Reservisten halfen nach Schicksalsschlag Frau Hauptfeldwebel kann wieder lachen

Herongen · Reservisten vom Niederrhein halfen der Familie nach dem tragischen Unfalltod ihres Vaters und trafen sich jetzt wieder – zu ihrem ungewöhnlichen Hobby Heimatschutz.

 Thomas Schroers und Sandra Mertins-Timmermanns bei der Einweisung in die Ausbildungsstationen im Materiallager in Herongen, im Hintergrund Reservisten bei Übungen zur waffenlosen Selbstverteidigung.

Thomas Schroers und Sandra Mertins-Timmermanns bei der Einweisung in die Ausbildungsstationen im Materiallager in Herongen, im Hintergrund Reservisten bei Übungen zur waffenlosen Selbstverteidigung.

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Reservisten vom Niederrhein halfen der Familie nach dem tragischen Unfalltod ihres Vaters und trafen sich jetzt wieder — zu ihrem ungewöhnlichen Hobby Heimatschutz.

Vor einem Jahr wurde der Familienvater durch einen plötzlichen Hagelschlag getötet — für die dreifache Mutter Sandra Mertins-Timmermanns (37) ein ungewöhnlicher Anlass, an diesem Wochenende am Ausbildungsbiwak der Nettetaler Bundeswehr-Reservisten teilzunehmen. "Die Jungs haben mich aufgefangen", sagt die Brüggenerin, "da ist es Ehrensache, dass ich bei der Organisation der Veranstaltung helfe."

"Die Jungs", das sind die insgesamt 70 Mitglieder der Reservistenkameradschaft Nettetal, deren ehrenamtliches Engagement für einige Jahre aus der Zeit gefallen zu sein schien: Wer opfert heutzutage schon seine Freizeit für die Verteidigung seiner Heimat? Und warum überhaupt?

Doch die RK Nettetal hält eng zusammen, auch an jenem 24. März 2014, dem dunkelsten Tag der Familie Mertins-Timmermanns: Vater Markus, Oberstleutnant der Reserve, war vormittags auf dem Weg zur Wehrübung nach Kerpen, als er mit seinem Wagen auf einer Landstraße bei Brüggen in heftigen Hagel geriet, gegen einen Baum schleuderte und starb. "Ich fiel in ein tiefes Loch", berichtet die 37-Jährige.

"Doch die Reservistengemeinschaft hat mich aufgefangen. Da habe ich verstanden, was das Wort ,Kameradschaft' wirklich bedeutet. Es wurde überhaupt nicht diskutiert — sie waren immer da, ob nun das Haus umgeräumt werden musste, eine Hecke zu schneiden war, oder ob es einfach nur um ein tröstendes Gespräch ging. Ich habe nach dem Tod meines Mannes meinen Freundeskreis noch einmal neu sortiert: Übrig geblieben sind die, auf die man sich auch in der Not verlassen kann."

Fahrzeugkontrolle statt Disco, Alarmposten im Wald statt Fernsehabend bei Chips und Bier — ungewöhnlich verbringen die rund 50 Frauen und Männer um die 37-Jährige ihr Wochenende. Irgendwie ist da eine große Familie zusammengekommen im Materiallager Straelen der Bundeswehr an der niederländischen Grenze im Kreis Kleve: Der RK-Vorsitzende, Hauptfeldwebel d.R. Thomas Schroers, kümmert sich als "Mutter der Kompanie" mal wieder um alles, er hat damals auch die Beerdigung organisiert: "Markus war mein Freund, es ist mir unendlich schwergefallen. Bei der Bundeswehr, mit der ich viel regeln musste, wusste ja niemand um die enge Beziehung."

Und dann zeigt er, um Fassung ringend, auf seinem Handy Fotos vom Grabstein aus Marmor, kunstvoll eingearbeitet sind die Schwingen des Fallschirmspringerabzeichens, das Markus Timmermanns stolz an der Uniform trug. "Die Stele hat Sandra anfertigen lassen. Sie ist wirklich eine tolle und tapfere Frau."

Die Soldatin der Reserve, die nach ihrem aktiven Wehrdienst im Standortsanitätszentrum Aachen 2002 zum Reservistenverband am Niederrhein stieß, hat ihren eigenen Pflegedienst verkauft und arbeitet jetzt in der Verwaltung eines Pflegedienstes für Intensivpatienten. Da spielen die Reservisten auch schon einmal "Babysitter" für die Frau Hauptfeldwebel, wenn Meg, Noa und Tim, die Kinder im Alter von neun, elf und 13- Jahren, betreut werden müssen. Oberleutnant Marcus Scheufen aus Köln, der in einem Wäldchen den Ausbildungsabschnitt "Alarmposten" leitet, stand damals neben dem Sarg.

Der aktive Luftwaffensoldat hat eigentlich ein freies Wochenende. Aber für seine Reservisten hat er wieder die Uniform angezogen, ebenso wie Hauptfeldwebel Patrick Koerver aus Düsseldorf, der Personen- und Fahrzeugkontrolle ausbildet - eng verzahnt sind die Reservisten mit der aktiven Truppe.

Die Mönchengladbacher Markus Guhl und Erich Genenger erzählen am Abend beim Grillen, wie sie nachts im Rahmen einer Wehrübung die Bundeswehr-Flugzeuge bei der Internationalen Luftfahrtschau in Berlin bewacht haben; andere, wie Peter Müller aus Kempen, waren auf dem Balkan oder in Afghanistan im Einsatz. Axel Witzke, der im Zivilberuf im Tiefbauamt der Stadt Kamp-Lintfort arbeitet, ist als Reserve-Kommandeur eines Panzerbataillons eingeplant. Dessen stählerne "Leoparden" sind wegen der Ukraine-Konflikts plötzlich wieder wichtig geworden.

Die Bundeswehr kostet die zweitägige Ausbildung ihrer freiwilligen Reserve übrigens keinen Cent, die Reservisten bezahlen sie komplett selbst. Sandra Mertins-Timmermanns hat deshalb nebenbei mit Oberfeldwebel d.R. Bianca Schmitz die Aufgabe der Kassiererin übernommen: Für 15 Euro pro Person gibt es Kaffee, Brötchen und abends Steaks vom Grill — die Kameradschaft am Lagerfeuer ist gratis und ohnehin unbezahlbar.

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