Interview mit Reinhard Kardinal Marx "Ein Ruck ist durch die Kirche gegangen"

Fulda · Vor Beginn der außerordentlichen Bischofssynode in Rom stellt der deutsche Papstberater eine neue Dynamik durch Franziskus fest.

Interview mit Reinhard Kardinal Marx: "Ein Ruck ist durch die Kirche gegangen"
Foto: dpa, cch fdt

Der 61 Jahre alte Westfale Reinhard Marx ist einer der einflussreichsten Männer der Römischen Weltkirche. Papst Franziskus hat den Kardinal und Münchner Erzbischof 2013 in sein engstes Beratergremium berufen. Ab Sonntag nimmt Marx an der mit großer Spannung erwarteten zweiwöchigen Weltbischofssynode zu Fragen der Ehe und Familie im Vatikan teil.

Der Papst ruft zum weltweiten Gebet für die Synode in Rom auf. Da könnte man salopp fragen: Hilft nur noch beten?

Marx Das Gebet gehört zum Bestandteil christlichen Lebens. Und deshalb ist es gut, wenn sich mit dem Gebet das ganze Volk Gottes auf die Synode vorbereitet. Dazu lädt der Papst ein. Die Synode soll schließlich auch ein geistlicher Weg sein und nicht nur eine Versammlung von Bischöfen, die unterschiedliche Meinungen austauschen. Es geht um eine Suche nach Einmütigkeit. Da brauchen wir die Haltung des Gebetes.

Wird die Synode, wie der neue Bischof von Passau es befürchtet, mit Erwartungen überfrachtet, die nicht erfüllt werden von der Kirche?

Marx Jetzt warten wir doch bitte erst einmal ab. Wenn wir von vornherein schon zu wissen glauben, was herauskommt und was nicht, brauchen wir ja keine Synode zu veranstalten. Ich freue mich auf die Beratungen! Die Synode ist ja ein Beratungsorgan, von dem der Papst jedenfalls einiges erwartet.

Noch einmal: Zu hohe Erwartungen zu hegen, führt erfahrungsgemäß zu bitterer Enttäuschung, oder?

Marx Natürlich wäre es falsch, zu vermuten, wir würden die Lehre der Kirche auf den Kopf stellen; und als könne man bei der Synode in wenigen Tagen ein wirkliches Problem - etwa das große Thema des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen - endgültig entscheiden. Das wird nicht gelingen, weil die Synode dazu gar nicht befugt ist. Aber es stimmt, jeder hat unterschiedliche Erwartungen, das hängt auch davon ab, aus welcher Weltgegend er nach Rom kommt und wie seine pastorale Situation vor Ort ist.

Welche Erwartungen hat Franziskus? Und wenn er bestimmte hat, warum, so fragen sich die Menschen, setzt er sie nicht einfach durch? Er ist schließlich der Papst.

Marx Er will eben nicht allein gehen, sondern vertraut dem kollegial-synodalen Geist, dem gemeinsamen Suchen nach Antworten. Die Synode soll dem Papst helfen bei der Frage, wie wir als Weltkirche im Bereich von Ehe und Familie die verschiedenen Probleme zur Sprache bringen und was das für die Evangelisierung bedeutet. Letztlich entscheidet der Papst, aber er will die gründliche Beratung in der Synode.

Rechnen Sie mit einem Aufeinanderprallen der Konservativen um den deutschen Glaubenspräfekten Kardinal Müller und Reformbereiten?

Marx Ich hoffe auf eine offene und respektvolle Debatte, bei der die verschiedenen Positionen zu Wort kommen werden. Wir haben ja auch 2015 die zweite Synode. Die Jetzige ist erst der Anfang. Und zwischen den beiden Synoden wird in den Bischofskonferenzen und nach dem Wunsch des Papstes auch in der kirchlichen Öffentlichkeit weiter diskutiert. Wir Bischöfe in Deutschland sind dabei, ein eigenes Wort zum Thema Ehe und Familie zu formulieren. Darüber werden wir zwischen den Synoden diskutieren, auch öffentlich. Es geht also um einen Weg, der vor uns liegt. Es macht jedoch deutlich: Wir stellen uns den aktuellen Fragen.

