Migration Vom Flüchtling zum Steuerzahler

Düsseldorf · Wer Flüchtlingen und Immigranten aus der Dritten Welt noch immer unterstellt, Deutschland auf der Tasche zu liegen, kennt die Geschichte von Ahmad Bashir Yussofi noch nicht. Er war seit seiner Ankunft 1990 noch keinen Tag arbeitslos.

 Ahmad Bashir Yussofi war seit 1990 nicht einen Tag arbeitslos.

Ahmad Bashir Yussofi war seit 1990 nicht einen Tag arbeitslos.

Foto: Endermann, Andreas

So einen Kerl hat Ahmad Yussofi noch nie mit seinem Taxi gefahren. Der Bundestag ist in Bonn, und neben Yussofi sitzt ein betrunkener Politiker, auf der Rückbank die Frau. Sie wollen ins nahe Rheinbach. Yussofi wurde in Afghanistan geboren. Der Politiker fragt: "Wann kehren Sie zurück?" Yussofi ignoriert ihn. Der Mann fragt erneut. "Wenn ich Sie weggebracht habe, fahre ich zurück nach Bonn", sagt er. Doch der Politiker lässt keine Ruhe. "Ich entscheide, wann Sie gehen und bleiben." Yussofi fragt: "Warum sollte ich zurückgehen?"

Warum sollte ein Mann mit deutschem Pass auch zurückgehen? Heute ist Ahmad Yussofi 41 Jahre alt, er wohnt noch immer im Bonner Stadtteil Tannenbusch, den man je nach Weltbild als multikulti oder sozialen Brennpunkt bezeichnen kann. Er ist verheiratet mit einer Frau aus Afghanistan, hat eine Tochter, 15, und einen Sohn, 12, beide gehen aufs Gymnasium. Und er fährt seit 15 Jahren hauptberuflich Taxi. Stolz sagt er: "Ich war noch keinen Tag arbeitslos." Das hat auch damit zu tun, dass er eines Tages aus seiner Heimat geflohen ist.

Kabul, Ende der 80er. Die Russen sind in Afghanistan, um die aufständischen Mudschahidin zu bekämpfen. Im Land ist Krieg. Yussofi ist 16 und lebt mit Mutter, Bruder und Schwester in der Hauptstadt. Sein großer Bruder studiert in Bonn. Sein Vater ist zehn Jahre zuvor gestorben. Yussofi geht noch zur Schule, aber in zwei Jahren muss er zum Militärdienst. Das heißt vier Jahre Einsatz im Krieg. Deshalb gibt es nur eine Möglichkeit. Mit zwei Cousins beschließt er, ins 230 Kilometer entfernte Pakistan zu fliehen.

Sie beauftragen einen Schleuser. Mit Glück und Schmiergeld passieren sie im Bus die Checkpunkte der Zentralregierung, doch am ersten Posten der Mudschahidin ist Schluss. Ein Junge mit Maschinengewehr geht durch den Bus. "Du willst doch fliehen", sagt er zu Yussofi. Mit seinen Cousins wird er in eine Höhle gebracht. Ein Kerl überprüft ihre Islamkenntnisse. Die sind ausreichend, trotzdem müssen sie fortan an einem Checkpoint die Hausarbeit machen. Yussofi hat wenig Hoffnung davonzukommen. Einmal müssen sie eine Rakete auf einen Berg tragen, die in Kabul einschlagen soll. Die Rakete hat keine Steuerung. Yussofi weiß, was Bomben in Kabul anrichten. An einem Tag kam er kurz nach einem Einschlag an eine Bushaltestelle. Monatelang konnte er kein Fleisch essen. Wegen des Geruchs.

