Flüchtlingsdebatte Die Meinung der anderen

Düsseldorf · Die Diskussion um die Flüchtlingskrise spaltet Deutschland in zwei Lager. Im eigenen Bekanntenkreis scheint man jedoch immer nur Menschen zu haben, die die eigene Einstellung teilen. Wo sind sie bloß alle, die mit der anderen Meinung?

 Helfer beim Kistenpacken für Flüchtlinge (in Saalfeld, Archiv)

Helfer beim Kistenpacken für Flüchtlinge (in Saalfeld, Archiv)

Foto: dpa, hsc lre

Vor einigen Tagen hat die Rheinische Post eine Umfrage veröffentlicht, die die Redaktion bei einem Meinungsforschungsintitut in Auftrag gegeben hatte. Eins der Ergebnisse: Mehr als die Hälfte der Deutschen befürwortet den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik.

Die Reaktionen, die schon wenige Minuten später über Twitter, Facebook und in zahlreichen Mails eintrafen, haben uns überrascht. Viele der Schreiber sind sich sicher: Diese Umfrage kann nur gefälscht sein; nie im Leben könne dieses Ergebnis dem entsprechen, was die Mehrheit der Menschen in Deutschland wirklich denke.

Das Phänomen gibt es auch andersherum: Wer Flüchtlingen positiv gegenübersteht, kennt all die Asylkritiker und besorgten Bürger oft nur aus dem Fernsehen und aus Facebook-Kommentaren, während die Meinung im eigenen Umfeld durchweg positiv ist.

Hintergrund ist ein Wahrnehmungsphänomen, das sich in vielen Studien zeigt. "Man fühlt sich eher zu Personen hingezogen und findet diese sympathisch, die ähnliche Meinungen und Werte haben wie man selbst", sagt Andrea Abele-Brehm, Sozialpsychologin an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Mit solchen Menschen schließe man auch schneller Freundschaften. Dadurch, dass Freunde dieselben Einstellungen teilen, wird man in seiner eigenen Meinung weiter gefestigt. "Entsprechende Handlungsweisen, wie etwa das Engagement gegenüber Flüchtlingen, verstärken dann die Sichtweisen zusätzlich", sagt Abele-Brehm.

Tausende demonstrieren gegen "Pegida"
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Freundschaften halten länger, wenn man ähnliche Einstellungen hat

Zufall sei es nicht, mit wem man sich anfreunde, sagt Abele-Brehm. Das zeigt eine Studie, die in einem Studentenwohnheim durchgeführt wurde. Dort freundeten sich die Studenten anfangs wegen der räumlichen Nähe an. Freundschaften hielten aber nur, wenn man die gleichen Meinungen wie der Zimmernachbar hatte.

Fans protestieren gegen Flüchtlingsaktion
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Foto: dpa, pse hpl

Das sieht auch Internetsoziologin Bernadette Kneidinger-Müller von der Uni Bamberg so: "Man sucht sich Freunde, die ähnliche Einstellungen vertreten - sowohl offline als auch online."

Facebook zeigt seinen Nutzern das, was sie lesen wollen

Das Internet kann die eigenen Meinungen noch verstärken, etwa durch die so genannte Filter-Bubble - eine Informationsblase, die durch Algorithmen im Internet geschaffen wird. "Das heißt, dass Informationen je nach Interesse gefiltert werden", sagt Kommunikationswissenschaftler Florian Mayer von der Uni Bamberg. Besonders bemerkbar macht sich dieser Effekt bei Google und Facebook. "Wenn ich zum Beispiel immer Computer-Themen anklicke, dann schlägt mir Facebook auch zukünftig vor allem diese vor. Andere Themen, die mich nicht interessieren, werden mir irgendwann nicht mehr angezeigt", sagt der Experte.

So würden etwa Pegida-Anhänger nur Nachrichten sehen, die sie interessieren und die von Seiten gepostet werden, die sie häufig nutzen. "Das nennt man Pluralistische Ignoranz. Wenn man sich nur mit Leuten aus dem eigenen Umfeld umgibt, dann merkt man gar nicht, was es sonst noch für Meinungen gibt", so Mayer.

In unserer Gesellschaft müsste man im Regelfall eigentlich mehrere Meinungen wahrnehmen. Doch bei "Pegida und Co ist es so, dass sie sich von den Massenmedien abwenden und nur ihren eigenen Quellen vertrauen. Sie entwickeln so ganz eigene Vorstellungen und denken schließlich, dass sie für die Allgemeinheit sprechen."

Journalisten transportieren ihre Meinung

Aber auch die etablierten Medien sind vor dem Effekt der "Pluralistischen Ignoranz" nicht gefeit. Journalisten stammen oft aus demselben bürgerlichen Milieu und sind politisch eher links orientiert - das zeigen Studien. Migranten, Nicht-Akademiker und Menschen mit politischen Ansichten, die von der Mitte abweichen, sitzen eher selten in Redaktionen; und auch ihr Feierabendbier trinken Medienleute eher mit ihresgleichen.

Umso mehr müssen sich auch Journalisten ständig hinterfragen - und aufpassen, dass ihre persönliche Meinung nicht auf die Berichterstattung durchschlägt. Erforscht wurde dieser Effekt etwa am Beispiel Fukushima. Zwar starben die meisten Menschen durch das Erdbeben und den Tsunami im Jahr 2011. Doch die deutschen Medien hätten eher über die Opfer durch die Atomkontaminierung berichtet, sagt Kommunikationswissenschaftler Mayer. Die französischen Medien, die der Atomkraft positiv gegenüber stehen, hätten dagegen eher wenig darüber publiziert.

(lkö)
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