Absturz der Germanwings-Maschine "Piloten verdienen weiter Vertrauen"

Düsseldorf · Dass einer der Ihren ein Verkehrsflugzeug mit 150 Menschen an Bord bewusst zum Absturz gebracht haben soll, ist für viele Piloten ein Schock. Der Präsident ihrer Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), Ilja Schulz, warnt dennoch vor vorschnellen Schlüssen.

 Das Cockpit ist der Arbeitsplatz des Piloten.

Das Cockpit ist der Arbeitsplatz des Piloten.

Foto: dpa, sv

Wie kann man den Kunden die Angst vorm Fliegen nehmen?

Schulz Natürlich kann ich nachvollziehen, dass Kunden nun verunsichert sind. Aber an den jahrzehntelang erfolgreichen hohen Sicherheitsstandards bei Auswahl und Ausbildung von Personal hat sich nichts geändert. Es gibt keinen Grund, den Piloten weniger zu vertrauen. Bei dem Absturz deutet derzeit alles auf einen Einzelfall hin.

Ärgert es Sie, dass die französische Staatsanwaltschaft derart früh die Suizidthese vertreten hat?

Schulz Alle Fakten stützen zwar die Selbstmordtheorie. Dennoch wäre es falsch, andere Faktoren von vornherein auszuschließen. Das Vorgehen des Staatsanwalts war deshalb völlig unverantwortlich. Die Daten hätten bis zur vollständigen Aufklärung vertraulich bleiben müssen. Stattdessen wurde die Öffentlichkeit bewusst in eine Richtung gedrängt. Mich hat auch geärgert, wie viel an die Presse durchgestochen wurde. Das ist unerträglich. Sinn und Zweck der Untersuchung ist es doch herauszubekommen, was wirklich passiert ist, um im Nachklang Verfahren zu finden, die solche Unglücke verhindern und die Flugsicherheit weiter erhöhen. Das sind wir den Angehörigen der Opfer schuldig.

Wie groß ist die Chance zur Aufklärung, sollte die Blackbox nicht gefunden werden?

Schulz Eine Aufklärung über den technischen Zustand des Flugzeugs wird ohne die Blackbox extrem schwierig. Die Trümmerteile sind durch die Wucht des Aufpralls so klein, dass es sehr komplex ist, an belastbare Aussagen über den Hergang zu kommen.

Sollte sich die Suizidthese bewahrheiten, befürchten Sie einen Werther-Effekt, also Nachahmer?

Schulz Nein. Das halte ich für unwahrscheinlich. Es könnte in diesem Einzelfall sein, dass trotz guter Auswahl- und Beobachtungsinstrumente jemand durchgerutscht ist. Das ist ein Restrisiko, das man leider bei keinem Transportmittel ausschließen kann.

Die Lufthansa bietet Krisen-Teams an, bei denen sich Mitarbeiter in psychischen Notlagen melden können. Gibt es Vorbehalte, weil sie zu nah am Konzern angedockt sind?

Schulz Nein, denn das Team hat keine disziplinarische Verantwortung. Zusätzlich können sich Piloten auch an unsere Support-Hotline wenden. Auch wir stellen von Ärzten bis hin zu Psychologen Unterstützung zur Verfügung.

Welche Möglichkeiten gibt es schon heute für Piloten, die ihre Flugfähigkeit verlieren, auf anderen Posten bei der Lufthansa unterzukommen?

Schulz Normalerweise werden keine anderen Posten gefunden. Jeder Pilot bei Lufthansa hat eine Versicherung für den Fall des Verlustes der Flugtauglichkeit. Die wird zum Teil vom Arbeitgeber, aber zu einem großen Teil privat finanziert. Damit ist man im Falle des Lizenzverlustes zumindest ausreichend versorgt. Jemanden in einem anderen Bereich unterzubringen wäre schwierig. Um einen Posten auf unserem Lohnniveau zu finden, wäre für die meisten Stellen ein Studium erforderlich, das aber die wenigsten mitbringen.

Die VC hat begrüßt, dass die Airlines unbürokratisch die Zwei-Personen-Regel in Kraft gesetzt haben. Doch was hilft es, wenn ein Flugbegleiter neben einem Piloten Platz nimmt?

Schulz Wir haben begrüßt, dass die Airlines schnell reagiert haben. Mit einer zweiten Person im Cockpit könnte man einen Vorfall, wie ihn die Staatsanwaltschaft jetzt sieht, womöglich verhindern. Wir sehen die Zwei-Personen-Regel aber auch kritisch. Deren Einführung entbindet niemanden davon, nach nachhaltigen Verfahren oder technischen Lösungen zu suchen. Wir werden gemeinsam mit Airlines und Behörden nach Wegen suchen, um auch solche Unglücke zukünftig verhindern zu können.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab es vonseiten der Politik Vorschläge, dass Flugzeuge auch vom Tower aus gesteuert werden sollen.

