Präsident für Verschärfung des Waffenrechts Köhler gedenkt der Opfer von Winnenden

Winnenden/Berlin (RPO). Bundespräsident Horst Köhler hat am Donnerstag an der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Amoklaufs von Winnenden teilgenommen. "Meine Frau und ich, wir sind hierhergekommen, um diesen Tag mit Ihnen zu teilen", sagte er seiner Ansprache vor der Albertville-Realschule am ersten Jahrestag des Verbrechens.

Winnenden trauert um die Getöteten
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"Da ist viel Schlimmes, was wir teilen müssen: Einsamkeit. Leere. Sinnlosigkeit. Verzweiflung. Angst. Und auch Hass", fügte Köhler laut Redemanuskript hinzu. Köhler nannte die Namen der toten acht Schülerinnen, des Schülers, der drei Lehrerinnen und der drei Männer, die der Täter auf seiner Flucht tötete. "Und ich füge auch heute hinzu: Auch die Familie des Täters hat ein Kind verloren. Auch für sie ist eine Welt zusammengebrochen", sagte Köhler.

Über die Frage, was getan werden könne und müsse, um solche Schrecken zu verhindern, habe er viele Gespräche geführt mit Psychologen und mit Experten für Waffenrecht, mit Abgeordneten und Ministern, mit Medienfachleuten und Polizisten, sagte der Bundespräsident.

Er forderte die Politik auf, das Waffenrecht weiter zu verschärfen. "Es kann auch viel geschehen - noch mehr als bisher - damit gefährdete Menschen nicht an Schusswaffen gelangen und Schulen und ähnliche Orte noch besser vor Anschlägen geschützt sind", betonte Köhler. Die jüngste Novellierung des Waffengesetzes durch den Bundestag sei ein Zeichen dafür, dass ein Umdenken begonnen habe. "Die Parlamente und die Regierungen des Bundes und der Länder sollten diesen Prozess weiter voranbringen und begleiten - und die Schützenvereine sollten ihnen dabei helfen", fügte er hinzu.

Appell für mehr Achtsamkeit

Köhler appellierte an die Gesellschaft, sich gemeinsam gegen eine drohende Verrohung zur Wehr zu setzen und Grenzen zu ziehen. Die Meinungen der Wissenschaft darüber, ob Videospiele Handlungsanleitungen für potenzielle Täter seien, gingen auseinander.

Das Staatsoberhaupt bat alle um einen achtsamen Umgang miteinander, um das Gefühl der Zusammengehörigkeit wachsen zu lassen. "Wir können darauf achten, dass niemand abseits bleibt. Wir können mehr Anteil nehmen aneinander, statt achtlos vorüberzugehen."

Einen besonderen Appell richtete Köhler an die Medien. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass detaillierte Berichterstattung über die Täter, ihre Motive, ihre Planungen, ihre Vorgehensweise sowie Tatablauf, Kleidung und Waffen Nachahmer auf den Plan rufe.

Gedenkplatte niedergelegt

Rund 1000 Betroffene hatten am Donnerstagmorgen bei einer geschlossenen Gedenkveranstaltung an die Opfer des Amoklaufs erinnert. Schüler, Lehrer und Angehörige versammelten sich in der Winnender Stadthalle, wie eine Polizeisprecherin sagte.

Schüler gestalteten die Gedenkstunde auf sehr persönliche Weise. "Ein Jahr danach fällt es uns immer noch schwer, mit dem Geschehenen zu leben", sagte eine Schülerin in einer Ansprache. Sie bildeten unter anderem eine Menschenkette um die Schule. Viele Bürger kamen auf die Straßen und hielten für eine Schweigeminute inne.

Um 9.33 Uhr fand auf dem Schulhof eine Gedenkminute statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Amokläufer Tim K. im vergangenen Jahr die Schule gestürmt. Zum Tatzeitpunkt läuteten im ganzen Landkreis die Kirchenglocken. Landesweit wehten viele Fahnen auf Halbmast.

