Junge Deutsche vor 25 Jahren auf Ibiza verschwunden Mutter gegen Mädchenhändler

Düsseldorf (RP). Vor 25 Jahren verschwand eine junge Deutsche auf Ibiza. Ihre Spur verliert sich im Zuhälter-Milieu, dem auch ein Solinger und ein Kölner angehören. Kein deutscher Polizist ermittelt mehr in diesem Fall. Nur die Mutter sucht weiter - obwohl sie damit ihr Leben aufs Spiel setzt.

Die Geschichte endet, wie sie vor 25 Jahren begann: Andrea ist weg. In diesen gut zwei Jahrzehnten hat eine Mutter Fürchterliches ertragen, ihr Leben riskiert, immer weiter gekämpft, haben Polizisten Verdächtige verhört, verhaftet und wieder freigelassen, haben Anwälte ermittelt, Aktenordner gefüllt und beiseite gelegt, haben viele offenbar nicht genug und eine Mutter alles Menschenmögliche getan. Es änderte nichts. Andrea ist weg. Verschwunden am 29. August 1981 auf Ibiza. Vielleicht ertrunken. Vermutlich ermordet. Oder lebt sie noch?

Andrea W. ist ein lebensfroher Mensch. 22 Jahre alt, volles dunkles Haar. Die Industriekaufrau aus Franken arbeitet in einer Möbelfabrik. Manchmal steht sie Modell für die Fotos in den Möbelkatalogen. Andrea schaut man sich gerne an. Rainer P. sieht Andrea am Abend des 28. August 1981. Da sitzen sie und ihre Freundin im Restaurant "Marisol" in Ibiza-Stadt. Der blonde Kölner, der auf der Baleareninsel lebt, und die beiden Urlauberinnen rücken zusammen, reden, wechseln gemeinsam die Kneipe. Andrea trinkt einen Kakao mit Rum. Und ihr wird übel. "Sie wollte sich nur noch hinlegen." Das sagt ihre Freundin Tage später der Polizei. Rainer P.'s Boot ankert im nahen Hafen. Er nimmt die Frauen mit an Bord der "Gitana". "Ruh dich aus. Ich zeig‘ deiner Freundin Ibiza. In einer Stunde holen wir dich wieder ab", schlägt er vor. Andrea willigt ein. Nicht eine, vier Stunden zieht P. mit der Freundin durch die Stadt. Dann verabschiedet er sich von ihr, sie geht zurück ins Hotel. Dort erscheint Andrea nicht. Nie mehr.

Vier Tatverdächtige mit vier Versionen

Was ihr widerfährt, werden später vier Tatverdächtige, darunter der Kölner Rainer P. und der Solinger Dirk P. , schildern, jeder eine andere Version. "Andrea ist an ein Bordell nach Afrika verkauft worden." "Andrea ist bei der Übergabe auf See über Bord gefallen." "Andrea ist vergewaltigt worden, ins Meer gesprungen, von der Schiffsschraube erschlagen worden." Drei Tage später fliegt die Freundin zurück nach Nürnberg. Allein. Erst jetzt, am Flughafen, erfährt Andreas Mutter, dass ihr einziges Kind verschwunden ist. "Da bin ich fast durchgedreht", erinnert sich Christel W., die nach 25 Jahren Kampf gegen die mutmaßlichen Mädchenhändler anonym bleiben möchte.

Noch am gleichen Tag versucht die heute 67-Jährige, einen Privatjet zu chartern. Zwei Tage später fliegt sie - Linie - nach Ibiza. Ihr Kind findet sie nicht, wohl aber den Kölner P., von dem die Freundin nicht mehr wusste, als dass er Rainer heißt und einen gelben Mini fährt. Die Mutter weiß bald mehr: Schon einmal hat die Bande um P. eine Deutsche aus einer Disco nach Marokko zu verschleppen versucht. Sie entkam - nachdem sie der Kölner vergewaltigt hatte. Rainer P. arbeitet für Zuhälter und Dealer. Und: Rainer P. hat viele Freunde, auch unter ibizenkischen Polizisten. P. wird verhört und gehen gelassen. In den folgenden Jahren wird er immer wieder in U-Haft sitzen und bald wieder draußen sein - genauso wie die anderen Tatverdächtigen. Die Kölner Staatsanwaltschaft, die in Deutschland ermittelt, "fühlt sich machtlos". Die spanischen Kollegen kooperieren nicht, halten die Akten unter Verschluss. Die Arbeit der Behörden - Christel W. übernimmt sie. Und mehr. Sie schreibt Petitionen, beauftragt Detektive, spürt den Verdächtigen nach, reist wieder und wieder nach Ibiza. "Mein letztes Geld habe ich ausgegeben. Es war für mein Kind."

Mutter wird selbst bedroht

Wie mächtig und menschenverachtend das Milieu ist, in dem sich Andreas Spur verliert, erfährt die Mutter am eigenen Leib. Am Telefon drohen ihr Unbekannte: "Wir bringen dich um." Sie bezahlt Dunkelmänner für Informationen - die sie nicht bekommt. Trittbrettfahrer. "Ratten" nennt sie Christel W.. Sie erwirkt Haftaufschub für einen niederländischen Zuhälter - im Tausch für ein Video, das Andrea im Bikini zeigt, gefilmt auf Ibiza wenige Tage vor ihrem Verschwinden. "Wissen Sie, was es für eine Mutter heißt, die letzten Bilder ihres Kindes zu sehen?", fragt Christel W. Und dann ruft Dirk P. an, der tatverdächtige Solinger. Er will sich mit ihr treffen. Allein. Bei ihr daheim. "Hören sie dann auf nachzuhaken?" Christel W. willigt ein. Und bittet doch einen Beschützer hinzu. Vor ihm will der Solinger nicht reden. Wenn er dies überhaupt plante. Unter seinem Mantel, den er nicht ablegt, glänzt eine Pistole.

1985 versucht Dirk P. wohl erneut, die Nachforschungen der Mutter zu stoppen. Für immer. "Er rief mich an. ,Ihre Tochter lebt‘." Sie arbeite in einer Parfümerie im arabischen Bahrain, wisse nicht, wer sie sei. Gehirnwäsche. Christel W. soll am Münchner Flughafen einen Mann treffen. "Bringen Sie 40.000 Dollar mit, zahlen Sie die zwei Flüge nach Bahrain. Dort bekommen Sie Andrea wieder." Die Polizei überprüft P.s Angaben - und rät: "Fliegen Sie nicht! Das ist die letzte Falle, um Sie umzubringen." Laut dem Justizministerium NRW hat die spanische Polizei das Ermittlungsverfahren gegen Rainer P. 1985 eingestellt. Ein gebürtiger Bochumer müsse nun verhört werden, doch der ist vor neun Jahren untergetaucht.

Ermittlungen wurden eingestellt

Nach Informationen unserer Zeitung wird die Akte Andrea W. bei der Kölner Staatsanwaltschaft zuweilen auf- und wieder zugemacht. Kein deutscher Polizist ermittelt mehr. Bleibt ein Mord ungesühnt? "Wenn jetzt jemand sagte, er habe Andrea umgebracht, gäbe mir das inneren Frieden", sagt Christel W.. "So aber wird es mich bis zum letzten Tag belasten." Diese Mutter hat alles Menschenmögliche getan. Und doch: Andrea ist weg.

(Rheinische Post)
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