Schulz Da bin ich sehr kritisch. Schauen Sie sich an, wie viele Drohnen die Militärs verlieren. Hätten wir diese Verlustzahlen in der Verkehrsfliegerei, hätten wir ein ernsthaftes Problem. Wir sind an einem Punkt schwieriger Balance angelangt: An vielen Stellen unterstützt die Technik, an anderen generiert sie neue Probleme. Nur die Piloten im Cockpit haben zu jeder Zeit einen vollständigen Überblick über die Situation im Flugzeug und müssen daher auch die letzte Kontrolle über das Flugzeug haben.

Wie sehen Sie die Forderung nach einem psychologischen Gutachten für alle Verkehrspiloten alle zwei Jahre?

Schulz Davon halten unsere Psychologen überhaupt nichts, weil das auch nur eine Momentaufnahme ist. Kommt es zu einschneidenden Erlebnissen - zum Beispiel Todesfall oder Ehekrise -, kann sich der Zustand eines Menschen in kürzester Zeit ändern. Viel wichtiger ist die schon heute etablierte kontinuierliche Betreuung, zum Beispiel durch die zwei Simulator-Überprüfungen und die eine Flug-Überprüfung im Flugzeug. Hier beurteilen Ausbilder genau, wie das Team zusammenarbeitet. Wer psychisch instabil ist, würde auffallen und kann die nötigen Hilfestellungen bekommen.

Verkehrspolitiker haben verlangt, Piloten müssten zu vom Arbeitgeber bestimmten Ärzten gehen. Und diese sollten gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von ihrer Schweigepflicht entbunden sein.

Schulz Das kann nur jemand sagen, der von der Materie gar keine Ahnung hat. Wenn mein Arzt von der Schweigepflicht entbunden ist, werde ich ihm gegenüber kein Problem ansprechen, weil immer die Angst vorm Fluglizenzentzug mitschwingt. Besteht die Schweigepflicht, kann der Arzt dagegen echte Hilfe anbieten.

Wie beurteilen Sie die geforderte Frauenquote fürs Cockpit?

Schulz Das ist Blödsinn. Ins Cockpit sollte, wer geeignet ist. Das Geschlecht spielt da keine Rolle.

Es wird in diesen Tagen viel über die steigende Belastung für Piloten diskutiert. Ist die Pilotenkarriere noch ein Traumberuf?

Schulz Der Beruf hat viel von seinem Glanz verloren. Man hat keine langen Verweildauern mehr, in denen man sich die Welt ansieht. Trotzdem muss man genau unterscheiden. Airlines wie die Lufthansa und Germanwings haben ordentliche Tarifverträge, die das Arbeitsleben vernünftig gestalten. Es gibt aber andere Gesellschaften in Europa, die es ausnutzen, dass wir ein Überangebot an Piloten haben. Da kommt es zu Scheinselbständigkeit und anderen "kreativen Beschäftigungsmodellen" mit denen Piloten auch unter Druck gesetzt werden können. Die Vorreiter in Europa sind dabei Ryanair und Norwegian.

Die Katastrophe in den Alpen hat Ihren Tarifkonflikt in den Hintergrund gedrängt. Ab wann werden Sie wieder in der Lage sein, über solche Sachthemen zu reden?

Schulz Wir haben das Thema jetzt erst mal zurückgestellt. Wir geben uns und allen Beteiligten die Zeit, um den Vorfall aufzuarbeiten. Derzeit gibt es eine große Welle der Solidarität zwischen den einzelnen Berufsgruppen bei der Lufthansa.

Rückt eine Verschmelzung der unterschiedlichen Berufsgewerkschaften zu einer IG Luftverkehr näher?

Schulz Man merkt klar, dass die Konzern-Mitarbeiter sehr eng zusammenrücken. Vor dem Unglück hatten unsere Streiks zu Belastungen geführt, uns aber nicht komplett entzweit. Da wird vieles auch übertrieben. Bei der IG Luftverkehr werden wir uns nicht beteiligen. Wir sind alleine viel spezieller in der Lage, die Belange der Piloten zu vertreten. Zudem ist das Tarifgeschäft nur ein Teil unserer Arbeit.

Maximilian Plück führte das Interview.

(maxi)
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