Beim anschließenden öffentlichen Teil legten Jugendliche vor der Schule je eine Gedenkplatte für die Getöteten nieder. Sie reihten selbst gestaltete Trauersymbole auf, darunter eine Skulptur aus Händen als Zeichen für die Hilfe von Außenstehenden. Die Jugendlichen bedankten sich für die Unterstützung. Die Mutter eines Opfers spielte ein selbst komponiertes Stück auf dem Klavier.

Die Rektorin der Albertville-Realschule, Astrid Hahn, lobte die "starke Gemeinschaft", die im vergangenen "unendlich schweren Jahr" geholfen habe. Jeder müsse nun seinen Weg "in eine gute Zukunft gehen" können. "Wichtig ist, dass keiner auf diesem Weg liegenbleibt", sagte Hahn. Als Symbol für den steinigen Weg in die Zukunft legten die Schüler einen Weg aus Steinen, die mit Botschaften der Hoffnung beschriftet waren. Auch die Gäste konnten Steine beschriften. "Es wird ein langer Weg für unsere Schule werden", sagte Hahn.

Diskussion um Waffengesetz

Zum Jahrestag des Amoklaufs kritisierte der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) eklatante Sicherheitsmängel beim Waffenbesitz. Der BDK-Vorsitzende Klaus Jansen sagte, immer noch kämen junge Männer viel zu leicht an Waffen heran.

Jansen monierte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" Verstöße gegen das verschärfte Waffenrecht. "Stichproben der Behörden in Baden-Württemberg haben ergeben, dass mehr als die Hälfte der Waffenbesitzer ihre Pistolen und Munition nicht wie vorgeschrieben unter Verschluss halten", sagte er. Amok-Notfallpläne an den Schulen stünden zudem in der Regel nur auf dem Papier.

Der BDK-Chef warf der Politik vor, sie habe "vor der Waffenlobby kapituliert". Noch immer seien schwere Waffen in Privathand legal, noch immer dürften Waffe und Munition in derselben Wohnung aufbewahrt werden. "Das Hobby des Schießsports hat in Deutschland nach wie vor Vorrang vor Menschenleben." Vor diesem Hintergrund habe der Gedenktag am heutigen Donnerstag für die Hinterbliebenen einen bitteren Beigeschmack.

Auch der damalige SPD-Verhandlungsführer bei der Verschärfung des Waffenrechts, Fritz Rudolf Körper, sprach im Deutschlandfunk von zum Teil "recht massiven" Versuchen der Waffenlobby, die Gesetzesänderung zu beeinflussen. Unter dem Eindruck des Amoklaufs habe eine "etwas hektische Situation" geherrscht. Körper kritisierte, das Waffenzentralregister werde nicht vehement genug eingeführt. Er regte an, die Amnestie für die Abgabe illegaler Waffen zu wiederholen. Zudem beklagte er personelle Engpässe bei der Kontrolle von Waffenbesitzern.

Bosbach: Reform erfolgreich

Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), bezeichnete die Reform des Waffenrechts in der "Mitteldeutschen Zeitung" hingegen als erfolgreich. "Sie hat das Bewusstsein dafür geschärft, dass Waffen gerade zu Hause sicher aufbewahrt werden müssen", sagte der CDU-Politiker.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wandte sich gegen einen Generalverdacht gegen Sportschützen und Jäger. Die allermeisten Besitzer würden sehr sachgerecht mit ihren Waffen umgehen., sagte er im Bayerischen Rundfunk. Der Amoklauf im September an einem Gymnasium in Ansbach habe gezeigt, dass Täter auch mit selbst gebastelten Waffen wie Molotowcocktails vorgehen: "Wer meint, einen Amoklauf allein durch Waffenkontrollen verhindern zu können, der ist auf dem Holzweg."

Am 11. März 2009 hatte der 17-jährige Tim K. bei einem Amoklauf in Winnenden und seiner anschließenden Flucht in Wendlingen 15 Menschen und anschließend sich selbst getötet.

(DDP/apd/KNA/das)
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