Um die berühmte "Ruck"-Rede eines Bundespräsidenten zu bemühen: Wird es den fälligen Ruck geben, der durch die Kirche geht?

Marx Der ist schon mit Franziskus durch die Kirche gegangen. Es gibt eine neue Dynamik durch den Papst, eine neue Offenheit und Freude. Aber zu glauben, dass wir ganz schnell, ruckartig zu Ergebnissen kommen, die uns hier in Mitteleuropa besonders gefallen, das wäre verfehlt. Die katholische Kirche ist schließlich eine große Gemeinschaft von Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Einstellungen, Lebensentwürfen, ob in Peking, Manhattan, Kinshasa, Buenos Aires, Mumbai oder München.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass Franziskus s bald entzaubert wird?

Marx Meine Sorge betrifft weniger den Papst als eine Öffentlichkeit, die immer kurzatmiger wirkt und anscheinend in immer knapperen Abständen Personen braucht, die sie erst anhimmelt und dann bald anklagt. Auch Johannes Paul II. ging unbeirrt durch mediale Tiefen hindurch, und am Ende war er doch für fast alle auf der Welt eine große Gestalt. Auch Franziskus ruht in sich, er ist authentisch und weiß, was er will. Das wird ihm helfen, durch manche Stürme zu gehen.

Die Synode gilt auch dem Thema Evangelisierung. Was heißt das?

Marx Jedenfalls keine Mentalität des "Häuserkampfes" oder der "Reconquista", also der Zurückeroberung verloren gegangenen Terrains. Das wäre rückwärtsgewandt. Wir müssen uns der Wirklichkeit von heute positiv stellen. Und deshalb dürfen wir nicht lamentieren und sagen: Die große Geschichte des Christentums liegt hinter uns, vor uns gibt es nur Schwierigkeiten, Dunkelheit und Negatives. Eine solche Sicht ist mir fremd.

Also ran an die moderne Welt?

Marx Wir müssen die moderne Welt annehmen, uns ihren Fragen stellen und Handlungsentwürfe als Kirche präsentieren. Das ist kein Anbiedern an den Zeitgeist, sondern ein Leben als Kirche in der heutigen Zeit. Bloß zu denken, früher sei alles besser gewesen oder der Niedergang sei unaufhaltsam - nein, das taugt nichts. Wir müssen nach vorn blicken. Wir haben unglaubliche Ressourcen mit Millionen von Gläubigen und den vielen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen in der Kirche. Wir müssen die Menschen spüren lassen, dass das Evangelium ein Qualitätssprung im Leben ist, dass es ihnen guttut. Jeder getaufte Christ ist zu diesem Zeugnis befähigt und aufgerufen.

Spricht die Kirche zu viel über Moral?

Marx Ein Christ lebt nicht beliebig. Insofern gibt es auch eine kirchliche Moral. Sie steht aber nicht an erster Stelle. Das Evangelium ist eine befreiende Botschaft und Erfahrung: der Himmel ist offen. Ich bin endgültig und für immer geliebt! Das wird verdunkelt, wenn man das Christentum auf ein System von Moralvorstellungen und Verboten reduziert. Das wäre nicht gut, dann hätte man das Wesen des Christentums nicht erfasst.

Was dachten Sie, als neulich der Ethikrat empfahl, den Geschlechtsverkehr unter Geschwistern zu erlauben?

Marx Ich war entsetzt über ein solch völlig falsches Signal. Ein solcher Tabubruch berührte die Institution Familie in ihrer Integrität. Ich frage mich wirklich, ob das auch angesichts der Missbrauchsthematik in Familien das richtige Signal war. Ich wundere mich sehr.

(RP)
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