Statistisches Bundesamt Jugendkriminalität geht weiter zurück

Wiesbaden · Deutsche Gerichte haben erneut weniger Menschen rechtskräftig verurteilt. Rund 773.900 Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene mussten 2012 eine Haft- oder Bewährungsstrafe antreten, eine Geldstrafe bezahlen oder eine Arbeitsauflage erfüllen.

 Gefühlt nimmt sie zu - doch statistisch gesehen gibt es in Deutschland weniger Jugendkriminalität.

Gefühlt nimmt sie zu - doch statistisch gesehen gibt es in Deutschland weniger Jugendkriminalität.

Foto: dpa, Karl-Josef Hildenbrand

Das waren vier Prozent weniger als im Vorjahr und 14 Prozent weniger als 2007 - dem ersten Jahr der flächendeckenden Erhebung. Die größte Gruppe der Straftaten waren Delikte im Straßenverkehr (22 Prozent), wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Mittwoch mitteilte.

Die Geldstrafe ist nach wie vor mit Abstand die häufigste strafrechtliche Sanktion (72 Prozent). Nur knapp jeder Fünfte (18 Prozent) wurde zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe verurteilt. Bei sieben von zehn der Verurteilten wurde diese zur Bewährung ausgesetzt. Zehn Prozent der Verurteilten wurden mit sogenannten Zuchtmitteln und Erziehungsmaßregeln nach dem Jugendstrafrecht sanktioniert. Dazu gehören etwa Jugendarrest, Arbeitsauflagen und sogenannte Weisungen.

Jugendkriminalität geht weiter zurück

Mit brutalen Übergriffen schrecken jugendliche U-Bahn-Schläger oder Messerstecher immer wieder die Öffentlichkeit auf. Die Statistik zeigt allerdings: Die Jugendkriminalität in Deutschland geht weiter zurück. Wie lässt sich dieser Trend erklären?

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts wurden 2012 fast 114.800 Jugendliche und Heranwachsende verurteilt - 26 Prozent weniger als 2007. Woher kommt dieser starke Rückgang? Eine naheliegende Erklärung ist die demografische Entwicklung, es gibt immer weniger Jugendliche und junge Erwachsene. "Daher geht auch die Fallzahl bei der Jugendkriminalität zurück", sagt der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Prof. Rudolf Egg. Die Öffentlichkeit reagiert außerdem immer sensibler auf Jugendgewalt. "Gewaltdelikte werden negativer einschätzt als noch vor einigen Jahren", erklärt der Erziehungswissenschaftler Prof. Bernd Dollinger, der an der Universität Siegen über Jugendkriminalität forscht. Jugendliche würden vor allem dann kriminell, wenn ein solches Verhalten in ihrem Freundeskreis "in" sei und es dafür Anerkennung gebe. "Ob Drogen, Gewalt oder Diebstahl: Freunde sind ganz entscheidend, um die Kriminalitätsneigung zu begrenzen."

Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?

Studien zufolge gibt es in Familien weniger Gewalt, wie Dollinger sagt - es wird weniger geprügelt. Wenn Jugendliche keine Gewalt erfahren, würden sie selbst auch weniger gewalttätig.
Präventionsarbeit in der Schule könnte ebenfalls positiv wirken: "Indem etwa Achtung für andere vermittelt wird und der Umgang mit Heterogenität." Dollinger betont allerdings, Klagen über Jugendliche habe es schon immer gegeben - und auch den "Mythos", dass junge Leute immer brutaler würden. "Meine platte These lautet:
Jugendgewalt und Jugendkriminalität gehen manchmal nach oben und manchmal nach unten. Eine 100-prozentige Erklärung werden Sie nicht bekommen können." Auch nach Eggs Auffassung ist es schwierig, den Rückgang schlüssig zu erklären. Seine - von Soziologen gestützte - Vermutung: "Vielleicht werden wir eine friedlichere Gesellschaft."

Warum ist die Wahrscheinlichkeit, verurteilt zu werden, im Alter von Anfang bis Mitte 20 besonders hoch?

Diese Zeit der Entwicklung, in der junge Leute ihren Lebensweg suchen, sei auch die Zeit der Experimente, sagt der Marburger Erziehungswissenschaftler Prof. Benno Hafeneger. "Es ist eine offene Entwicklungszeit, die facettenreich ist. Sie kann gut gelingen - aber sie kann auch misslingen, zwischen Drogen und Kriminalität."

Wie lässt sich Jugendkriminalität sinnvoll bekämpfen?

Harte Maßnahmen wie eine Inhaftierung sind Dollinger zufolge mit einer hohen Rückfallquote verbunden. Jugendrichter griffen daher oft zu Alternativen wie etwa Arbeitsleistungen. Häufig weichen aber auch die anfänglichen Ermittlungen der Polizei und die spätere Entscheidung des Jugendgerichts stark voneinander ab, betont Dollinger: "Polizisten stufen die Delikte oft relativ hart ein, Juristen beurteilen das aber oft anders."

(dpa)
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