NSU-Prozess Viele offene Fragen zum Polizistenmord

München · Die Anklage hält die ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter für ein Zufallsopfer des NSU. Kontakte in die rechte Szene habe es nicht gegeben. Nebenklagevertreter sehen in dem Fall dagegen sehr viele Zufälle - und bringen einen BKA-Beamten in Verlegenheit.

NSU-Prozess: Beate Zschäpe vor Gericht
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NSU-Prozess: Beate Zschäpe vor Gericht

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München (dpa) - Die 2007 in Heilbronn erschossene Polizistin Michèle Kiesewetter hatte nach Ermittlungen des Bundeskriminalamts keine Kontakte in die rechte Szene. "Es gibt keine Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass es eine Vorbeziehung in irgendeiner Form zu Mitgliedern des NSU oder dessen Umfeld gab", sagte ein BKA-Ermittler am Mittwoch im Münchner NSU-Prozess. Nebenklagevertreter hatten allerdings zahlreiche Fragen.

Laut Anklage führten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 25. April 2007 das Attentat zwei Polizisten in Heilbronn aus. Beide saßen bei offenen Türen in ihrem Streifenwagen und machten Pause. Die Bundesanwaltschaft hält Kiesewetter und ihren Kollegen Martin A. für "Zufallsopfer" - die Terroristen hätten sie als Vertreter des ihnen verhassten Staates angegriffen.

Einem Gutachter zufolge war Kiesewetter nach den Schüssen sofort tot. "Weit unter einer Sekunde" habe es gedauert, bis das Gehirn nach dem Kopfschuss seine Funktion eingestellt habe. Martin A. überlebte den Kopfschuss schwer verletzt; die Kugel wurde von einem Teil des Schädelknochens abgelenkt. Er lag mehrere Wochen im Koma.

Kiesewetter war in Oberweißbach im Thüringer Wald zur Schule gegangen. Keine zwei Kilometer von dem Ort entfernt befindet sich die Gaststätte "Zur Bergbahn". Deren Wirt David F. - so berichteten BKA-Beamte am Mittwoch - gehörte in den 1990er Jahren der rechten Szene an; er ist der Schwager des als NSU-Helfer angeklagten Ralf Wohlleben. David F. soll die späteren Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) vor ihrem Untertauchen gekannt haben. Er hatte nach eigenen Aussagen sogar kurzzeitig eine Beziehung mit Beate Zschäpe.

Zudem gab es Berichte, wonach sich der mutmaßliche NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt in der Gaststätte aufgehalten haben soll. Hierbei habe es sich aber wohl um eine Verwechslung gehandelt, meinte der BKA-Beamte. Und David F. habe "glaubhaft versichert", dass er nach dem Untertauchen des Trios keinen Kontakt mehr zu Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos gehabt habe. Michèle Kiesewetter sei nie in der Gaststätte gewesen. "Gab es sonstige Anzeichen, dass Michèle Kiesewetter Kontakte zur rechten Szene hatte?", fragte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Die knappe Antwort: "Nein."

Auf die Fragen von Opferanwälten, warum er die Angaben des Wirts für glaubhaft halte, kam der BKA-Beamte allerdings ins Schwimmen. Er selbst habe David F. nicht vernommen, sondern nur den Vermerk zusammengestellt. "Wir haben keine Anhaltspunkte gefunden, die einen solchen Kontakt indizieren würden, und deshalb war das für uns schlüssig."

Auch innerhalb der Bereitschaftspolizei, der Kiesewetter und A. angehörten, kamen bei den Ermittlungen einige Eigenartigkeiten zutage. So hatte Kiesewetter ihren Dienst erst kurz vor dem tödlichen Einsatz in Heilbronn getauscht. Ihr Tauschpartner hatte sich bei den Ermittlungen aber zunächst nicht zu erkennen gegeben. "Weil er dem Stress mit der psychologischen Betreuung entgehen wollte", sagte der BKA-Beamte.

Außerdem kam heraus, dass zwei Mitglieder der Bereitschaftspolizei Mitglieder einer Gruppe des rassistischen Ku-Klux-Klan (KKK) waren. Ihr Anführer wiederum steht auf einer Namensliste, die in der Garage in Jena gefunden wurde, welche die späteren NSU-Terroristen als Bombenwerkstatt nutzten. Der KKK-Anführer hätte die Sache so erklärt, dass er in den 1990er Jahren mit rechten Fanartikeln gehandelt habe. Die Ermittlungen hätten jedoch keinen Hinweis auf einen unmittelbaren Kontakt ergeben, sagte der BKA-Ermittler.

Nebenklageverteter zeigten deutliche Zweifel an der Gründlichkeit der Ermittlungen. Sie waren bei Verhandlungsschluss mit ihren Fragen noch nicht am Ende. Der BKA-Beamte soll ein weiteres Mal vor Gericht erscheinen.

(dpa)
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