Die Neonazi-Szene ist hoch aktiv Immer mehr rechte Gewalt in NRW

Bochum · In NRW sammelt sich eine aktive und gewaltbereite Neonazi-Szene. In Bochum sind in dieser Woche fünf Frauen verprügelt worden. In Dortmund sammelt sich eine neue rechtsextreme Bewegung.

Die fünf jungen Frauen stehen an der Haltestelle vor dem S-Bahnhof im Bochumer Stadtteil Langendreer und warten auf den Bus. Von hinten nähert sich ihnen eine sechsköpfige Gruppe Männer mit kurz geschorenen Haaren, Springerstiefeln und Bomberjacken. Ohne Vorwarnung prügeln die Neonazis mit Totschlägern und Schlagstöcken auf die wehrlosen Frauen ein, die der linken Szene angehören. Zwei von ihnen werden so schwer verletzt, dass sie in ein Krankenhaus müssen. Die Schläger flüchten. Dieser brutale Überfall am Dienstagabend war der bereits vierte Vorfall mit rechtsextremem Hintergrund im Langendreer Bahnhofsumfeld in den vergangenen Tagen. Zuvor hatten Neonazis Passanten beschimpft und mit Eiern beschmissen sowie aus fahrenden Autos den Hitlergruß gezeigt und dabei grölende Nazi-Musik gespielt.

Ein Jahr nach Bekanntwerden der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) haben in NRW die Gewalttaten der rechtsextremen Szene stark zugenommen. Besonders im Ruhrgebiet verzeichnet die Polizei zunehmend fremdenfeindliche Übergriffe. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres zählte das Landeskriminalamt (LKA) 2133 Delikte von Rechtsextremen, darunter Körperverletzungen, Volksverhetzungen, Verstöße gegen das Vereins- und Versammlungsgesetz sowie Einbrüche und Diebstähle. "Das zeigt, dass Rechtsextremisten eine Gefahr für unsere gesamte Gesellschaft sind", sagt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Trotz der sehr aktiven NeonaziSzene spielen rechtsextreme Parteien wie die NPD und Pro NRW hierzulande kaum eine Rolle. Bei der Landtagswahl im Mai erreichte die Nationaldemokratische Partei Deutschlands gerade einmal 0,7 Prozent der Wählerstimmen. "Landespolitisch sind sie bedeutungslos", sagt ein Sprecher des Innenministeriums. In NRW hat die NPD rund 700 Mitglieder. Auf kommunaler Ebene sitzen NPD-Politiker in knapp 20 Stadträten — unter anderem in den Ruhrgebietsmetropolen Bochum, Dortmund und Essen, die allgemein als braune Hochburgen in NRW gelten. "Es ist aber nicht so, dass sie da politische Macht ausüben können, da sie nur über ein Einzelmandat verfügen", sagt ein Ministeriumssprecher.

Die Landeszentrale der Partei ist erst vor wenigen Wochen von Bochum-Wattenscheid nach Essen-Kray in einen Hinterhof verlagert worden. Es ist ein Stadtteil mit besonders hohem Ausländer- und Migrantenanteil, mehr als 50 verschiedene Nationalitäten leben dort. Politik und Polizei werten den Umzug als gezielte Provokation. Der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer bestreitet das. Ralf Jäger, der auf ein bundesweites NPD-Verbot dringt, bezeichnet rechtsextreme Funktionäre wie Cremer als "Neonazis in Nadelstreifen", die das demokratische System der Bundesrepublik durch antisemitische und rassistische Ideologien aushöhlen und beseitigen wollten.

Besonders gut organisiert ist die Partei im Internet. Die Bezirks- und Kreisverbände verfügen fast flächendeckend über einen eigenen, gut strukturierten Auftritt im Netz. Ebenso aktiv ist die NPD auf sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Facebook und Twitter. Auf diesen Plattformen verbreitet sie fast täglich neue ausländerfeindliche Botschaften. Nach wie vor präsent ist die NPD auf öffentlichen Veranstaltungen und in Fußgängerzonen. Jedoch hat die Partei im Straßenwahlkampf ihre Strategie grundlegend geändert. Anders als noch vor einigen Jahren, als glatzköpfige Biedermänner in Anzügen plumpe Parolen von sich gaben und offen gegen Ausländer hetzten, verteilen nun attraktive blonde Damen mit tiefen Dekolletés Propagandamaterial. So verschenkten zuletzt auf dem Klever Weihnachtsmarkt zwei Frauen in knappen Nikolauskostümen Gummibärchen mit NPD-Flyern an Kinder und Jugendliche. "Mit dieser Masche versuchen die Rechtsextremen von ihrer wahren Identität abzulenken und quasi durch die Hintertür für sich zu werben", erklärt ein Sprecher des Verfassungsschutzes.

Während sich das Auge des Gesetzgebers wegen der Diskussion um das Verbotsverfahren derzeit fast ausschließlich auf die NPD richtet, entsteht in Dortmund eine neue rechtsextreme Bewegung. Die erst vor wenigen Monaten gegründete Partei "Die Rechte", eine Nachfolgeorganisation der verbotenen "Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund", schart laut Bundesamt für Verfassungsschutz zunehmend gewaltbereite Nationalisten um sich. Auf der Jahrestagung des Bundeskriminalamtes vor zwei Wochen bezeichnete Generalbundesanwalt Harald Range die Entwicklung in Dortmund als besorgniserregend und mahnte, dass die Sicherheitsbehörden für diese im Geheimen operierende Form des Rechtsextremismus noch nicht ausreichend gewappnet seien.

(RP/pst)
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