Wende im NSU-Prozess Zschäpe-Aussage steht bevor

München · Der Münchner NSU-Prozess steht vor einem Wendepunkt: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe will nun ihr mehrjähriges Schweigen brechen. Warum jetzt - und was bedeutet das für das Verfahren? Wir haben die Antworten.

 Was will Beate Zschäpe wohl aussagen?

Was will Beate Zschäpe wohl aussagen?

Foto: dpa, tha htf

Was will Beate Zschäpe wohl aussagen? Welchen Inhalt hat die Erklärung der mutmaßlichen Neonazi-Terroristin, die ihr Anwalt Mathias Grasel an diesem Mittwoch verlesen will? Der 249. Verhandlungstag könnte eine Wende im Münchner NSU-Prozess bedeuten.

Im Mai 2013 hatte der Prozess begonnen - und eigentlich war zuletzt ein Ende der Beweisaufnahme absehbar. Die zehn Morde, die beiden Sprengstoffanschläge, die Banküberfälle, die Vorgeschichte des "Nationalsozialistischen Untergrunds" - quasi alle Komplexe waren abgeschlossen. Viele Prozessbeteiligte rechneten mit einem Urteil im kommenden Jahr - bis bekannt wurde, dass Zschäpe auspacken will. Und inzwischen will auch der Mitangeklagte Ralf Wohlleben aussagen.

Zuallererst: Tatsächlich hatte Zschäpe schon nach ihrer Verhaftung im November 2011 gesagt, sie habe sich nicht gestellt, um nicht auszusagen. Sie folgte dann aber dem Rat ihrer drei Alt-Verteidiger, zu schweigen, auch wenn es ihr zunehmend schwerer fiel - das vertraute sie jedenfalls einem Gerichtspsychiater an. Nun, mit ihren beiden neuen Anwälten Mathias Grasel und Hermann Borchert an ihrer Seite, will sie aussagen. Wohl auch deshalb, weil sie nicht mehr vom Erfolg des Schweigens überzeugt ist. Bundesanwaltschaft und Nebenkläger betonen immer wieder, die bisherige Beweisaufnahme habe die Vorwürfe gegen sie bestätigt. Grasel erklärt, er sei zu der Überzeugung gelangt, dass "Schweigen hier nicht mehr die richtige Strategie ist".

Sollte es zu keinen weiteren Verzögerungen oder Zwischenfällen kommen, wird der Vorsitzende Richter Manfred Götzl Grasel gleich zu Beginn das Wort erteilen. Der Verteidiger will dann die Erklärung Zschäpes vorlesen. Eine bis eineinhalb Stunden werde das dauern, hat er im Vorfeld angekündigt - wobei viele bezweifeln, ob das reicht.

Unklar. Grasel hat erklärt, dass Zschäpe Fragen beantworten will - aber nur die des Gerichts, und nur schriftlich und erst später. Konkret: Grasel hat Götzl um einen schriftlichen Fragenkatalog gebeten. Den will er mit Zschäpe durcharbeiten - und die Antworten dann kommende Woche liefern. Ob Götzl damit einverstanden ist, ist noch offen. Unklar ist auch, ob er Grasels Bitte nachkommt, den Prozesstag am Donnerstag ausfallen zu lassen - wegen der "Belastung" Zschäpes.

Gerichtssprecherin Andrea Titz sagt: grundsätzlich ja. Die Entscheidung über das konkrete Vorgehen liege aber beim Gericht. Auch wenn der Senat zustimmt, müssten Fragen und Antworten aber mündlich in die Hauptverhandlung eingeführt werden - also verlesen werden.

Darüber gab es zuletzt nur sehr vage und unbestätigte Informationen. Grasel hat zwar inzwischen angekündigt, dass sich Zschäpe zu allen Anklagepunkten äußern wolle. Aber was will sie sagen? Wird sie - wie es heißt - sagen, wo sie sich in den vier Tagen zwischen dem Auffliegen des NSU und ihrer Festnahme aufgehalten hat? Plant sie, bisher unbekannte Einzelheiten zu einigen Taten zu enthüllen, die dem NSU vorgeworfen werden? Und will sie auch - wie gerüchteweise zu hören war - angebliche Verstrickungen zu Geheimdiensten offenlegen?

Konkret ist das noch nicht absehbar. Der Prozess dürfte aber um einiges länger dauern als zuletzt angenommen. Denn sollte Zschäpe bisherige Erkenntnisse aus dem Prozess erschüttern, könnte das Gericht Teile der Beweisaufnahme wiederholen, Zeugen erneut laden. Zudem will jetzt nicht nur Zschäpe reden, sondern auch Wohlleben.

Grasel, Borchert und Zschäpe selbst scheinen das zu hoffen. Es müsste dann aber wirklich eine umfassende Aussage sein. Denn sollte sie nur einige ausgewählte Aspekte beichten und ansonsten weiter schweigen, wäre das juristisch als "Teilschweigen" zu werten - das würde ihre Lage nach einhelliger Meinung von Prozessbeteiligten verschlechtern. So oder so: Zschäpe will, so scheint es, den vermeintlich letzten Strohhalm ergreifen, um der Maximalstrafe zu entgehen: Die Anklage wirft ihr Mittäterschaft an allen NSU-Taten vor, auch an den zehn Morden. Sie muss lebenslange Haft und Sicherungsverwahrung befürchten.

(gol/dpa)
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