Auschwitz Erinnerungen an die Hölle

Oswiecim · Vor 70 Jahren wurde das deutsche Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Eine der letzten Überlebenden der Katastrophe erzählt ihre leidvolle Geschichte.

Auschwitz 70 Jahre nach der Befreiung
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Auschwitz: Bilder vom Ort des Verbrechens

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Foto: RP/Sebastian Fuhrmann

Endlich geht die Tür auf, eine alte Dame tritt herein, da sitzt sie nun. Die 91-jährige Zofia Posmysz ist eine der letzten 300 Überlebenden von Auschwitz, dem Zentrum der NS-Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg. Zwei Wochen vor dem 70. Jahrestag der Befreiung erzählt sie mir ihre Geschichte. An dem Ort, an dem die Nazis im Zweiten Weltkrieg 1,1 Millionen Menschen reuelos ermordeten. Dort, wo auch sie zweieinhalb Jahre lebte. Ich bin froh, einer von denen zu sein, die ihre Geschichte noch von ihr selbst hören durften. Schon beim nächsten runden Tag der Befreiung könnte der letzte Zeuge tot sein.

Es ist 1942. Die Deutschen haben den Westen Polens unter ihre Kontrolle gebracht. Alle Bildungseinrichtungen sind geschlossen, Studenten müssen arbeiten, andernfalls droht ihnen Zwangsarbeit. Es ist das Jahr, in dem Posmysz nach Auschwitz deportiert wird. Sie ist keine Jüdin, aber sie hat sich den Verboten widersetzt.

Nach der Arbeit in einem deutschen Soldatencasino trifft sie sich mit einer Gruppe junger Menschen in immer wechselnden Häusern heimlich, um zu studieren. Sie fliegt auf und wird in ein Gestapo-Gefängnis gebracht, wo sie gequält und misshandelt wird, von dort aus geht es nach Auschwitz.

1940 wurde das Lager nahe der polnischen Stadt Oswiecim gegründet. Zwei Jahre später bauten es die Deutschen zu einem Vernichtungslager aus. Posmysz kommt dorthin, wo seit 1942 die meisten Menschen in Gaskammern starben: nach Birkenau. Hunderttausende strandeten dort in überfüllten Zugwaggons, manchmal 50.000 am Tag. Empfangen wurden sie von KZ-Ärzten, die Kinder von ihren Müttern trennten und ohne Umweg in die als Duschräume getarnten Gaskammern schickten, ihre Mütter wurden zur Zwangsarbeit gezwungen, ältere Juden sofort vergast.

Posmysz war erst 18 und war gesund. Als sie ankam, ahnte sie wie so viele nicht, was in Auschwitz passierte. "Als ich den Schriftzug ,Arbeit macht frei' las, dachte ich nicht, dass es mir so schlecht gehen würde", erzählt sie. Erst mit der Zeit, bei der Arbeit auf dem Feld zu der Posmysz bei bitterer Kälte abkommandiert wurde, erkannte sie die Lüge hinter dem Schriftzug und erfuhr von den Massenmorden. Posmysz erzählt von ihrer Ankunft. Mit anderen in einen engen Raum eingepfercht, musste sie sich ausziehen. Danach ging es in die Badewanne. Ein Becken, das sich 50 Menschen teilen mussten.

Ein Wärter schlug ihr ins Gesicht, als sie sich weigerte, in das Becken zu steigen. Alltag in Auschwitz. Es ging aber schlimmer: Häftlinge wurden zur Arbeit in den Krematorien gezwungen und bei medizinischen Experimenten zu Tode gequält. Posmysz spricht an diesem Tag nicht über das alles, aber sie hat es miterlebt, das verraten ihre Augen. Sie kennt die Geschichten von Häftlingen, die eigene Verwandte töten mussten, sie hörte die Schüsse, sah das Blut im Boden versickern und roch die immer verbrannt riechende Luft.

Von den Getöteten zeugen heute Tonnen von Besitztümern. Im Museum liegen Tausende Kinderschuhe und Koffer. Darauf gut lesbar notiert ihre Besitzer und Anschrift. Die Nazis erzählten den Juden an der Rampe, sie würden von dort weiter reisen. Nichts als eine heimtückische Lüge. Wir können all diese Abscheulichkeiten nur sehen und leidlich begreifen, Posmysz hat sie mit- und überlebt, obwohl der Tod allgegenwärtig war: Nachdem einer Frau aus ihrer Gruppe die Flucht gelungen war, schickten die Nazis Posmysz und ihre Gruppe in die Strafkompanie. Nur 103 von 200 Frauen kehren zurück. Posmysz überlebte auch eine Typhus-Epidemie. Sie litt unter blutigem Durchfall. Nach der Befreiung lief sie mit 20 Frauen zurück in die Heimat. Mehrfach wurde die Gruppe von russischen Soldaten überfallen, wahrscheinlich passierte schlimmeres.

Posmysz erzählt von ihrer Mutter. "Ich habe ihr Block 27 gezeigt, in dem ich war, als ich krank war", sagt sie. In Blocks wie diesen würde heute nicht einmal Vieh untergebracht. "Meine Mutter fragte bloß: ,Hier hast du gelebt?'" Zu Hause brach sie in Tränen aus: "Du solltest nie mehr dort hingehen, und du solltest das alles vergessen." Das hat sie aber nie. "Es baut mich auf, wenn ich sehe, dass die Erinnerung an Auschwitz am Leben bleibt", sagt sie. "Davon zu erzählen, bereichert die letzten Jahre meines Lebens. Vielleicht ist es eine Warnung für weitere Generationen."

(RP)
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