Imam-Ausbildung in Deutschland Deutsche Studenten wollen nicht Imam werden

Münster · In Münster können sich Studenten seit 2012 in islamischer Theologie ausbilden lassen. Doch keiner von ihnen möchte als Imam arbeiten. Das liegt daran, dass die muslimischen Gemeinden sie bislang nicht einstellen.

Die zehn wichtigsten Strömungen im Islam
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Foto: Julian Stratenschulte

Es ist die letzte Stunde vor der Klausur, und Dozentin Dina El Omari (33) möchte mit ihren Studenten noch einmal den Stoff aus dem aktuellen und dem zurückliegenden Semester durchgehen. Die knapp zehn Studenten studieren alle das Fach islamische Theologie an der Universität Münster. Die vier Frauen unter ihnen tragen Kopftuch. Alle haben einen Migrationshintergrund.

Im Raum im ersten Obergeschoss des Zentrums für Islamwissenschaften wird es in dieser Wiederholungsstunde auch ein bisschen politisch. Denn die Studenten lernen auch etwas über den sogenannten "Schwertvers" des Korans, der häufig von Dschihadisten herangezogen wird, um Gewalt gegenüber Andersgläubigen zu legitimieren. Dschihadisten leiten daraus ab, dass man "Ungläubige" töten dürfe. Diskutiert wird, ob Sure neun, Vers fünf alle anderen Verse aufhebt, die vorher zum Umgang mit Christen und Juden im Koran standen.

Das Wort "Ungläubige" käme aber gar nicht im Koran vor, sagt Dina El Omari. Die Übersetzung sei schlichtweg falsch. Die Deutung sei aus dem Kontext der Sure herausgelöst.

Um Erkenntnisse solcher Art geht es im Fach "Islamische Theologie". Hier wird jener aufgeklärte Islam praktiziert, den die deutsche Gesellschaft so lautstark fordert. In Osnabrück, Münster, Frankfurt, Tübingen und bald auch in Paderborn kann man in Deutschland "Islamische Theologie" studieren. Ziel ist, dass Absolventen dieser Studiengänge später unter anderem als Imame in deutschen muslimischen Gemeinden arbeiten können.

Doch unter den zehn Studenten im Seminarraum ist nicht einer, der eine Karriere als Imam anstrebt. Frauen können ohnehin nicht Imam werden. Der 22-jährige Recep Aktas ist einer der zehn. Er studiert im sechsten Semester und schreibt gerade an seiner Bachelor-Arbeit. Der junge Mann hat das Fach gewählt, um seine eigene Religion besser zu verstehen. Ihm gehe es auch darum, Muslimen ihre eigene Religion zu erklären. "Man hört immer nur, was volkstümlich bekannt ist. Ich wollte mich kritisch mit dem Islam beschäftigen und auch mit den Originalquellen arbeiten", sagt er. Aktas hat in Hamm Abitur gemacht und ist dann zum Studium nach Münster gegangen. Ihm gefällt die Meinungsvielfalt und die sachliche Auseinandersetzung mit Religion an seinem Studienfach. Er arbeitet als studentische Hilfskraft in einem Forschungsprojekt des Zentrums mit. Deswegen möchte er nach seinem Master in der Forschung bleiben. Den Beruf des Imams hat er schon früh für sich ausgeschlossen, unter anderem weil die Mehrheit der Imame, die in Deutschland arbeiten, in der Türkei studieren muss.

So wie Aktas geht es vielen jungen deutschen Muslimen. Der Beruf des Imam steht bei ihnen nicht hoch im Kurs. Das hat zwei Ursachen: Zum einen ist die Bezahlung schlecht, zum anderen beschäftigt etwa die Türkisch-Islamische Union Ditib ausschließlich Imame, die ihre Ausbildung in der Türkei gemacht haben. Seit 2006 gibt es sogar ein eigenes Ausbildungsprogramm für deutsche Muslime, die nach dem Abitur zur Imam-Ausbildung in die Türkei geschickt werden und danach in eine deutsche Moscheegemeinde zurückkehren. Auch die Imame, die in den knapp 300 Moscheegemeinden arbeiten, die vom Zentralrat der Muslime vertreten werden, erkennen das deutsche Theologiestudium bisher nicht als ausreichend an, wie Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, gegenüber unserer Redaktion erklärt.

"Im Moment gibt es keine einheitliche Lösung, was die Ausbildung von Imamen angeht. Jede Gemeinde handhabt das etwas anders", sagt Zekeriya Altug im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist Leiter für Außenbeziehungen bei Ditib. Der Grund sei, dass die Berufsbezeichnung Imam nicht geschützt sei. In einigen Gemeinden arbeiten zum Beispiel Imame, die als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind und vorher in ihrem Herkunftsland zum Imam ausgebildet wurden. Andere bilden Nachwuchskräfte aus ihren eigenen Reihen für den Eigenbedarf aus. Die Mehrheit der Gemeinden, zu denen auch die Ditib-Moscheegemeinden gehören, holen sich ausgebildete Imame aus den Herkunftsländern oder lassen diese dort ausbilden.

