Interview mit Gerhard Ludwig Kardinal Müller "Es gibt kein Argument gegen den Zölibat"

Düsseldorf · Gerhard Ludwig Kardinal Müller ist als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre einer der wichtigsten "Minister" des Papstes. Viele sehen in dem einerseits sozialkritischen, andererseits traditionalistischen deutschen Theologieprofessor einen mächtigen Anführer gegen diejenigen in der Römischen Weltkirche, die sich vom Pontifikat Franziskus' grundlegende kirchliche Erneuerung wünschen.

 Gerhard Ludwig Kardinal Müller ist Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre.

Gerhard Ludwig Kardinal Müller ist Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre.

Foto: dpa

Literaturnobelpreisträger Günter Grass attestiert dem Papst, frische Luft zu verbreiten. Ist auch heiße Luft darunter, wie manche nach zwei Jahren Pontifikat meinen?

Müller Ich habe etwas gegen diese kräftigen Metaphern. Franziskus hat seinen besonderen Stil. Er spricht auf sehr direkte Art zu den Menschen. Man soll in das Pontifikat nicht zu viel eigene Vorstellungen hineinprojizieren.

Sondern?

Müller Wenn man die gesamte Verkündigung von Franziskus wahrnimmt, wird man feststellen, dass er vor allem Zeuge der Frohen Botschaft sein will und ausgewogen argumentiert.

Wie oft treffen Sie ihn?

Müller Unsere Kongregation hat das Privileg einer Audienz in jeder zweiten Woche. Manchmal treffe ich den Papst auch mehrmals kurz hintereinander. Das hat nicht so sehr mit dem persönlichen Verhältnis zu tun, sondern mit der Arbeit, die erledigt werden muss.

Erleben Sie Franziskus, der neulich dunkle Andeutungen über ein kurzes Pontifikat machte, als fit?

Müller Ich erlebe ihn als geistig sehr präsent.

Der emeritierte deutsche Kurienkardinal Karl-Josef Cordes sagte über die Wahl von Franziskus vor zwei Jahren süffisant, es hätte schlimmer kommen können. Sieht die Kurie den Pontifex insgesamt kritischer, als das offensichtlich viele Katholiken und Nichtkatholiken außerhalb des Vatikans tun?

Müller Es gibt im Vatikan keinen Widerstand gegen den Papst. Die Loyalität gegenüber dem Nachfolger Petri ist Voraussetzung zur Ausübung eines Amtes, wie ich es habe. Wir geben unser Bestes, um den Papst im Bereich der Glaubenslehre zu unterstützen.

Sie gelten aber ähnlich wie Cordes und andere als einer der Bremser und Hauptvertreter des konservativen Blocks in der Spitze der Weltkirche. Stört Sie das überhaupt?

Müller Mich wundert es, was Leute über mich sagen und woher sie ihr Wissen beziehen, ohne mich zu kennen.

Wird Franziskus die liberale Agenda der westlichen Gesellschaften mit ihren Lieblingsthemen Zölibat, Lockerung der kirchlichen Sexualmoral oder Sakramente für geschiedene Wiederverheiratete überhaupt abarbeiten?

Müller Franziskus möchte, dass Menschen in schwierigen Situationen nicht allein gelassen, sondern begleitet und in die Gemeinden integriert werden, ohne jedoch Abstriche von der kirchlichen Lehre zu machen. Ein einfaches Ja zu den erwähnten Agenda-Themen kann nicht die Antwort der Kirche auf die Herausforderung der Säkularisierung sein.

So kann man aber auch "Nein" sagen.

Müller Die Herausforderung ist, dass jeder Mensch in Jesus Mitte und Grund seines Lebens erfährt. Jeder muss wissen, dass es im Leben und in dem, was danach auf uns zukommt, darauf ankommt, sein Vertrauen auf den Mensch gewordenen Sohn Gottes zu setzen. Das ist unsere Agenda und nicht etwa ein Christentum zu herabgesetzten Preisen. Wir dürfen den Menschen den Glauben nicht verwässert anbieten.

Klingt anspruchsvoll und streng.

Müller Wer Zweifel hat am ewigen Leben, dem kann die Kirche nicht einfach sagen: Egal, so wichtig ist das auch nicht, Hauptsache, du tust manchmal etwas Gutes. Oder: Wenn Leute katholisch sind, aber sonntags nicht die heilige Messe besuchen, können wir nicht sagen: Man kann auch ohne Messe ein guter Christ sein. Nein, beides gehört zusammen. Wer in seinem Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt, der wird gerettet, sagt der Apostel Paulus. Wir können dem "säkularistischen Zeitgeist" nicht einfach Leine geben.

Befürchten Sie Spaltungstendenzen in der Weltkirche, weil immer stärker Traditionalisten auf Erneuerer stoßen?

Müller Die Einheit der Kirche ist ein ganz hohes Gutes, das gewahrt werden muss. Jeder Bischof hat bei seiner Weihe versprochen, der katholischen Glaubenslehre unter Führung des Papstes als Nachfolger Petri treu zu bleiben.

Gibt es den Zölibat in hundert Jahren noch?

Müller Er beruht auf einer langen Tradition. Es besteht eine besondere Nähe zwischen dem Priestertum und dieser Lebensform. Auch Jesus hat zölibatär gelebt. Ich erkenne keine wesentlichen guten Gründe, warum die Kirche von dieser Tradition Abschied nehmen sollte.

Wie ernst nimmt man eigentlich im Vatikan die Drohung der IS-Terroristen, Rom zu stürmen?

Müller Das muss man ernst nehmen. Noch mehr beunruhigt mich aber die Vertreibung der Christen aus dem Vorderen Orient und die Ermordung von Christen rund um den Erdball. Wer das Gottesgebot "Du sollst nicht töten" missbraucht, handelt pervers und unmenschlich. Es gibt, wie der Heilige Vater jüngst gesagt hat, viel zu wenig Resonanz auf die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Christen. Ich weiß nicht, woher diese mangelnde Sensibilität für die Gewalt gegen Christen kommt.

(RP)
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