Ein Bundesland wird größer Hessische Gemeinde tritt zu NRW über

Brilon (RP). Im Sauerland tritt die hessische Gemeinde Diemelsee eine gut 30 Fußballfelder große Fläche an die nordrhein-westfälische Nachbargemeinde Brilon ab. 22 Neu-Westfalen freuen sich. Vieles in ihrem Alltag soll nun endlich besser werden. Auch die mitten durch das Damenklo verlaufende Landesgrenze ist Geschichte.

 Ortsvorsteher Hans-Juergen Becker (l.) aus Diemelsee und Albert Brüne aus Bontkirchen auf der Freundschaftsbrücke oberhalb der Itter, der bisherigen Grenze zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Ortsvorsteher Hans-Juergen Becker (l.) aus Diemelsee und Albert Brüne aus Bontkirchen auf der Freundschaftsbrücke oberhalb der Itter, der bisherigen Grenze zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Foto: ddp

Marion Vogtland ist in Feierstimmung. Gestern Abend hat der Landtag in Düsseldorf mit der Drucksache 14/9404 über einen Staatsvertrag beraten, der aus der 47-Jährigen wieder eine Westfälin macht. In dem Vertrag mit dem Land Hessen wird die Abtretung mehrere Flurstücke der hessischen Gemeinden Arolsen-Kohlgrund und Diemelsee-Stormbruch an die NRW-Kommunen Brilon-Bontkirchen und Marsberg-Udorf geregelt.

Damit stehen das Häuschen, das sich die Familie Vogtland 2001 auf einem ererbten Grundstück baute und sechs weitere Wohnhäuser künftig auf NRW-Grund. "Jetzt hat dieser ganze Bürokratismus endlich ein Ende", seufzt Vogtland.

Eine jahrzehntelange Sehnsucht wird gestillt

80 Jahre gehen die Bestrebungen der Bontkirchener zurück, die vor den Toren des Dorfes im Tal der Itter gelegenen Grundstücke aus hessischem Besitz zu lösen. Aber erst als sich dort nach dem Krieg mehrere Familien ansiedelten, wurde der Streit um die Flächen zum Politikum.

Die bisherige Aufteilung — alles was westlich des Baches Itter liegt, gehört zu NRW, alles östlich davon zu Hessen, ergibt nur geographisch einen Sinn. Praktisch bedeutete die Lage für die 22 bei Bontkirchen lebenden Zwangshessen oft ein Alptraum.

So betragen die Postlaufzeiten zwischen Diemelsee-Stormbruch und Nachbarorten nicht selten mehrere Tage, weil die hessische Postverteilstelle mit der Adresse nichts anfangen kann. "Mein Sohn ist ein Mal von einem hessischen Finanzamt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden", berichtet Marion Vogtland. "Zweimal ist der Brief an die Behörde zurückgegangen. Er hat dann einen Tag vor dem Termin durch einen Anruf davon erfahren."

"Endlich hat's geklappt"

Die beiden Kinder der Familie hätten eigentlich im fünf Kilometer entfernten Dimelsee zu Schule gehen sollen. "Da fährt nicht einmal ein Bus hin", sagt Marion Vogtland, "und im Winter wird die Strecke nicht geräumt." Nur mit einer Sondergenehmigung durften die Kinder in NRW eingeschult werden.

Albert Brüne (73), Ortsvorsteher von Bontkirchen, freut sich über die neuen Mitbürger. "Neun Versuche haben wir gestartet, jetzt endlich hat's geklappt." Jahrelang habe vor allem der Widerstand im Rathaus von Diemelsee eine Lösung im Sinne der Bürger verhindert. Bewegung in die Angelegenheit kam erst, als Bürgermeister Volker Becker 2005 sein Amt in Diemelsee antrat. In einer Bürgerversammlung ließ er sich überzeugen. "Wir haben das vereinte Europa, da passen solche Dinge doch nicht hinein", sagt der parteilose Politiker.

Landesgrenze verlief durch die Damentoilette

390.000 Euro hat die Stadt Brilon bereits als Ausgleichszahlung für die abgetretenen Gebiete und Steuermindereinnahmen an Diemelsee überwiesen. Einige Kilometer weiter floss bei der Grenzbereinigung zwischen dem hessischen Arolsen-Kohlgrund und dem westfälischen Marsberg-Udorf kein einziger Cent. Die Gemeinden einigten sich auf den Austausch von jeweils etwa 8,4 Hektar Fläche.

Auch hier hatten die Bürger lange auf eine Lösung hingearbeitet. "Aber es gab Widerstand in Düsseldorf, offenbar weil man die Gebietsfrage in einem Paket mit dem Erwerb in Bontkirchen regeln wollte", erinnert sich der Marsberger Bürgermeister Hubertus Klenner. So mussten die Udorfer jahrzehntelang mit dem Kuriosum leben, dass die Landesgrenze mitten durch die Damentoilette des Schützenhauses lief. Aber auch das hat bald ein Ende, wenn im Juli der hessische Landtag zustimmt.

(RP)
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