Zahl der Motorrad-Unfälle in NRW steigt "Die Fahrer werden aggressiver"

(RP). Der dramatische Anstieg der Zahl tödlicher Motorradunfälle in NRW alarmiert die Politik. Bis Ende Juni dieses Jahres seien bereits 51 Motorradfahrer gestorben, 17 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, sagte Innenminister Ralf Jäger (SPD). Wir haben Motorradfahrer und Autofahrer nach ihren Erlebnissen gefragt.

 Bernd Luchtenberg (57) aus Wermelskirchen ist Vorsitzender des Landesverbandes der Motorradfahrer Rhein-Ruhr.

Bernd Luchtenberg (57) aus Wermelskirchen ist Vorsitzender des Landesverbandes der Motorradfahrer Rhein-Ruhr.

Foto: Jürgen Moll

Die Zahl aller Verkehrsunfälle hingegen sank um 0,6 Prozent auf 277 000. Insgesamt verloren im ersten Halbjahr 294 Menschen ihr Leben auf NRW-Straßen — 18 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2010. 6500 Verkehrsteilnehmer wurden schwer verletzt (plus 14,5 Prozent). Jäger nannte vor allem die Entwicklung bei den Motorradfahrern besorgniserregend — im Juli seien weitere 18 ums Leben gekommen. Damit seien schon jetzt mehr Motorradfahrer tödlich verunglückt als im gesamten vergangenen Jahr. Insgesamt wurden bis Juli 2088 Motorradfahrer verletzt, 262 mehr als im Jahr zuvor.

 Peter Siegmund (57) aus Kleve ist seit 30 Jahren Fahrlehrer.

Peter Siegmund (57) aus Kleve ist seit 30 Jahren Fahrlehrer.

Foto: Markus van Offern

Aber auch das Verhältnis der Biker zu Autofahrern bietet reichlich Konfliktpotenzial im Straßenverkehr, wie unsere Interviewpartner berichten.

Herr Luchtenberg, hatten Sie als Motorradfahrer jemals einen Unfall mit einem Autofahrer?

Luchtenberg 2002 war ich auf dem Timmelsjoch-Pass in Italien mit meiner Moto Guzzi unterwegs. Ich setzte zum Überholen an. Das Auto vor mir scherte ebenfalls aus, ich konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, fuhr ins Heck und flog vom Motorrad auf eine Mauer. Neun Rippen waren gebrochen. Der Autofahrer, ein Deutscher, gestand seine Schuld ein. Er hatte meine Geschwindigkeit unterschätzt.

Was beachten Autofahrer nicht oder zu wenig in Bezug auf Motorradfahrer?

Luchtenberg Meistens die Geschwindigkeit. Aber auch, dass wir auf unseren Motorrädern beweglicher sind, sozusagen quirliger, das wird unterschätzt und führt häufig zu brenzligen Situationen. Auf einem Zweirad ist man auch schlichtweg nicht so gut zu sehen wie andere Verkehrsteilnehmer, besonders wenn man Schwarz trägt.

Was ärgert Sie am meisten an Autofahrern?

Lichtenberg Wenn Autofahrer schlafen, wenn nicht klar zu erkennen ist, was sie vorhaben. Das sind, glaube ich, vor allem diejenigen, die nicht beruflich mit dem Auto unterwegs sind, sondern eher die typischen "Sonntagsfahrer".

Was meinen Sie, sind die Ursachen für die oftmals schweren Unfälle zwischen Autos und Motorrädern?

Luchtenberg Bei den Zweiradfahrern: überhöhte, nicht angepasste Geschwindigkeit und riskante Überholmanöver. Wenn der Autofahrer die Schuld trägt, liegt es meistens an Unachtsamkeiten oder an schlechten Sichtverhältnissen.

Wie lässt sich das Verhältnis untereinander verbessern?

Luchtenberg Ich weiß noch, wie häufig es Anfang der 70er gekracht hat. Da waren Motorradfahrer noch nicht im Bewusstsein der Menschen verankert. Das hat sich gebessert. Wir werden stärker wahrgenommen. Es ist wichtig, die anderen Verkehrsteilnehmer klar erkennen zu lassen, was ich als Auto- oder Motorradfahrer als nächstes vorhabe. Besonders bei Überhol- oder Wendemanövern sollte man lieber drei Mal in den Rückspiegel schauen. Beide Seiten müssen versuchen, mehr Verständnis aufzubringen.

Herr Siegmund, hatten Sie als Autofahrer jemals einen Unfall mit einem Motorradfahrer?

Siegmund Als ich auf dem Weg zu einem Lehrgang für Fahrlehrer war, wäre es beinahe zu einem Unfall gekommen. Ich befuhr mit 140 km/h die linke Spur. Ein Motorrad raste plötzlich heran und versuchte, mich auf dem engen Streifen zwischen meinem Wagen und der Leitplanke zu überholen. Ich hatte große Angst und war auch Stunden später noch fertig.

Was beachten Motorradfahrer nicht oder zu wenig in Bezug auf Autofahrer?

Siegmund Viele Motorradfahrer denken nicht daran, dass sie keine Knautschzone haben und bei einem Unfall schwer verletzt werden können. Sie fahren nicht defensiv genug. Bei einigen wäre es besser, wenn sie gar keinen Führerschein hätten.

Was ärgert Sie am meisten an Motorradfahrern?

Siegmund Sie schlängeln sich überall durch — auch im Stau. Und sie überholen an Stellen, wo sie nicht überholen dürfen. Viele nutzen ihre hohe PS-Zahl aus und machen Autobahnen und Landstraßen zu Rennstrecken. Auch Badeschlappen und T-Shirt statt richtiger Schutzkleidung regen mich massiv auf.

Was meinen Sie, sind die Ursachen für die oftmals schweren Unfälle zwischen Autos und Motorrädern?

Siegmund Das hat auch technische Gründe. Früher begrenzten die Hersteller die Maschinen auf 100 PS. Seit etwa fünf Jahren werden die Motoren hochgezüchtet, damit die Verkaufszahlen steigen. Inzwischen haben viele Motorräder mehr als 200 PS. Ein 18-Jähriger muss erst seinen Führerschein auf einer 34-PS-Maschine machen, nach zwei Jahren kann er aber eine Maschine fahren, die in der Spitze 300 Stundenkilometer schafft. Das muss sich dringend ändern: Wir wollen erreichen, dass jeder Anfänger nach zwei Jahren erneut zur Prüfung muss.

Wie lässt sich das Verhältnis untereinander verbessern?

Siegmund Das Verhältnis hat sich nicht positiv entwickelt. Es wird immer enger auf den Straßen und das Verhalten aggressiver. Alle Fahrer sollten Sicherheitstrainings machen, in denen sie lernen, Gefahren besser einzuschätzen und ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort