Vollzug Immer mehr Frauen hinter Gittern

Willich (RPO). In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der weiblichen Gefangenen in Deutschland um 20 Prozent gestiegen. Auch in NRW reicht der Platz in den Zellen nicht mehr. Größtes Problem in den überfüllten Haftanstalten: die Drogenabhängigkeit.

Von ihrem Fenster aus hat Silvia (37) einen schönen Blick auf den Garten und einen weniger schönen auf die dahinter aufsteigende Mauer der Haftanstalt Willich II. Zehn Jahre ihres Lebens hat die Leverkusenerin hinter Gittern verbracht. "Wegen Drogen und Beschaffungskriminalität", sagt die Gefangene. "Um an Heroin zu kommen habe ich so gut wie alles gemacht." Zuletzt flog sie auf, weil sie ins Gefängnis Rauschgift schmuggeln ließ. 25 Gramm Heroin fanden Justizvollzugsbedienstete bei ihr.

Silvia ist eine von mehr als 3300 Frauen, die derzeit in deutschen Gefängnissen einsitzen. Der Anteil weiblicher Gefangener an der Gesamtzahl der Häftlinge wächst kontinuierlich. Von 4,1 Prozent im Jahr 1997 auf 5,3 Prozent im vergangenen Jahr. Manche Experten sehen darin eine Folge der Emanzipation. Frauen hielten sich nicht mehr an die althergebrachten Rollenmuster und neigten daher auch vermehrt zu Regelverletzungen. Doch bewiesen ist die These nicht.

Fest steht allerdings, dass die Frauengefängnisse in NRW aus allen Nähten platzen. In der Anstalt Willich II sind im Schnitt zwischen 160 und 175 Gefangene im geschlossenen Vollzug untergebracht. Ausgelegt ist die Justizvollzugsanstalt auf 141 Plätze. Nicht alle Frauen haben daher eine eigene Zelle. Ein neues Hafthaus wird gerade gebaut.

Weniger gewalttätige Übergriffe

Gewalttätige Übergriffe in Mehrbettzellen, wie sie aus Männerhaftanstalten bekannt wurden, gebe es im Frauengefängnis nicht, berichtet die Chefin der Anstalt, Renate Gaddum (41). Einige Häftlinge hätten sich sogar wegen der Serie "Hinter Gittern - der Frauenknast" beim Fernsehsender RTL beschwert, weil sie sich diffamiert fühlten. "Die Gewaltbereitschaft ist bei uns lange nicht so ausgeprägt wie im Männervollzug", bestätigt Gaddum. "Unser Problem ist die Sucht."

Mindestens 60 Prozent der Insassen in Willich II sind drogenabhängig. Es ist kein Geheimnis, dass etliche unter ihnen auch im Gefängnis an den Stoff herankommen. Das weiß die Anstaltsleiterin: "So ein Gefängnis ist ja kein geschlossenes System. Einige Gefangene bekommen Urlaub, andere dürfen Langzeitbesucher empfangen. Die Drogen können in Körperhöhlungen versteckt sein, oder einfach über die Mauer geworfen werden." Verhindern ließe sich dies nur, wenn man das Gefängnis wie unter einer Glaskuppel abschließe. Aber das, so die Juristin, gehe nicht, da die Gefangenen auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden sollten.

Wie Silvia blicken auch Sandra (35) und Svenja (29) auf eine eine lange Drogen- und Knastkarriere zurück. Die beiden jüngeren Frauen haben Kinder, die bei Pflegefamilien untergebracht sind. Svenjas Tochter, die bald ihren vierten Geburtstag feiert, kam während der Haftzeit ihrer Mutter zur Welt.

"Zusammen am Richtungswechsel arbeiten"

Die drei Frauen sind in ein spezielles Behandlungsprogramm aufgenommen worden. Name: Zara. Die Buchstaben stehen für die Worte: "Zusammen am Richtungswechsel arbeiten." In einem abgetrennten Teil der Haftanstalt werden die bis zu 14 Teilnehmerinnen auf eine Therapie nach der Haftzeit vorbereitet. Die Unterschiede zum Normalvollzug fallen ins Auge: An den Zellentüren steht neben der Nummer ein Namensschild, die Zellen sind elf statt sieben Quadratmeter groß. Sogar ein Gemeinschaftswohnzimmer gibt es: mit Sesseln und einem Fernseher.

Gefangene außerhalb der Abteilung werden nicht so intensiv betreut. Die Mittel der Anstalt sind begrenzt. "Wir müssen Schwerpunkte setzen", sagt die Anstaltsleiterin. "Und wir wissen, dass wir nicht jede Frau erreichen können."

Auch Silvia hat schon einmal einen Aufenthalt in der Zara-Gruppe abgebrochen, weil sie die strengen Regeln als Gängelung empfand. "Aber nach der letzten Verurteilung habe ich mir gesagt, dass ich mein Leben wieder haben möchte." In wenigen Tagen wird sie die Gefängnistore hinter sich lassen und in einer Klinik eine Therapie beginnen. Sie geht ohne Groll. "Wenn der Knast nicht gewesen wäre", sagt die 37-Jährige, "wäre ich doch schon längst tot."

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