Schlangen-Jagd in Mülheim Neue Anti-Kobra-Strategie

Mülheim (RP). Nachdem die Behörden die Suche nach der entwischten Giftschlange abgebrochen haben, setzen sie nun darauf, dass das Tier verhungert. Derweil werden neue gesetzliche Regelungen in NRW gefordert: Die Schlangenhaltung soll kontrolliert oder gar verboten werden.

Neben der Eingangstüre zum Haus Nummer 161 an der Kleiststraße in Mülheim/Ruhr stehen vier Kinderfahrräder — sie sind abgeschlossen. Auf dem Rasen im Garten sind farbenfrohe Klettergerüste aufgebaut — doch Kinder spielen dort nicht mehr. Die Bewohner haben das Haus verlassen — aus Angst vor einer Giftschlange, die sich vermutlich in ihrem Zuhause eingenistet hat.

Bereits in der Nacht zum vergangenen Donnerstag war einem 19-Jährigen, der das Dachgeschoss bewohnt, die drei Monate alte Monokelkobra entwischt. Bis Sonntag Abend suchten 20 bis 25 Mitarbeiter von Ordnungsamt und Feuerwehr insgesamt je 45 Stunden nach der Schlange, deren Biss für einen Menschen in kürzester Zeit tödlich ist.

Die Wohnung des 19-Jährigen wurde in den Rohbau-Zustand zurück versetzt, Schlangen-Experten der Düsseldorfer Feuerwehr um Rat gefragt. Mit einer Endoskop-Kamera wurde in kleinsten Zwischenräumen nach dem 30 Zentimeter langen Tier gesucht, das zusammengerollt nur so groß wie eine zwei Euro-Münze ist. Tagelang berichteten bis zu sieben TV-Sender über die Kobra-Jagd.

Am Sonntag gab die Einsatzleitung die Suche auf. Da das Tier allenfalls sechs Wochen ohne Nahrung überleben könnte, entschied sie, die Wohnung für acht Wochen zu versiegeln und die Schlange dem Hungertod zu überlassen. Die Hausbewohner zogen zu Verwandten.

Schlange soll verhungern

Am Montag morgen verteilten Mitarbeiter des Ordnungsamtes in der Nachbarschaft Informationszettel, die den Anwohnern die neue Strategie erläutern. Zudem ist darauf zu lesen, dass Experten es für sehr unwahrscheinlich halten, die Schlange könnte das Haus verlassen und im Freien überlebt haben.

Der 70-jährige Wolfgang Frick, der schräg gegenüber des Hauses 161 wohnt, lobt diese Informationspolitik. Seine Angst nimmt sie ihm nicht. "Jedesmal, wenn ich die Garage öffne, schaue ich, ob sich da was am Boden ringelt. Meine Gummistiefel habe ich auf einen Tisch gestellt", sagt der Rentner. Auch die 33-jährige Frau, die einige Häuser entfernt wohnt und Mutter eines neun Monate alten Sohnes und einer vierjährigen Tochter ist, sagt: "Klar, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Schlange draußen rumkriecht, hat man Angst und ist vorsichtig. Gerade wenn man — wie ich und viele andere hier — kleine Kinder hat."

Nicht nur Menschen in Mülheim sind in Sorge. Laut Schätzungen von Tierschützern bevölkern 150.000 Giftschlangen und 250.000 Riesenschlangen deutsche Wohnzimmer. Während in Berlin, Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie in Hessen die Haltung von Giftschlangen verboten ist und sie in Bremen und Bayern nur unter Auflagen erlaubt wird, kann sich in NRW jeder über das Internet oder in der Zoohandlung um die Ecke eine Giftschlange kaufen.

Halteverbot für Giftschlangen gefordert

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag fordert ein generelles Halteverbot für Giftschlangen. Jeden privaten Tierliebhaber auf seine Eignung als Schlangenhalter zu prüfen, so wie es bei Kampfhunden üblich sei, "wäre viel zu aufwändig", sagt Karsten Rudolph, innenpolitischer Sprecher der NRW-SPD.

Eine Positivliste über unbedenkliche Haustiere, die jeder ohne Auflagen halten kann, wollen die Grünen. "Gefährliche Exoten wie Giftschlangen gehören nicht auf diese Liste", sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Barbara Steffens. "Sie gehören ausschließlich in Zoos." Ein entsprechender Antrag der Grünen im Landtag sei abgelehnt worden — mit Verweis auf den bürokratischen Aufwand, den die Umsetzung bedeuten würde. "Wenn man sich jetzt ansieht, welchen Aufwand die Kobra von Mülheim verursacht hat, steht das in keinem Verhältnis zu ein bisschen Bürokratie", kritisiert Barbara Steffens, die "Grünen"-Landtagsabgeordnete aus Mülheim.

Klar ist die Position des Deutschen Tierschutzbundes. "Wir fordern ein bundesweites Verbot für Exotenhaltung", sagt Marius Tünte vom Deutschen Tierschutzbund. "NRW soll endlich anderen Bundesländern mit einer Verbotsregelung nachziehen. Wegen der hohen Einwohnerzahl besteht in NRW eine besonders große Gefahr." Zudem glauben die Tierschützer, auf dem "Markt" einen fatalen Trend zu erkennen. Mancher der keinen Kampfhund mehr halten dürfe, kaufe sich nun eine Giftschlange. "Die Exotenhaltung steigt. Viele Halter wollen mit so einem Tier ein Statussymbol besitzen", sagt Marius Tünke.

Umweltministerium sieht keinen Anlass für Gesetzesänderung

Das in NRW zuständige Umweltministerium von Eckhard Uhlenberg (CDU) sieht auch nach den Erfahrungen von Mülheim keinen Anlass zu einer Gesetzesänderung. 15 Fälle solcher Art gebe es in NRW pro Jahr. "Jeder davon ist ärgerlich, aber in der Summe ist das kein allzu großes Problem", erklärte ein Sprecher. Der Halter müsse sicherstellen, dass sein Tier keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle. "Sonst können die Ordnungsämter das ahnden", sagte der Sprecher. Kritiker verweisen jedoch darauf, dass es keine Meldepflicht für die Haltung von Giftschlangen in NRW gebe.

Die Anwohner in der Kleiststraße in Mülheim/Ruhr scheinen sich nach viertägiger Kobra-Jagd vor ihrer Haustür einig zu sein. Wenn Besitzer großer Hunde einen "Sachkundenachweis" erbringen müssten, so müsste das für Giftschlangen-Halter doch erst recht gelten, meint nicht nur der 70-jährige Wolfgang Frick. Auch seine Nachbarn Jürgen Neumann (59) und dessen Ehefrau Christa (50) halten gesetzliche Vorschriften für unabdingbar. "So wie das in NRW geregelt ist, dass jeder ohne irgendeine Kontrolle oder Prüfung eine Giftschlange halten kann, das geht doch gar nicht", meint das Ehepaar.

(RP)
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