Katastrophale Mängel beim U-Bahn-Bau Immer wieder Kölner Klüngel

Köln (RP/RPO). Korruption, Skandale, Vetternwirtschaft. Immer wieder gerät die Stadt Köln damit in die Schlagzeilen. Das Desaster des U-Bahnbaus setzt der Sammlung die Krone auf. Möglicherweise muss die Stadt eine Baustelle sogar fluten. Die Kölner sind schockiert. Der Klüngel ist in ihrer Heimatstadt einfach nicht totzukriegen. Dafür gibt es gute Gründe.

Das Netz spottet über den Kölner U-Bahn-Pfusch
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Ein Jahr ist es her, dass das Kölner Stadtarchiv einstürzte. Die Bauaufsicht wurde einer Ingenieurgesellschaft übergeben. Der nach außen vermittelte Eindruck: das Bauwerk ist jetzt sicher. Jetzt das unsanfte Erwachen. Als der Vorwurf publik wurde, Eisenteile seien an einen Schrotthändler verhökert worden, kamen scheibchenweise katastrophale Mängel ans Licht.

Die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) und die Stadt stellen nun die Zusammenarbeit mit den zuständigen Baufirmen infrage. Das federführende Unternehmen Bilfinger Berger zog personelle Konsequenzen und suspendierte einen Polier, einen Bauleiter und einen Oberbauleiter vom Dienst. Prüfungen hatten ergeben, dass in der U-Bahn-Baustelle nicht die vorgeschriebene Zahl von Eisenbügeln in die so genannten Schlitzwände eingebaut worden ist, die zur Stabilisierung der Gruben dienen. Vermessungsprotokolle sollen gefälscht worden sein.

Bis Freitag soll nun in die Haltestelle Heumarkt ein zusätzliches Schott eingebaut, um die Baustelle notfalls fluten zu können. So könnte bei Rheinhochwasser ein Druckausgleich zwischen innerem und äußerem Grundwasserstand stattfinden, erklärte die KVB. Derzeit liegt der Rheinpegel bei 2,7 Meter. Bei einer Schneeschmelze könnte ein kritischer Pegel von vier Meter schon in der nächsten Woche erreicht werden, hieß es.

Die Stadt Köln und die KVB stehen vor einem Scherbenhaufen. Die Bevölkerung ist verunsichert. Wer glaubt jetzt noch den Beteuerungen, die Baustellen seien sicher? Denn immer wieder sieht sie sich mit Skandalen, Misswirtschaft und Klüngelein konfrontiert. Die undurchsichtigen Geschäfte rund um die Ausschreibung der Kölner Messe, die er europäische Gerichtshof später als rechtswidrig brandmarkte. Der Sparkassenskandal im Frühjahr 2009, der sogar auf höchster kommunalpolitischer Ebene Köpfe rollen ließ.

Der Sparkassen-Fall kann als Paradebeispiel für das Geschiebe unter den Kölner Eliten herhalten. Als Bürgermeister Josef Müller (CDU) Ende 2000 als CDU-Fraktionsgeschäftsführer abgeschoben wurde, waren sich die Strippenzieher von SPD und CDU einig, dass der "Jupp" versorgt werden müsse. Heraus kam ein mit Hunderttausenden Euro dotierter Beratervertrag mit einer Tochtergesellschaft der Sparkasse Düsseldorf. Tatsächlich bezahlt wurde Müller von der Sparkasse Köln-Bonn — ein perfekt eingefädeltes Klüngelmachwerk.

Was die Kölner Bürger besonders ärgern muss: Das Ganze hat System. Es heißt Klüngel, funktioniert parteiübergreifend und gehört zu Köln wie der Dom und der Karneval. Der 2003 verstorbene Kölner Soziologe Erwin K. Scheuch hat dieses Gemisch gegenseitiger Gefälligkeiten und Abhängigkeiten in einem Dreistufenmodell erklärt. Stufe 1: Wer als Politiker Kritikwürdiges vorhat, nehme wirkliche und mögliche Gegner mit ins Boot. Stufe 2: Für erwiesene Gefälligkeiten verlange man die Belohnung nicht hier und heute. Stufe 3: Die Absprache darf nicht ruchbar werden.

Woran es liegt, dass die Kölner so klüngel- und damit so korruptionsanfällig sind? Ein Blick in die Geschichte hilft. Im Mittelalter zwang das Stapelrecht die Händler, ihre Waren, die sie über den Rhein bringen wollten, zuerst in der Stadt anzubieten. So war man in Köln frühzeitig auf ein gegenseitiges Geben und Nehmen eingestellt. "Der Klüngel ist tief in der kölschen Seele eingegraben", schreibt der Kölner Politikwissenschaftler Frank Überall.

Anfang des 20. Jahrhunderts prägte der damalige Kölner OB Konrad Adenauer den Ausspruch "Mer kenne uns, mer helfe uns". Dieses Motto des "guten Klüngels" gilt bis heute — und wird von den Kölnern stolz in zahlreichen Liedern besungen: "Nit nur nemme, och jönne künne", heißt es bei der Kultband "Höhner". Für die Kölner ist Klüngel eben nicht nur die Verniedlichung von Korruption, sondern zunächst einmal "etwas zutiefst Sympathisches, Menschliches und Demokratisches", sagt Überall.

(RP)
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