Holocaust im Dritten Reich Früherer SS-Buchhalter räumt erneut Mitschuld ein

Lüneburg · Der frühere SS-Buchhalter Oskar G. hat im Lüneburger Auschwitz-Prozess erneut eine allgemeine Mitschuld am Holocaust eingeräumt. Auschwitz-Überlebende und Nebenklage-Anwälte kritisierten die Äußerungen. G. weiche aus.

Er habe sich durch seine Tätigkeit in dem NS-Vernichtungslager "am Holocaust mitschuldig" gemacht, hieß es in einer am Mittwoch von seiner Verteidigerin verlesenen Erklärung des 94-Jährigen. "Mag mein Anteil auch klein gewesen sein", fügte er an.

G. ist vor dem Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen angeklagt, weil er im Zweiten Weltkrieg während der sogenannten Ungarn-Aktion in der Lagerverwaltung des Konzentrations- und Vernichtungslagerkomplexes von Auschwitz tätig war. Er soll als Buchhalter das den Opfern abgenommene Geld verwaltet sowie deren Gepäck auf der sogenannte Rampe bewacht haben.

Er sei letztlich nur für die Verwaltung des Geldes zuständig gewesen, betonte G. am Mittwoch erneut. An der sogenannten Rampe, wo die Opfer ankamen und in den allermeisten Fällen unmittelbar weiter in die Gaskammern geschickt wurden, sei er während der Ungarn-Aktion nur zwei oder drei Mal für Kollegen eingesprungen. In Auschwitz habe er generell versucht, sich "rauszuhalten".

Ihm sei heute allerdings bewusst, dass er einen Beitrag zum Holocaust geleistet habe. "Zu dieser Schuld habe ich mich bereits bekannt und tue das auch weiterhin", hieß es in der Erklärung. Die Verbrechen habe er damals aber in einer Weise verdrängt, die ihm heute "unerklärlich" sei. Die Schilderungen der Überlebenden im Prozess hätten ihn "erschrocken".

Die Holocaust-Überlebende Irene Weiss bezeichnete die neuerlichen Aussagen von G. als unzureichend. "Er weicht aus", sagte die 84-Jährige, die als Jugendliche nach Auschwitz deportiert worden war und am Mittwoch dem Gericht als Nebenklägerin ihre Erlebnisse schilderte. "Ich dachte, dass er sich deutlich entschuldigen und etwas mehr Verantwortung übernehmen würde."

Der Anwalt Thomas Walther, der zahlreiche Nebenkläger vertritt, sprach von einem "Rumgeeiere". Er hätte sich gewünscht, dass G. "eine Entschuldigung formuliert, die sich wirklich persönlich an all die Frauen und Männer richtet", sagte Walther mit Blick auf die Opfer.

In ihrer Zeugenaussage berichtete Weiss, wie sie als 13-Jährige mit ihren Eltern und ihren vier Geschwistern im Frühsommer 1944 aus Ungarn nach Auschwitz deportiert worden war. Nur sie und eine Schwester überlebten.

Unter anderem schilderte sie, wie sie auf der Rampe von ihren Angehörigen getrennt wurde und zur Zwangsarbeit in dem Bereich des Lagers eingeteilt wurde, in dem ganz in der Nähe einer Gaskammer das Gepäck und die Kleidung der Opfer sortiert wurden. Es seien "Berge" gewesen, die niemals kleiner geworden seien.

Jede Nacht habe sie die Pfiffe der Deportationszüge und das Schreien und Beten der todgeweihten Ankömmlinge gehört. "Ich habe mir die Finger in die Ohren gesteckt, um diese Geräusche auszusperren." Der Prozess gegen G. nähert sich dem Ende. Am Donnerstag könnten die Plädoyers beginnen, ein Urteil im Juli wäre möglich.

(AFP)
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