Analyse Meisner beklagt "Katholikenphobie"

Düsseldorf · Der Papst kritisiert die "allzeit sprungbereite Aggression" gegen Kirche und Kleriker. Missbrauchs- und Kölner Klinikskandal sind Wasser auf die Mühlen für Kirchenhasser und deren antikatholischen Furor.

Analyse: Meisner beklagt "Katholikenphobie"
Foto: dpa, Oliver Berg

"Ich teile Ihre Meinung nicht, ich werde aber bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen, dass Sie sie stets frei äußern können."

Was würde der französische Aufklärer Voltaire, dem dieses Zitat zugeschrieben wird, wohl zu den nicht selten tödlichen Verfolgungen sagen, welche Christen weltweit aufgrund ihres Christseins erleiden? Und wie würde Voltaire die "allzeit sprungbereite Aggression" (Benedikt XVI.) kommentieren, die der katholischen Kirche, ihren Klerikern und bekennenden Laien in der deutschen Öffentlichkeit entgegenschlägt?

Hasstiraden gegen die Kirche

Wären die in letzter Zeit vor Hass triefenden Internet-Eintragungen, die pöbelhaften E-Mails, die obszönen Schmierereien am Geburtshaus des Papstes nicht so intellektuell erbarmungswürdig, könnte man denken, es gäbe nach 140 Jahren eine Neuauflage des Bismarck'schen Kulturkampfes gegen den Katholizismus in Deutschland.

Nachdem der vatikanische Erzbischof und Glaubenspräfekt Gerhard Ludwig Müller begrifflich unglücklich eine Pogromstimmung gegen die Kirche diagnostiziert hatte, regten sich sprungbereite Aggressoren zwar über die Wortwahl auf; niemand der Wächter des politisch korrekten Ausdrucks kam aber auf die Idee, eine vorurteilsfreie Debatte über die Kirche mit ihren Fehlern und Vorzügen anzustoßen.

Der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, ein Vorstandsmitglied im Verein für klare katholische Aussprache, sieht Anlass dazu, Priester und Laienmitarbeiter im Erzbistum zu "Tapferkeit im Umgang mit öffentlicher Häme" aufzufordern. Meisner schreibt von einer "Katholikenphobie" in der Gesellschaft. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck wiederum kritisierte in der "WAZ" Meisners Wortwahl als nicht hilfreich. Zur Wahrheit gehört, dass eine schreckliche katholische Minderheit der "Katholikenphobie" Nahrung gegeben hat. Die Stichwörter lauten "Missbrauchs-Skandal" und — zuletzt — Abweisung eines offenbar vergewaltigten Mädchens in zwei katholischen Kölner Kliniken, deren gynäkologische Ambulanzen von allen guten ärztlichen und christlichen Geistern verlassen waren. Meisner, den die Missbrauchs-Fälle erschüttert haben und der sich für die beschämende Abweisung entschuldigt hat, schrieb mit Blick auf die skandalösen Vorgänge, er habe einen in seinen Bischofsjahren selten registrierten Proteststurm erlebt.

Dieser Protest ist nachvollziehbar. So räumte Alois Glück, der Vorsitzende des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, gegenüber dem "Kölner Stadt Anzeiger" ein, die aggressiv-antikirchlichen Stimmungen seien zum Teil Folge schlechter Erfahrungen mit der Kirche. Darüber hinaus lässt sich ein antikatholischer Furor registrieren, in dem sich wütendes Desinteresse an katholischen Grundüberzeugungen mit zu Tage tretendem Unwissen darüber paart.

Die Hemmschwelle sinkt

Der Sprecher des Erzbistums Köln, Christoph Heckeley, stellte dazu gestern fest: "Die Hemmschwelle sinkt immer weiter, die Leute pöbeln drauflos, auf allen Kanälen und bevorzugt im Internet."

So genannte unbequeme katholische Positionen, etwa das unerschütterliche Ja der römischen Weltkirche zum Schutz des Lebens an seinem Beginn und am Ende, werden im günstigen Fall als "umstritten", immer häufiger jedoch wutentbrannt als "mittelalterlich", als menschenfeindlich etikettiert. Wenn etwa der Journalist und Theologe Martin Lohmann katholisch-lehramtliche Positionen gegen Abtreibung und praktizierte Homosexualität bei Talkshow-Gastgebern wie Frank Plasberg oder Günter Jauch vertritt, ist ihm zweierlei gewiss: empörtes Johlen aus dem Zuhörer-Dunkel der Studios, mokantes Lächeln von Mitdiskutanten sowie Moderatoren-Anzüglichkeiten. Frank Plasberg fragte Martin Lohmann hart aber unfair nach ehelichen Sexualaktivitäten. Er sah allerdings seinen peinlichen Niveauverlust immerhin noch im Laufe der TV-Sendung bedauernd ein.

Jauch bezog die nicht anwesende minderjährige Tochter Lohmanns als potentielles Vergewaltigungsopfer in die Debatte über Kirche und die "Pille danach" ein. Das konsternierte Mädchen, so ist aus dem Elternhaus zu hören, erwartet von Jauch eine Entschuldigung für seine Entgleisung, die im Extremfall einen Psychopathen auf schlimme Gedanken bringen könnte.

Der von Eitelkeit nicht freie katholische Bekenner Lohmann strapaziert mit seinem höflich lächelnden Beharren auf der reinen römischen Lehre nicht selten auch die Nerven Wohlwollender innerhalb der deutschen Bischofskonferenz. Es stimmt ja: Der vermeintlich stockkonservative Kardinal Meisner beweist mit seinem überraschenden, übrigens richtigen Ja zur "Pille danach" als Verhütungsmittel gegen Schwangerschaften nach einem Sexualverbrechen mehr katholisches Einsehen und christliche Barmherzigkeit, als so mancher Kampfkatholik im Gewand eines Heiligen der letzten Tage.

Im Matthäus-Evangelium sagt Jesus zu den Seinen: "Seht, ich sende euch wie die Schafe mitten unter die Wölfe . . . Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden." Ein höchstinstanzlicher Appell zur Unbeirrtheit. Lohmann hat mit dem Entzug einer Lehrtätigkeit an einer Privathochschule bereits eine "Quittung" erhalten. Von wegen Meinungsfreiheit.

Profillosigkeit oder Prügel?

Wer weiß, was geschähe, wenn die Kirche, mürbe geworden von Anfeindungen, ihren Posten als große Unzeitgemäße räumte, wenn sie nicht länger nein sagte zu Abtreibung, Suizid, Sterbehilfe, wenn sie ja sagte zur Homo-Ehe, zu Priesterinnen. Ob nicht dann die Nachdenklichen unter den jetzt wutschnaubenden Kritikern ins Grübeln kämen.

Noch scheinen bei Kirchenhassern Tabus zu fallen, wie es der Medienwissenschaftler Norbert Bolz analysiert. Noch ist eine Medienlust am Skandalisieren spürbar, sobald es "selbstbewusst katholisch" zugeht. Noch treffen die Wonnen der Empörung vermeintlicher Aufklärer auf verstimmte, verunsicherte Katholiken, die mit "ihrer" Kirche hadern. Noch einmal die Frage:

Was wäre morgen, wenn die Kirche Zeitgeist-Kirche würde? Wissenschaftler Bolz: Die Frage sei, ob die katholische Kirche eine bedingungslose Anpassungsstrategie fahre und in der spirituellen Bedeutungs- und Profillosigkeit verschwinde, oder ob sie bereit sei, unzeitgemäß zu bleiben und dafür auch Prügel einzustecken.

(RP)
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