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Weltkindertag Eine Kindheit auf der Flucht

Düsseldorf · Aktuell sind 43 Millionen Menschen auf der Flucht - die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Auch Anna Avdoyan (12) lebte lange Zeit in Angst. Jetzt führt das Mädchen aus Armenien ein neues Leben in Deutschland.

 Artikel 22: „Flüchtlingskinder haben das Recht auf besonderen Schutz und Hilfe. Auch alle anderen Rechte der Kinderrechtskonvention gelten für sie in dem Land, in dem sie gerade sind....“Julia Kipper (9) von der Marienschule in Krefeld meint, dass alle Kinder das Recht haben, in Frieden und Sicherheit aufzuwachsen.

Artikel 22: „Flüchtlingskinder haben das Recht auf besonderen Schutz und Hilfe. Auch alle anderen Rechte der Kinderrechtskonvention gelten für sie in dem Land, in dem sie gerade sind....“Julia Kipper (9) von der Marienschule in Krefeld meint, dass alle Kinder das Recht haben, in Frieden und Sicherheit aufzuwachsen.

Foto: Julia Kipper

Anna ist ein aufgewecktes Mädchen. Stolz führt sie ihren Besuch durch die Wohnung, in der sie seit drei Monaten lebt. "Mein Zimmer teile ich mir mit meinen Geschwistern", erzählt sie. Drei Betten, zwei Schreibtische und die gemalten Bilder der Zwölfjährigen finden hier Platz. Für Anna ist es das Paradies. "Vorher haben wir zu Fünft in einem Raum im Asylheim gewohnt. Egal, wie sauber es war, ich habe mich geschämt, Freunde einzuladen", sagt sie.

Das Mädchen aus Armenien ist eines von deutschlandweit etwa 33.000 Flüchtlingskindern. Weltweit sind laut Uno 43 Millionen Menschen auf der Flucht - die Hälfte von ihnen ist unter 18. In Armenien schwelt seit vielen Jahren ein Konflikt. Die Menschen kämpfen um Bergkarabach, ein Gebiet in Aserbaidschan, in dem vor allem Armenier leben. Schätzungen des Flüchtlingsrates zufolge starben in diesem Konflikt bislang 17 500 Armenier und 25 500 Aserbaidschaner. Noch immer gibt es schwere Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Gruppen.

Vor fünf Jahren floh Anna mit ihrer Mutter, den jüngeren Geschwistern und den Großeltern aus Armenien - ihr Vater kam nach. An vieles kann sich Anna nicht erinnern, einiges hat sie verdrängt. "Ich weiß, dass wir Angst hatten und alles zurücklassen mussten", sagt sie. Schwer fiel ihr das nicht: "Ich hatte ja nichts, keine Freunde, keine Nachbarn, keine Schule." Sie und ihre Geschwister verbrachten ihre Tage in der abgedunkelten Wohnung. Auf die Straße trauten sie sich nicht.

Ihre Flucht führte die Familie über Russland nach Deutschland. In Dortmund erreichte sie ihr Ziel. "Wir kamen in ein Heim. Es gab viele kleine Zimmer, viele Menschen aus verschiedenen Ländern. Es war sehr schwer für uns, besonders für meine Eltern. Sie sprechen kein Englisch, weil sie selbst nie eine Schule besucht haben", erzählt Anna. Doch die Zustände im Heim waren nicht das Schlimmste. Ständig saßen der Familie die quälenden Fragen im Nacken, wie es weitergehen würde, ob man bleiben oder abgeschoben werden würde.

Schließlich kam die Familie in ein Asylheim nach Düsseldorf - für Anna eine andere Welt. "Wir durften jeden Tag im Hof spielen und machten Ausflüge, sogar in den Freizeitpark." Dort sah sie zum ersten Mal eine Achterbahn. "Ich dachte erst, ich müsste in den Loopings rausfallen. Aber ich bin trotzdem mitgefahren - ich bin nicht ängstlich."

Ihre Kindheit auf der Flucht hat Anna geprägt, hat sie stark gemacht, ihr aber auch viele traumatische Erlebnisse beschert. Über einiges kann sie bis heute nicht sprechen. Die schlimmste Zeit in Deutschland war für sie die, als ihre Großeltern abgeschoben wurden. "Ich hatte oft Alpträume und habe schlecht geschlafen, weil ich Angst hatte, dass wir auch zurück müssen."

Dabei hatte sich Anna so gut eingelebt. Mit neun Jahren kam sie in die Grundschule, lernte mit den Erstklässlern. Ein halbes Jahr dauerte es, bis sie sich in die dritte Klasse hochgearbeitet hatte - ohne vorherige Schulbildung. "Ich hatte in Armenien mal einen Englischkursus. Der war sehr teuer, aber meine Großeltern haben ihn bezahlt. In Deutschland erinnerte ich mich dann an die Buchstaben - in Armenien haben wir ja ganz andere." Sie fand schnell Freunde, erzählte offen, wo sie her kommt. Dann begann der Alptraum: Aus Angst vor der Abschiebung flohen die Eltern mit den Kindern - drei Monate waren sie unterwegs. Darüber reden kann Anna nicht.

Hilfe kam schließlich aus Deutschland. Die Familie kehrte zurück nach Düsseldorf. Inzwischen hat sie das Bleiberecht. Anna besucht die siebte Klasse eines Gymnasiums. Kunst und Französisch sind ihre Lieblingsfächer. Sie möchte ihr Abitur machen, später vielleicht Managerin werden. Sie ist ehrgeizig, bringt sich selbst das Klavierspielen bei.

Das Tollste an ihrem neuen Leben: "Ich sehe meinen Vater - jeden Tag. In meiner Kindheit hat er viel verpasst, viele Geburtstage. Jetzt ist Papa immer da." In der neuen Wohnung fühlt sie sich wohl, auch wenn sie kein eigenes Zimmer hat. "Es ist keine Luxuswohnung. Aber ich habe endlich ein Zuhause." Nach Armenien zurück will sie nicht. Bereisen möchte sie das Land später vielleicht, um die Menschen und die Kultur kennenzulernen.

Beim Thema Kinderrechte hat Anna klare Vorstellungen: "Jedes Kind sollte zur Schule gehen dürfen, damit es eine gute Zukunft hat. Kinder sollten sich frei bewegen können", sagt sie. Grundrechte, die sie nicht immer hatte.

(RP)
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