68 von 1000 Imamen, die in den Ditib-Moscheegemeinden angestellt sind, sind deutsche Staatsbürger, die in der Türkei zum Imam ausgebildet wurden. Ein Studium an einer deutschen Hochschule reiche eben nicht aus, um Imam zu werden, meint Altug. Entscheidend sei nicht nur die theologische Fundierung, sondern auch die praktische Erfahrung in Koran-Rezitation, Seelsorge und Gemeindearbeit, die nur in einer Gemeinde erlernt werden können. "Die Berufsausbildung ist Aufgabe der Moscheegemeinden." In deutschen Moscheegemeinden fehlten aber ausrechend kompetente und qualifizierte Ausbilder. Deswegen müsse man sich, solange die deutsche Ausbildung noch nicht ausgereift sei, mit dieser Behelfslösung zufrieden geben.

Im Augenblick fehlte zudem noch genügend Lehrpersonal an den deutschen Universitäten, sagt Altug. "Die Ausbildung in Deutschland wird sich aber durchsetzen." Auch deswegen, weil mittlerweile die dritte und vierte Generation der Einwanderer in die Moschee kommen. Da sei es wichtig, Imame zu haben, die einen Draht zu den Gemeindemitgliedern herstellen können. "Ein Imam muss eine hohe theologische und religiöse Kompetenz besitzen, um als Respektperson angenommen zu werden."

Die deutsche Ausbildung von Imamen ist also nach Wahrnehmung der betroffenen Gemeinden noch nicht ausreichend. Dazu kommt ein Problem bei der Finanzierung. Denn bislang sind die Imame, die in Ditib-Moscheen angestellt sind, Beamte des türkischen Staates. Auch die Deutschen, die eine Ausbildung in der Türkei gemacht haben, werden als Angestellte teilweise von der obersten türkischen Religionsbehörde "Diyanet" bezuschusst. In Deutschland müssen die muslimischen Gemeinden ihre Prediger aus eigener Kraft finanzieren. Kleine Gemeinden mit weniger als 100 Mitgliedern haben dementsprechend ein vergleichsweise geringes Budget für ein Imam-Gehalt, größere Gemeinden ein höheres. Aber sind die Imame türkische Beamte oder Angestellte, fallen nur Kosten für die Unterbringung an.

Dieses Modell birgt ein strukturelles Problem. Denn so sinkt die Wahrscheinlichkeit für deutsche Absolventen eines islamischen Theologiestudiums, eine Anstellung in einer Gemeinde zu finden. Und umgekehrt ist das für die Studenten auch weniger reizvoll, wenn die Bezahlung niedrig ist.

Dass die oberste türkische Religionsbehörde für deutsche Imame zahlt, kann auch nur eine Zwischenlösung sein, erklärt Altug. Die Frage sei, ob die Türkei das auch in Zukunft weiter unterstützen könne und werde. Ditib sei froh, dass diese Möglichkeit existiere. Gleichwohl müsse man in Deutschland nach Möglichkeiten suchen, die Gemeinden strukturell und finanziell zu stärken, damit alle in Zukunft Imame beschäftigen, die eine solide Ausbildung haben und ein einem Akademiker angemessenes Gehalt beziehen können.

Die Moscheegemeinden jener Verbände, die sich im Zentralrat der Muslime zusammengeschlossen haben, zahlen ihre Imame hingegen selbst. Die Gemeinden finanzieren die Imame über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Ein Konzept, das man auch weiterhin beibehalten möchte.

Die Diskussion hierzulande um einen aufgeklärten Islam an deutschen Schulen und Hochschulen zeigt, dass viele Nicht-Muslime den ausländischen Einfluss auf die Moscheen in Deutschland mit Skepsis betrachten. Aus Angst vor Radikalisierung riefen viele danach, den Einfluss des muslimischen Auslands einzudämmen, sagt Altug. "Im Moment wird das Thema Auslandsimame und Imamausbildung in Deutschland instrumentalisiert, um darüber die Frage zu diskutieren, ob der Islam zu Deutschland gehört — und wenn ja, welcher. Da ist etwas politische Zurückhaltung gefragt." Man müsse den begonnenen Prozess der Imamausbildung in Deutschland unterstützen, ihm aber auch die nötige Zeit geben, sich zu entwickeln.

Auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, sieht noch einigen Handlungsbedarf. "Häufig werden universitäre Einrichtungen als Gegenmodell zu den Moscheen begriffen, dabei versteht der ZMD dies als Einheit. Die Dialektik, hier der aufgeklärte Islam, dort der rückständige Islam in den Gemeinden entspricht nicht der Realität und er schadet ganz besonders dem Ruf der universitären Einrichtungen. Denn eines Tages sollen ja die Gemeinden die dort absolvierten Imame einstellen", sagt er gegenüber unserer Redaktion.

Die Studierenden in Münster spüren die politische Diskussion auch im Hörsaal. Immer wieder wird Recep Aktas mit verletzenden Vorurteilen konfrontiert. Den Vorwurf, an der Uni würden Terroristen ausgebildet, hat er schon häufiger von Nicht-Muslimen gehört. Dozenten und Studierende müssen auch Jahre nach der Einführung des Studiengangs Muslimen und Nicht-Muslimen erklären, was sie lernen und lehren.

(heif)
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