Sekretär Georg Gänswein erzählt vom 11. Februar 2013 Warum Papst Benedikt wirklich zurücktrat

Kaum jemand kennt Papst Benedikt so gut wie sein Sekretär Georg Gänswein. Über die Gründe für Benedikts Rücktritt am 11. Februar 2013 kursierten Gerüchte. Nun erzählt Gänswein in einem Interview, was den Heiligen Vater dazu antrieb - und warum er beim ersten Anruf seines Nachfolgers nicht ans Telefon ging.

Georg Gänswein: Warum Papst Benedikt wirklich zurücktrat
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Kaum jemand kennt Papst Benedikt so gut wie sein Sekretär Georg Gänswein. Über die Gründe für Benedikts Rücktritt am 11. Februar 2013 kursierten Gerüchte. Nun erzählt Gänswein in einem Interview, was den Heiligen Vater dazu antrieb - und warum er beim ersten Anruf seines Nachfolgers nicht ans Telefon ging.

Georg Gänswein ist einer der wichtigsten Männer im Vatikan. Er füllt derzeit eine Doppelrolle aus. Tagsüber dient er dem amtierenden Papst Franziskus als Präfekt des Päpstlichen Hauses, abends seinem Vorgänger Papst Benedikt. Nur wenige kennen den Menschen Joseph Ratzinger so gut wie er.

In einem vom SZ-Magazin veröffentlichten Interview mit dem Vatikan-Experten Peter Seewald sprach der 57-jährige Erzbischof nun über seine Erlebnisse vor fast genau einem Jahr, als die Rücktrittserklärung Benedikts die Welt erschütterte.

Der Leibarzt warnte Benedikt

Er selbst wusste demnach als einer von nur vier Menschen schon vorher, was der Papst im Schilde führte. Denn die Entscheidung zum Rücktritt fiel nicht etwa kurz vor der Erklärung. Sondern Monate im Voraus.

Auslöser war eine ernste Warnung von Benedikts Leibarzt. Einen nochmaligen Flug über den Atlantik werde der Papst nicht überstehen, mahnte der nach der anstrengenden Reise nach Kuba und Mexiko im März 2012. Im August fällte Benedikt nach reiflicher Überlegung seine Entscheidung.

Auch Gänswein wurde eingeweiht. Unter dem Siegel der päpstlichen Verschwiegenheit, wie der Erzbischof berichtet. "Sie können sich vorstellen, dass es nicht leicht war, und es gab Situationen, in denen es mich wirklich fast innerlich zerrissen hätte", sagte er Seewald.

Abends reden sie über alles

Als Benedikt sich seinem Privatsekretär anvertraute, habe er, Gänswein, ihm spontan geantwortet: "Nein, Heiliger Vater, das dürfen Sie nicht!" Doch sei ihm sofort klar geworden: "Er teilt nicht etwas mit, um eine Entscheidung zu finden, sondern er teilt eine getroffene Entscheidung mit." Das deckt sich mit Aussagen Benedikts in anderen Gesprächen. Er sei sich sicher gewesen, dass "meine Stunde vorbei war, und dass das was ich geben konnte, gegeben ist."

Berichte, nach denen Benedikt wegen der Vatileaks-Affäre zurücktrat, weist Gänswein indes entschieden zurück. Öffentlicher Druck hätte Benedikt nur davon abgehalten. "Weil jede Entscheidung, die unter Druck und nicht wirklich frei geschieht, auch kanonisch, gemäß dem Kirchenrecht, ungültig ist."

Mit dem Tag des Rückzugs, dem Rosenmontag 2013, veränderte sich auch das Aufgabenfeld Gänsweins schlagartig. Mit Papst Franziskus bekam er einen neuen und dazu völlig anderen Vorgesetzten. "Eine Herausforderung", wie auch Gänswein einräumt. Inzwischen komme er aber mit beiden Männern ausgezeichnet zurecht. Das hält ihn freilich nicht davon ab, sich abends mit Benedikt über den neuen Papst auszutauschen. "Offen und ohne Scheu", wie Gänswein versichert.

Die beiden mögen sich

Auch zwischen altem und neuem Papst gibt es Gespräche. Beide schätzen sich, mögen sich, heißt es, obgleich sie in der Öffentlichkeit völlig gegensätzliche Typen besetzen. Benedikt der Mann der Tradition und des Intellekts, Franziskus der Papst der Erneuerung und der Herzen.

"Ich sehe beide nicht konträr, sondern komplementär", erklärt der Erzbischof nun im Interview und verweist auf die Freiburger Rede von Benedikt XVI. im Jahr 2011. Franziskus löse die darin erhobene Forderung nach einer Entweltlichung der Kirche, die damals "mit wahren Interpretationspirouetten entsorgt werden sollte", auf "ganz unspektakuläre Weise Schritt für Schritt ein".

Benedikt ging nicht ans Telefon

Die erste Kontaktaufnahme zwischen den beiden Päpsten erwies sich laut Gänswein trotz aller Verbundenheit allerdings als schwierig. Er erinnert sich an Franziskus' ersten Satz nach seiner Wahl;

"Ich würde gerne Papst Benedikt anrufen. Wie kann man das machen?", fragte er Gänswein.

Der antwortete: "Ganz einfach, ich habe die Nummer. Wann?"

"Sofort!"

Obwohl nun sein Nachfolger bei ihm anrief, war Benedikt in seinem neuen Refugium Castel Gandolfo freilich nicht zu erreichen. Gänswein rief einen Gendarmen an, "er möge bitte nachsehen, was da los ist." Erst nach dem Klingeln fand der dann heraus: Benedikt saß mit Vertrauten vor dem Fernseher und hatte das Schellen einfach nicht gehört.

Dem Enthusiasmus um Papst Franziskus begegnet Gänswein allerdings mit gemischten Gefühlen. Er frage sich aber, so der Präfekt des Päpstlichen Hauses, ob auch alles, was Franziskus sage, wahrgenommen werde. "Alle meinen, ihn für sich beanspruchen zu können." Der Tag werde kommen, "an dem sich die Spreu vom Weizen scheidet". Für Franziskus stünden "die Bewährungsproben noch aus". Ob der Enthusiasmus anhalten werde, müsse man sehen. "Wir warten ja noch auf inhaltliche Vorgaben."

Franziskus sehe sich "einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt", sagte Gänswein mit Blick auf die bevorstehende außerordentliche Synode zur Familienseelsorge. "Werden die Erwartungen nicht erfüllt, kann sich das Blatt schnell wenden."

(pst)
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