Leiche in Wohnung gefunden Einsamer Tod in der Großstadt

Essen/Düsseldorf (RP). Keiner hat ihn vermisst, keiner hat den Verwesungsgeruch im Haus bemerkt. Sieben Jahre lang. Erst bei der Zwangsräumung der Essener Wohnung wurde die Leiche des Arbeitslosen entdeckt. Ein Extremfall, der nach Meinung von Fachleute viel über unsere Gesellschaft verrät.

 Die Nachbarn liefen immer an der Haustür des Toten vorbei - gemerkt haben sie dennoch nichts.

Die Nachbarn liefen immer an der Haustür des Toten vorbei - gemerkt haben sie dennoch nichts.

Foto: ddp

Noch nicht mal sein Name stand gestern Abend eindeutig fest. Hans-Günter vielleicht. Oder Hans-Joachim. So genau weiß das niemand mehr. Für seine Nachbarn hat der arbeitslose Mann schon lange aufgehört zu existieren. Jetzt, sieben Jahre nach seinem Tod, erregt er Aufsehen: Bei der Zwangsräumung einer Wohnung am Mittwoch fand man die Leiche eines 59-jährigen Mannes.

"Als ich die Tür aufmachte, kam mir sofort ein bestialischer Gestank entgegen", berichtet Daniel S. (33). Der Mitarbeiter eines Gelsenkirchener Schlüsseldienstes hatte im Auftrag eines Zwangsverwalters am Mittwoch um 19.45 Uhr die Tür zu der 26-Quadratmeter-Wohnung im vierten Stock geöffnet. "Als wir in die Wohnung kamen, haben wir sofort den Toten gesehen," sagt S.. "Die Leiche lag im Bett und war schon skelettiert. Dann haben wir die Polizei gerufen." "Friedlich zugedeckt" sei der Tote gewesen, berichtet der Essener Polizeisprecher Raymund Sandach.

Auf dem Tisch neben dem Bett des Toten lagen Zigaretten, Kleingeld - noch in D-Mark - und eine aufgeschlagene Fernsehzeitung. Der Mann starb wohl eines natürlichen Todes. Nichts deute auf Mord oder Selbstmord hin, sagt Sandach. So wenig die Polizei über die Todesursache weiß, so wenig weiß sie über den Zeitpunkt. Sicher ist: Am 30.November 2000 muss der gebürtige Gladbacher noch gelebt haben. Ein Brief dieses Datums vom Sozialamt lag geöffnet in der Wohnung.

"Was ist mit den Nachbarn", fragt sich Henric Peeters. Für den Geschäftsführer des Caritasverbands Moers-Xanten ist das einsame Ende dieses Esseners zwar ein Extremfall, aber durchaus ein Zeichen unserer Zeit. "Das ist die gesellschaftliche Entwicklung. Alte Strukturen von Nachbarschaft und Familie sind aufgebrochen. Wir haben uns alle in ein Schneckenhaus zurückgezogen", sagt Peeters. Was einst als soziale Kontrolle lästig war, funktioniere heute auch im positiven Sinne der Fürsorge füreinander nicht mehr.

"Wie bleiben Verwahrlosung und Kindesmissbrauch unentdeckt? Aus denselben Gründen", sagt Peeters. Und es kommt auch in den besseren Wohngegenden vor. Die Kleiststraße liegt nicht weit von Aalto-Theater und Philharmonie entfernt. Der Mietspiegel stuft die Straße in die zweithöchste Kategorie ein. Von außen macht das Haus Kleiststraße 2 allerdings einen verwahrlosten Eindruck. Klinker sind von der Fassade abgeplatzt, Türschilder sind nicht beschriftet, Wohnungen stehen leer. Das Haus soll einer Wohnungsbaugesellschaft gehört haben, die pleite ging.

"Hier hat es immer ein Kommen und Gehen gegeben", erzählt Karl Suendorf (47). Der alleinstehende Techniker hat sieben Jahre lang Tür an Tür mit dem Toten gewohnt. An seinen Nachbarn kann er sich nicht erinnern. "Da ist ja nie jemand rausgekommen", sagt er. "Aber ich wusste fast nie, wer in den anderen Wohnungen des Hauses wohnte." An einen auffälligen Gestank kann er sich nicht erinnern. "Aber merkwürdig, jetzt ist es mir so, als würde man im Hausflur was riechen", sagt er und verschwindet in seiner Wohnung. "Wenn ich in meiner Wohnung umfiele, würde das von meinen Nachbarn auch keiner merken", sagt Rosemarie Guthardt (63). Die Witwe ist vor sieben Jahren ins Haus Nummer 5, schräg gegenüber, eingezogen. "Die Leute gehen ja im Flur an einem vorbei, ohne zu grüßen."

Der tote Mann aus der Kleiststraße ist nun - da die Polizei seine Akte geschlossen hat - ein Fall für die Stadt Essen. Wieder. Denn vor seinem Tod erhielt er Sozialhilfe. 458 Mark im Monat. Pressesprecher Detlef Feige erklärt, warum beispielsweise der Vermieter den Tod aufgrund ausstehender Miete lange nicht bemerken konnte: Alles lief über bargeldlosen Zahlungsverkehr. Das Geld vom Sozialamt ging automatisch ein, die Miete automatisch raus. Bis 2005. "Wenn ein Sozialhilfeempfänger sich bei uns nicht meldet, fragen wir irgendwann schriftlich nach Einkommensänderungen." Wenn weitere Briefe unbeantwortet bleiben oder zurückkommen, frage die Stadt schon vor Ort nach, erklärt Feige das Prozedere.

Doch wenn niemand die Tür öffnet und ein Nachbar womöglich sagt ,Der wohnt nicht mehr hier', könnte es passieren, dass die Person in der Einwohnerdatei gelöscht wird. Jetzt wird das Ordnungsamt sich des Toten annehmen. "Wir werden nach Angehörigen forschen. Sollte sich niemand finden, wird ein Unternehmen beauftragt, die Wohnung zu räumen. Wertgegenstände würden versteigert und zur Finanzierung der Beerdigung verwendet, sagt Feige. "In der Regel wird anonym bestattet."

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