Klagewelle befürchtet NRW ist Schlusslicht bei U3-Betreuung

Düsseldorf · Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Kommunen für fehlende Kita-Plätze haften. Doch die NRW-Städte bleiben angesichts einer drohenden Klagewelle wegen des schleppenden Ausbaus gelassen. Die NRW-Regierung spricht von einer beispiellosen Aufholjagd.

Kita-Urteil: NRW ist Schlusslicht bei U3-Betreuung
Foto: dpa, jew dna jai

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat am Donnerstag ein richtungsweisendes Urteil gefällt. Eltern, die keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder im Alter von einem Jahr oder zwei Jahren bekommen, können Schadenersatz von der Kommune verlangen — vorausgesetzt, sie trägt eine Mitschuld an dem Kitaplatz-Mangel. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was genau besagt das Gesetz?

Der entsprechende Passus entstammt dem achten Sozialgesetzbuch (genauer gesagt: § 24, Absatz 2, Satz 1). Dort heißt es: "Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege."

Was gilt für Kinder, die jünger als ein Jahr alt sind?

Auch diese werden in bestimmten Einrichtungen betreut. Allerdings haben Eltern keinen Rechtsanspruch auf eine U1-Platz. Laut Statistischem Bundesamt hat die Kindertagesbetreuung der unter Einjährigen mit einer bundesweiten Betreuungsquote von 2,5 Prozent eine nachrangige Bedeutung.

Wie viele U3-Plätze gibt es derzeit in NRW?

Laut Statistischem Bundesamt liegt NRW bei den U3-Plätzen im Ländervergleich mit einer Betreuungsquote von 25,7 Prozent auf dem letzten Platz. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 32,7 Prozent.

Was sagt die Landesregierung zur schlechten Betreuungsquote?

Das Familienministerium spricht von einer "beispiellosen Aufholjagd" in den vergangenen Jahren. "Gab es im Kindergartenjahr 2010/11 für Kinder unter drei Jahren insgesamt 88.664 Betreuungsplätze, haben die Jugendämter für das laufende Kindergartenjahr 2016/17 insgesamt 168.742 Betreuungsplätze angemeldet", erklärte ein Sprecher. Die Zahl sei also innerhalb von sechs Jahren nahezu verdoppelt worden. "NRW hat damit mittlerweile den Anschluss an die westdeutschen Flächenländer gefunden." Die Opposition im NRW-Landtag begrüßte das Urteil, denn es zwinge die Landesregierung, "den U3-Ausbau endlich stärker als bisher voranzutreiben", sagte Bernhard Tenhumberg, familienpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion.

Muss NRW sich auf eine Klagewelle einstellen?

"Bislang gibt es keine Klagewelle in NRW, und wir rechnen auch nicht damit", sagte ein Sprecher des Städte- und Gemeindebundes NRW unserer Redaktion. In der Regel könnten die Kommunen die Anforderungen befriedigen. Allerdings räumt auch er ein, dass der Bedarf schneller gewachsen sei als ursprünglich prognostiziert wurde. "Die U3-Betreuung ist Opfer ihres eigenen Erfolges", so der Sprecher.

Wie beurteilt die Bundesregierung die Entscheidung des BGH?

"Es ist gut, dass es einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz gibt", betonte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). "Das Urteil zeigt: Wir müssen weitermachen beim Ausbau von Kitaplätzen, aber auch bei der Betreuung von Grundschulkindern." Eine gute Kinderbetreuung sei maßgeblich dafür, dass Eltern Familie und Beruf bewältigen könnten. Der Staat habe mehr als 400.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren in den letzten zehn Jahren geschaffen. "Doch der Ausbau muss weitergehen", so Schwesig.

Gibt es auch Kritik am Urteil?

Ja, vom Landkreistag. "Nach unserer Überzeugung steht Eltern kein Schadenersatz wegen Verdienstausfalls zu, wenn ihre Kinder mit Vollendung des ersten Lebensjahres keinen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung erhalten haben", sagte Hauptgeschäftsführer Hans-Günter Henneke. Der Rechtsanspruch diene der frühkindlichen Bildung der Kinder und nicht der Erwerbstätigkeit der Eltern. "Insofern erachten wir das Urteil in seiner Tendenz für falsch."

(mar / plü / tor)
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