"Containern" in Deutschland Jeden Abend kommt das Essen aus dem Müll

Düsseldorf · Es gibt Menschen in Deutschland, die leben aus der Mülltonne. Und das nicht, weil sie kein Geld für Lebensmittel haben. Zu einer ausgeprägten Sparsamkeit mischt sich Protest gegen die Auswüchse der Wegwerfgesellschaft. Und so machen sich die "Containerer" allabendlich über die Mülltonnen der Supermärkte her – und begehen dabei eine Straftat.

 Ab späten Abend durchwühlt ein Student die Container eines Supermarkts. Er findet hier oft reichlich Nahrung, die noch zum Verzehr geeignet ist.

Ab späten Abend durchwühlt ein Student die Container eines Supermarkts. Er findet hier oft reichlich Nahrung, die noch zum Verzehr geeignet ist.

Foto: ddp

Wenn die Supermärkte geschlossen haben, beginnt Stefan Schmidt (Name geändert) mit seiner Protestaktion. Am Liefereingang eines Erfurter Discounters greift der 22-jährige Student in eine Abfalltonne und wühlt. Über die Hand hat er sich einen Einweghandschuh gestreift, von seiner Stirn bestrahlt eine kleine Lampe den Müll.

 Der junge Mann handelt streng genommen illegal. Das Stehlen von Müll ist verboten.

Der junge Mann handelt streng genommen illegal. Das Stehlen von Müll ist verboten.

Foto: ddp

"Ich finde es schwachsinnig, dass wir in so einer Wegwerfgesellschaft leben", ruft Schmidt, während er Traubensaft und Paprikawurst aus der Tonne fischt. Neben ihm packt eine junge Frau - ebenfalls "Containerin" - geräucherten Lachs in ihre Tasche. Nach ein paar Minuten haben beide ihre Rucksäcke voll. "Das war eine gute Ausbeute", sagt Schmidt und fährt mit seinem Fahrrad davon.

Wenn Schmidt Hunger hat, braucht er kein Geld. Er isst das, was die Supermärkte wegen des überschrittenen Haltbarkeitsdatums aussortieren. Er kocht mit dem, was er in den Tonnen findet. "Containern" wird dieser Trend genannt.

"Ich verstehe einfach nicht, warum Sachen weggeworfen werden, die man noch essen kann", sagt der Student. Obwohl er auch ohne die Nahrungsmittel aus den Mülltonnen leben könnte, macht er sich einmal in der Woche auf seine Tour. Für ihn ist das Containern auch ein politisches Zeichen gegen den Überfluss in der Gesellschaft.

"Containern" ist strafbar

"Es handelt sich dabei um Diebstahl", sagt Ulrike Hörchens vom Handelsverband Deutschland (HDE). Die Verbandssprecherin hat wenig Verständnis für Leute wie Schmidt. Wer wirklich bedürftig sei, könne sich an die Tafeln wenden. Sie böten einwandfreie Lebensmittel an. "Viele Unternehmen arbeiten eng mit den Tafeln zusammen und spenden Lebensmittel, bei denen das Haltbarkeitsdatum in wenigen Tagen ablaufen würde", lautet ihr Fazit aus Sicht der Händler.

Auch "Containerer" Schmidt weiß, dass er die Lebensmittel streng genommen klaut. "Ich will den wirklich Bedürftigen aber auch nichts von der Tafel wegnehmen." Für den Studenten überwiegen die politische Botschaft und die Überraschung, was er in den Tonnen findet. "Da wird mir die Entscheidung abgenommen, was ich kaufen soll", sagt er, während sein Rad über den Schnee schlittert.

Der große Vorteil im Winter sei, dass die Lebensmittel nicht so schnell schlecht werden. "Bis drei Tage über dem Mindesthaltbarkeitsdatum kann man die Sachen eigentlich immer noch essen", sagt Schmidt. Bei einer Woche würde es jedoch bei Milchprodukten kritisch. "Die meisten Produkte werden aber nicht schlecht, nur weil das Datum abgelaufen ist." Das bestätigt auch die Verbraucherzentrale Thüringen. "Mit dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums ist das Lebensmittel nicht automatisch verfallen", sagt Sprecherin Petra Müller.

Noch nie mit leerem Rucksack

Die üppige Auswahl des ersten Supermarktes wiederholt sich an diesem Dienstagabend nicht. Nach mehreren Fehlschlägen hofft Schmidt auf die letzte Anlaufstelle der Tour. "Da gibt es eigentlich immer was zu holen", sagt er und springt von seinem Rad. Doch auch hier wird der "Containerer" enttäuscht. Nur ein paar zerbrochene Schoko-Weihnachtsmänner und eine Packung Käse liegen am Boden der schwarzen Tonne.

"Glückssache", murmelt Schmidt. Strategisch sei der Samstagabend am besten, weil die Händler dann auch Ware wegwerfen, die am Sonntag verfällt. "Mit leeren Händen bin ich noch nie nach Hause gekommen", sagt der 22-Jährige. Wenn man die Strecke häufiger abfahren würde, könne man von den "Abfällen" ganz gut leben. "Aber ich brauche es zum Glück nicht existenziell."

Nach anderthalb Stunden in der Kälte breitet Schmidt in seiner Wohnung die Abendbeute aus. Neun Flaschen Traubensaft, drei Packungen Wurst, Fruchtzwerge, Vanillejoghurt, Zitronenkuchen. Kein Produkt ist länger abgelaufen als zwei Tage. Zusammen ein Wert von rund 35 Euro. "In den nächsten Tagen kommen ein paar Jungs zu Besuch", sagt Schmidt. "Für die habe ich erst mal ausgesorgt."

(csi/rpo)
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