Eines Nachts fordert ein bewaffneter Mudschahed ihn und andere auf mitzukommen. Er denkt: Jetzt werde ich erschossen. Doch sie wandern nur. Bis Yussofi fragt: "Was willst du denn?" Er hat keine Lust mehr. Er arbeitet schon seit einem Monat am Checkpoint. Der Mann will sie nicht töten. Bloß Geld. Yussofi und seine Cousins kaufen sich frei und schaffen es ins pakistanische Peschawar. Sie suchen Arbeit und landen in einer Teppichfabrik. Später kommt der Rest der Familie nach. Der Bruder in Bonn hat Familienzusammenführung beantragt. Bis der Antrag durch ist, vergeht ein Jahr. Die deutsche Botschaft lässt sogar Yussofis Handgelenke untersuchen, um zu kontrollieren, ob er wirklich minderjährig ist.

Im Juni 1990 landet die Familie in Frankfurt. Yussofi hat ein paar Hosen, ein paar Hemden und zehn Mark dabei. Die Familie zieht nach Bonn-Tannenbusch, wo auch der Bruder wohnt. Yussofi besucht die Realschule und zeigt früh: Er will was machen aus seinem Leben. In den Ferien arbeitet er als Erdbeerpflücker. Nach dem Realschulabschluss beginnt er eine Ausbildung zum Elektro-Installateur, fährt nebenbei Taxi. Er hätte auch weiter zur Schule gehen können, aber er will schnell auf eigenen Beinen stehen. Das entspricht nicht dem Bild, das viele Menschen über Flüchtlinge in Deutschland haben, doch Yussofi ist keine Ausnahme. Wer aus der Dritten Welt kommt, gehört meist nicht zu den Ärmsten. "Es sind Gutausgebildete, die die Mittel für ein Migrationsprojekt haben", sagt Jochen Oltmer, Professor für Geschichte der Migration an der Uni Osnabrück. Diese kommen nach Europa, weil sie sich bessere Chancen erhoffen. "Deshalb ist ihre Motivation sehr hoch."

Yussofi möchte niemandem zur Last fallen. Außerdem will er seinen Kindern etwas bieten. Nach der Ausbildung arbeitet er als Bauleiter, Mitte der 90er erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft. 1999 hat er Krach mit seinem Chef, weil der Lohn ausbleibt. Ihm wird gekündigt, kurze Zeit später geht die Firma pleite. Auf Leiharbeit hat er keine Lust. Also macht er sich als Taxifahrer selbstständig. Es gibt keinen Chef, der meckert, er hat ein schickes Auto. Er fährt Blüm, Kinkel, Lafontaine und Scharping. Auf die lässt er nichts kommen. Aber dann gibt es die Politiker, die ihn bestellen, warten lassen und wieder abbestellen. Auf Kosten der Steuerzahler. Also auch auf seine Kosten. Heute fährt Yussofi noch zehn bis elf Stunden pro Tag. Die Wochenenden hält er sich frei. Auch seine Frau Narges ist selbstständig, sie ist Kosmetikerin.

Probleme mit Rassismus habe er selten. Auch wenn ihm klar ist, dass es Menschen mit Migrationshintergrund schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben. Er kennt Taxifahrer, die Professor waren oder Polizeichef in Kabul. Einer bekam als Ingenieur in Deutschland keinen Job und arbeitet nun für viel Geld in Dubai.

Und dann gibt es da ja noch die Geschichte mit dem betrunkenen Politiker in seinem Taxi. Als sie auf der Autobahn sind, verlangt der Mann plötzlich, rausgelassen zu werden. Yussofi fragt noch ein paar Mal nach, ob er das ernst meine. Meint er. Sagt auch seine Frau. Yussofi lässt ihn an einer Ausfahrt raus und fährt die Frau nach Hause. Die gibt ihm ihre Visitenkarte, falls es Ärger geben sollte. Den gibt es. Der Politiker beschwert sich bei der Taxistelle, Yussofi muss dort antreten. Er soll seinen Taxischein abgeben. Stattdessen zückt er die Visitenkarte der Frau. Nach einem Anruf ist die Sache geklärt. Yussofi darf weiter Taxi fahren. Und Steuern zahlen.

(seda)
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