Erdrutsch-Drama in Sachsen-Anhalt Helfer verzweifeln am morastigen Gelände

Nachterstedt (RPO). Für die vermutlich drei Verschütteten im sachsen-anhaltinischen Nachterstedt besteht kaum noch Hoffnung. Wegen des morastigen Geländes und der Gefahr weiterer Abbrüche konnten die Helfer bislang nicht zu den Trümmern der beiden am Samstagmorgen in den Concordia See abgerutschten Häuser vordringen. Eine für den Abend angeforderte Hundestaffel konnte ebenfalls nicht eingesetzt werden, wie ein Sprecher des Landratsamts des Salzlandkreises sagte. Die Suche eines mit einer Wärmebildkamera ausgestatteten Polizei-Hubschraubers blieb ebenfalls erfolglos.

Häuser rutschen in Erdkrater
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Am Unglücksort sind weiterhin Feuerwehrleute im Einsatz, falls es zu neuen Abbrüchen kommen sollte. Mehrere Häuser des Orts bleiben vorerst evakuiert. Für die davon betroffenen 45 Einwohner wurden Ersatzquartiere geschaffen.

Die aktive Suche nach den Vermissten ist am späten Samstagabend abgebrochen worden. Am Sonntagvormittag soll nach Angaben des Sprechers entschieden werden, ob die Einsatzkräfte von der See- oder der Landseite zu den Verschütteten vordringen sollen.

Die Unglücksursache ist derweil noch völlig offen. Einige Augenzeugen wollten kurz vor der Tragödie ein Knacken gehört haben. In der Nacht hatte es zudem kräftige Regenfälle gegeben. Ein Zusammenhang mit dem Abrutsch gilt aber eher als unwahrscheinlich. Auch der Meteorologe Jörg Kachelmann widersprach der Erklärung der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, zuständig für die Sicherung und Flutung des Tagebausees, dass heftige Regenfälle das Unglück ausgelöst hätten.

Er sagte der Zeitung "Welt am Sonntag", es seien lediglich 20 Liter pro Quadratmeter gefallen. "Das ist nicht außergewöhnlich und verursacht nicht so einen heftigen Erdrutsch", sagte Kachelmann.

Die Behörden haben unterdessen ein striktes Bade- und Schifffahrtsverbot auf dem Concordia See erlassen. Das Areal wurde weiträumig abgesperrt. Das ehemalige Tagebaugebiet rund um den See ist eine beliebte Urlaubsregion mit vielen Ferienhäusern. Von 1865 bis 1990 wurde dort Braunkohle abgebaut. Seit etwa Mitte der 90er-Jahre wird der Schacht geflutet.

War auch der Sohn im Haus?

Beim riesigen Erdrutsch am Rand des Tagebausees waren am Samstag in Nachterstedt zwei Häuser in die Tiefe gerissen worden. Einer Sprecherin zufolge handelte es sich bei den Vermissten um ein Ehepaar und einen Mann. Sie hatten in einem Doppelhaus gewohnt, das nach Angaben einer Landkreis-Sprecherin vor dem Erdrutsch rund 120 Meter von der Kante der gefluteten Braunkohle-Tagebaugrube entfernt gestanden hatte und bei dem Unglück in der Nacht zum Samstag komplett in den Concordia-See hinabgerissen wurde. Unklar war zunächst, ob sich in einem der Häuser auch der Sohn einer der betroffenen Familien aufhielt, was die Vermisstenzahl auf vier steigen lassen würde.

Der Landrat des Salzlandkreises, Ulrich Gerstner, sprach auf einer Pressekonferenz von einem "ganz tragischen Ereignis". Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Sohn eines der betroffenen Ehepaare ebenfalls in dem versunkenen Doppelhaus befunden habe. Es habe zwar einen anderen Wohnsitz, aber sei möglicherweise bei den Eltern zu Besuch gewesen. Sein Bruder war zur Zeit des Unglücks nicht im Haus.

Auch der Sohn ist dem Landrat zufolge in diesem Haus gemeldet, hat aber einen auswärtigen Wohnsitz. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Sohn sich in dieser Nacht in dem Haus bei seinen Eltern aufhielt. Auch die Hälfte eines Mehrfamilienhauses stürzte in die Tiefe. Die Bewohner dieses Hauses befinden sich in Urlaub.

Den Angaben zufolge hatte eine Nachbarin gegen 4.40 Uhr der Polizei telefonisch gemeldet, dass das Nachbarhaus abgestürzt sei. An der Unglücksstelle waren nach Angaben der Behörden am Samstag rund 200 Mitarbeiter von Feuerwehr und Hilfsdiensten im Einsatz, darunter auch Angehörige des Technischen Hilfswerks und des seelsorgerischen Notdienstes.

Es rutschte ein Areal von 350 mal 120 Metern in die ausgekohlte Tagebaugrube ab, insgesamt setzte sich nach Schätzungen von Experten rund eine Million Kubikmeter Erde in Bewegung. Auf dem Concordia-See entstand durch den Erdrutsch nach ersten Erkenntnissen eine Flutwelle.

Bei der Pressekonferenz am Nachmittag klagte ein Betroffener: "Wir haben nur noch das, was wir am Leibe tragen." Eine Frau sorgte sich um ihre Katze, die sich noch im Haus im gesperrten Gebiet befinde. Der Bürgermeister verteilte Gutscheine unter den Evakuierten, die bei Verwandten und in Ferienwohnungen untergebracht wurden.

Anwohner fassungslos

Fassungslosigkeit kennzeichnete die Stimmung unter den Nachterstedtern an diesem Tag. "Keine Ahnung, wie das passieren konnte", so der Bürgermeister. Wir dachten, wir sind sicher hier."

Fast bis an den Ort heran wurde bis 1990 Braunkohle abgebaut. Seit 1998 wird das Tagebauloch für die touristische Nutzung geflutet. Auf der gegenüberliegenden Seite in Schadeneben wird schon seit etlichen Sommern gebadet. Rund 20 Meter sollte das Wasser in den nächsten Jahren noch steigen, die bisher 400 Hektar große Seefläche auf 650 Hektar anwachsen. Wie und ob es mit dem "Seeland" weiter gehen wird, weiß im Moment niemand.

(DDP)
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