Verbraucherschützer kritisieren: Grenzwerte für radioaktiv belastete Lebensmittel erhöht

München (RPO). Die Verbraucherorganisation Foodwatch und der Verein "Umweltinstitut München" kritisieren, dass die EU-weit geltenden Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Lebensmitteln am vergangenen Wochenende zum Teil deutlich erhöht worden seien. Das Verbraucherministerium und die EU-Kommission haben die Vorwürfe zurückgewiesen.

Die Informationspolitik der Bundesregierung über die Lebensmittelsicherheit nach der Reaktorkatastrophe in Japan sei mangelhaft, so die Verbraucherschützer.

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner verweise seit Tagen auf "verstärkte Kontrollmaßnahmen" und "spezielle Schutzstandards" — sie informiere die Öffentlichkeit jedoch nicht darüber, dass die Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Lebensmitteln aus den betroffenen Regionen Japans am vergangenen Wochenende deutlich erhöht worden seien, erklärten Foodwatch und das Umweltinstitut.

Sei bisher eine kumulierte Radioaktivität von Cäsium-134 und Cäsium-137 von maximal 600 Becquerel/Kilogramm zulässig gewesen, seien am vergangenen Wochenende bis zu 20-fach höhere Obergrenzen von bis zu 12.500 Becquerel/Kilogramm für bestimmte Produkte aus Japan in Kraft getreten.

Kein Anlass zur Sorge

Zwar gebe es in Europa derzeit keinen Anlass zur Sorge über hochbelastete Produkte aus Japan im Handel, so foodwatch und das Umweltinstitut in einer gemeinsamen Presseerklärung. Dies rechtfertige jedoch weder die "lückenhafte Informationspolitik der Bundesregierung" noch die "Heraufsetzung der Grenzwerte".

"Die Ministerin redet nur von verstärkten Kontrollen und verschweigt, dass gleichzeitig die Sicherheitsstandards für japanische Lebensmittel gesenkt wurden.", sagte Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch. "Es ist absurd, in der jetzigen Situation Grenzwerte für japanische Lebensmittel zu erhöhen, um sie in die EU einführen zu können" erklärte Christina Hacker, Vorstand im Umweltinstitut München.

Beide Organisationen sprachen sich dafür aus, einen kompletten Importstopp zu verhängen. "Unsere Solidarität gehört derzeit den Opfern der Katastrophe in Japan, und diese Maßnahme wäre bestimmt kein großer Schaden für die japanische Wirtschaft ", so Christina Hacker vom Umweltinstitut München. Ohnehin seine die Einfuhrmengen für Lebensmittel aus Japan nach Europa nur sehr gering.

Mit der Eilverordnung 297/2011, in Kraft getreten am 27. März 2011, habe die Europäische Kommission Grenzen für etliche Produkte aus den betroffenen japanischen Regionen deutlich heraufgesetzt: auf 400 Becquerel/Kilogramm für Säuglingsnahrung, auf 1000 Becquerel/Kilogramm für Milchprodukte und auf 1250 Becquerel/Kilogramm für andere Nahrungsmittel. Bestimmte Produkte wie Fischöl oder Gewürze dürften diesen Wert sogar um das Zehnfache übersteigen, also bis zu 12.500 Becquerel/Kilogramm belastet sein — ein 20-faches des bisherigen Limits.

Eilverordnung in Kraft getreten

Hintergrund für die Anhebung sei die nach der Tschernobyl-Katastrophe im Jahr 1987 erlassene EU-Verordnung 3954/1987. Demnach könnten im Falle eines "nuklearen Notstandes" die Höchstgrenzen für die zulässige radioaktive Belastung von Lebensmitteln angehoben werden, um einer Nahrungsmittelknappheit vorzubeugen.

"Diese Regelung jetzt in Kraft zu setzen, ist absurd, denn es gibt in Europa keinen nuklearen Notstand und erst recht keine Nahrungsmittelknappheit. Importe aus Japan spielen für die Versorgungssicherheit der europäischen Bürger überhaupt keine Rolle", sagten Thilo Bode und Christina Hacker.

"Kritik ist inhaltlich falsch"

"Die Kritik ist unangebracht und inhaltlich falsch", sagte Holger Eichele, Sprecher des Verbraucherministeriums. Bisher habe es gar keine Obergrenzen für die Lebensmittel-Einfuhr aus Japan gegeben.

Auch die EU-Kommission wies den Vorwurf zurück, sie habe die Grenzwerte angesichts der Katastrophe in Japan erhöht. Tatsächlich seien die Maximalbelastungen schon 1987 als Reaktion auf die Tschernobyl-Katastrophe festgelegt und seitdem nicht mehr verändert worden. Allerdings gelten sie nur im atomaren Notfall, der am Samstag erstmals seit Tschernobyl ausgerufen worden sei. Werde die Krise für beendet erklärt, träten wieder die üblichen und damit schärferen Regeln in Kraft.

Lebensmittel sollen stichprobenartig getestet werden

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sieht derweil nach wie vor keine Gefährdung durch Radioaktivität aus Japan. Ab sofort müssen Importe aus den von dem Reaktorunglück betroffenen Regionen mit den Kontrollergebnissen der Behörden vor Ort gekennzeichnet werden. Zudem sollen die Lebensmittel in Deutschland stichprobenartig erneut getestet werden.

"Nur 0,1 Prozent unserer Import-Nahrungsmittel kommen aus Japan", sagte Aigner bereits am Samstag. Es gehe vor allem um Spezialitäten und Gewürze für die asiatische Küche, um seltene Fischsorten, Algen, grünen Tee oder Sojasoße.

Eichele sagte, durch das schwere Erdbeben, den verheerenden Tsunami und die Reaktorkatastrophe sei der Handel mit Japan ohnehin praktisch zum Erliegen gekommen.

(RPO/dapd)
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