Atmosphäre an diesem Abend. Aber nicht zum letzten Mal. Denn wir haben einen dieser seltenen, besonders guten Fußballabende erwischt.

Messi trifft noch zweimal, Manchesters Torhüter fliegt vom Platz, weil er außerhalb des Strafraums den Ball fängt, ein Barcelona-Spieler sieht Gelb-Rot und Neymar verschießt einen Elfmeter, um dann doch noch das 4:1 zu machen. Jubel, Ärger, Luft anhalten — dieser Abend hat wirklich alles geboten, was ich mir von einem grandiosen Fußballspiel erhoffe. Am Ende stehen wir noch lange im Camp Nou, als die Spieler längst in die Kabinen verschwunden sind. Und freuen uns, dass wir ausgerechnet für diesen Spieltag unseren Barcelona-Trip gebucht hatten.

Rap-Hoffnung im Regionalexpress
Klas Libuda

Im Sommer fuhren wir mit dem Regionalexpress von Bochum nach Düsseldorf. Es war weit nach Mitternacht, als sich ein Junge zu uns in den Vierer setzte, der erzählte, dass er Rap macht und aus Offenbach kommt. Bin im Ruhrpott Freunde besuchen, sagte er, und jetzt wollten sie in die Altstadt nach Düsseldorf und einen draufmachen. Er war 20, schätze ich, und erzählte, dass er bald sein Mixtape beim Label von Haftbefehl herausbringen wird. Haftbefehl ist einer der einflussreichsten Rapper der vergangenen Jahre, geliebt von der Straße und vom Feuilleton natürlich auch.

Der Junge aus dem Vierer jedenfalls nahm mein Handy und gab seinen Namen ein und wonach ich bei Google suchen soll. Er machte Musik an und rappte was vor. Da war alles drin in dem Auftritt: die ganze Unbekümmertheit und Kraft, die man hat, wenn man abspringt und meint, gleich kracht's und dann Überschallgeschwindigkeit Richtung Sonne.

Anfang November hat Soufian seine allererste Single veröffentlicht, das Album kommt im Januar, und vielleicht schafft er es ja. Die Single heißt "Geh nicht in Knast".

Franks Verwandlung
Tobias Jochheim

Früher war Frank ein Vollidiot, ein aggressiver noch dazu. Nie werde ich vergessen, wie er mich bei einer Schneeballschlacht mit einer Kugel aus Eis in den Unterleib traf, aus nächster Nähe und mit voller Absicht. Dass er wenig später die zehnte Klasse, seine Letzte, wiederholen musste, habe ich ihm trotzdem nicht gewünscht. Der ihm versprochene Ausbildungsplatz so dämlich verspielt?! — vor meinem geistigen Auge (das, zugegeben, zur Dramatisierung neigt) lag Frank schon in der Gosse.

Stattdessen spürte er das Vertrauen seines zukünftigen Chefs, der ihm die Azubi-Stelle das komplette Jahr lang freihielt. Und fand die Liebe. Heute ist Frank, der in Wirklichkeit anders heißt, ein Spießer im besten Sinne. Seriös, ohne seine alte Lockerheit eingebüßt zu haben. Verlässlich und vernünftig. Sattelfest im Job und x-fach weitergebildet. Mut beweist er längst nicht mehr mit schlechten Sprüchen und Fäusten, sondern indem er Verantwortung übernimmt.

Für seine Jugendliebe, die heute seine Frau ist. Für das Haus, das sie gemeinsam gekauft und kernsaniert haben. Und seit ein paar Wochen auch: für ihre gesunde Tochter, deren Geburt sie natürlich ge-, aber auch unerhört entspannt erwartet haben. Franks Verwandlung ist komplett, und obwohl ich rein gar nichts dazu beigetragen habe, könnte ich nicht stolzer sein.

Als Borussia zum besten Verein der Welt wurde
Sebastian Dalkowski

Das Jahr mit Borussia Mönchengladbach war wie das Jahr im Allgemeinen: meist Grütze. Gegeben wurde das Stück "Vom Champions-League-Teilnehmer zum Abstiegskandidaten inklusive Trainerrauswurf”. Doch es gab diesen einen Moment, auf den ich 25 Jahre hatte warten müssen. Der Moment, als Gladbach zum besten Verein der Welt wurde.

Mittwoch, 28. September, 21.19 Uhr, Nordpark. Ich stehe vor dem Stadion und versuche, etwas zu hören. Borussia Mönchengladbach spielt in der Champions League gegen den FC Barcelona, zum ersten Mal überhaupt in der Vereinsgeschichte. Eine Karte habe ich nicht mehr bekommen, selbstverständlich nicht, dafür hätte ich auf dem Schwarzmarkt einen halben Monatslohn hinlegen müssen. Und so bin ich einfach vor dem Stadion stehen geblieben, als das Spiel angepfiffen wurde.

Das Ereignis ist so historisch, dass diese Geschichtsträchtigkeit sogar auf den Vorplatz schwappt. Zu sehen gibt es nichts, nur das hässliche Außenskelett des Stadions. Aber zu hören eine ganze Menge. Fans, deren Reaktionen mir ungefähr vermitteln, was gerade geschieht. Diese Ohs und Ahs und der Applaus. Aufs Handy zu schauen wäre zu einfach.

Und dann explodiert die Nordkurve. Kurz argwöhne ich noch, die Gästefans würden eine Führung in dieser Lautstärke bejubeln, doch dann höre ich den Stadionsprecher, der das 1:0 für Borussia Mönchengladbach bekanntgibt. Ein Team, das gegen das beste Team der Welt in Führung geht, wird in diesem Moment automatisch selbst das beste Team der Welt. Und von dem bin ich auch noch Fan. Als ich Anfang der 90er einstieg, kroch Borussia durch die Abstiegszone. Nun ist selbst Barcelona unterlegen.

Doch dies ist nicht das Jahr der Happy Endings. 31 Minuten lang bleibt Borussia das beste Team der Welt, dann schießt Barcelona den Ausgleich und schließlich den Siegtreffer. Immerhin habe ich für den Scheiß keine 200 Euro ausgegeben.

(tojo, seda, har, frin, )
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort