Helmut Richard Brox Obdachloser vernetzt Obdachlose

Düsseldorf · Helmut Richard Brox betreibt Internetseiten, die Obdachlosen Tipps für das Leben auf der Straße geben. Schon mehrfach wurde der 51-Jährige für sein Engagement ausgezeichnet. Jetzt soll seine Biografie erscheinen, das Vorwort dazu schrieb sein Freund Günter Wallraff.

 Helmut Richard Brox (51) ist seit 30 Jahren obdachlos. Dennoch betreibt er zwei Internetseiten, die anderen Wohnungslosen helfen sollen. Seine Biografie soll demnächst erscheinen.

Helmut Richard Brox (51) ist seit 30 Jahren obdachlos. Dennoch betreibt er zwei Internetseiten, die anderen Wohnungslosen helfen sollen. Seine Biografie soll demnächst erscheinen.

Foto: Guido Menker

Fragt man Helmut Richard Brox, was die schlimmste Zeit für Obdachlose ist, so antwortet er: "Weihnachten. Da kommt das Alleinsein hoch." Brox spricht aus Erfahrung, denn 2016 werden es drei Jahrzehnte sein, die er auf der Straße verbrachte. Über seine Kindheit, die Gründe für seine Arbeits- und Wohnungslosigkeit und warum er sich für Obdachlose engagiert, will er jetzt ein Buch veröffentlichen.

Noch gut erinnert der 51-Jährige sich daran, wie es kam, dass er plötzlich ohne Wohnung da stand. Alles begann mit dem Tod seiner Mutter. Nach der Beerdigung lebte Brox ein Jahr in ihrer Wohnung, ehe das Sozialamt die Zahlungen einstellte: Die Wohnung sei zu groß. Es folgte die Zwangsräumung. Dem 22-Jährigen blieben zwei Plastiktüten, die ihm in der ersten Nacht in einer Mannheimer Notunterkunft gestohlen wurden. Seither ist Brox' Leben eine Wanderschaft. Dass er nie lange an einem Ort bleiben kann, hat zwei Gründe. Unterkünfte begrenzen den Aufenthalt: Mal sind es nur Stunden, mal darf er einige Wochen bleiben. Doch das Reisen hilft ihm auch, sich von seinen Problemen abzulenken.

Bei Brox wurden eine chronische Depression und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Seine Eltern, Holocaust-Überlebende, starben 1977 und 1985, seine Kindheit verbrachte er in Heimen. Eine prägende Erfahrung für Brox, der nach eigenem Bekunden Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt war. Drei Jahre ging er zur Schule, eine Ausbildung hat er nicht - stattdessen die Bescheinigung seiner Erwerbsunfähigkeit.

15 Euro verdient er am Tag. Seit der Einführung des neuen Pfandsystems sammelt Brox Flaschen, vorher lebte er von "Sitzungen" in Fußgängerzonen und "Ladenstichen", bei denen er von Geschäft zu Geschäft zog und um Spenden bat. Dabei ließ er sich jede Gabe mit einem Stempel im sogenannten "Bäckerbuch" bestätigen. Brox erzählt von dieser Tätigkeit nicht ohne Stolz, denn sie strukturierte seinen Tag - und erforderte Mut.

Je länger er auf der Straße gelebt hatte, desto klarer sei ihm geworden, dass er "den Faden in die Gesellschaft verloren" habe. "Paradox" nennt er es, dass Wohnungslose "nicht überall die gleichen Rechte" haben, der Umgang mit den Obdachlosen in Notunterkünften und Ämtern unterscheide sich zwischen Städten erheblich. Düsseldorf ist für ihn ein Beispiel für Toleranz, Bedürftige bekämen dort problemlos ihr Geld für den ganzen Monat - in Köln sehe es anders aus. Details wie diese können für die Menschen schnell zum Problem werden, die keine Erfahrung mit Wohnungslosigkeit haben: "Das Leben auf der Straße ist gefährlich, wenn man sich nicht auskennt."

Das Dasein als "Berber", also Langzeit-Obdachloser, sei schwieriger geworden, sagt der 51-Jährige. Vor Hartz-IV habe es mehrere Ämter gegeben, an denen man Tagesgeld beziehen konnte. Mit der Reform wurden viele von ihnen zusammengelegt, die Wege für die Obdachlosen wurden weiter. "Viele Notunterkünfte nehmen jetzt einen Obolus für die Nacht", sagt Brox. Auch die Missgunst zwischen den Menschen in den Schlafstätten sei gewachsen: "Wenn du zwei, drei Euro mehr hast als dein Bettnachbar, kannst du deswegen schon angepöbelt oder bestohlen werden."

Um Obdachlosen das Leben zu erleichtern, brachte er 2007 eine Website online, die über die Notunterkünfte in jedem Bundesland informiert. Auf Facebook hat er 4000 Freunde, viele davon wohnungslos, die sich mit ihren Fragen an ihn wenden. 2012 folgte eine weitere Website, die Anlaufstellen für Suchtkranke aufführt. Denn Drogen sind für Obdachlose ein großes Problem, Brox selbst war bis 1990 kokainabhängig, kurierte sich aber in einer Tagesklinik. Für sein Wirken war er im vergangenen Jahr für den Panter-Preis der "taz" nominiert, mehrfach auch für den Deutschen Engagementpreis.

Das Exposé für seine Biografie ist fertig, jetzt sucht Brox einen Verleger. Wo er sich aufhalten wird, wenn sie erscheint, kann er nicht sagen. Nach einer Woche muss er aus seiner momentanen Unterkunft in Dortmund wieder raus. Trotz aller Widrigkeiten seines Lebens auf der Straße ist ihm eines sehr wichtig: seine Würde. "Rüttelt nicht an meinem Leben", bittet Brox.

(bur)
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