Karl-Heinz Kurras Ohnesorg-Schütze offenbart sich als Waffennarr

Düsseldorf (RPO). Kaum ein Fall der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte hat so viel Staub aufgewirbelt wie die jüngst zufällig entdeckte Enthüllung der Stasi-Mitgliedschaft des Ohnesorg-Schützen Karl-Heinz Kurras. Die Biographie des Mannes offenbart ein spannendes Stück deutsch-deutsche Geschichte – und entlarvt ihn als Waffennarren, der auch schon vor dem verhängnisvollen Schuss nicht vor einem Mord zurückschreckte.

Der SED-Ausweis von Kurras
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Düsseldorf (RPO). Kaum ein Fall der jüngeren bundesrepublikanischen Geschichte hat so viel Staub aufgewirbelt wie die jüngst zufällig entdeckte Enthüllung der Stasi-Mitgliedschaft des Ohnesorg-Schützen Karl-Heinz Kurras. Die Biographie des Mannes offenbart ein spannendes Stück deutsch-deutsche Geschichte — und entlarvt ihn als Waffennarren, der auch schon vor dem verhängnisvollen Schuss nicht vor einem Mord zurückschreckte.

Am 2. Juni 1967 gibt Karl-Heinz Kurras einen Schuss ab, der die dann folgende bundesrepublikanische Geschichte nachhaltig verändern sollte. Kurras schießt den unbewaffneten Studenten Benno Ohnesorg aus wenigen Metern direkt in den Hinterkopf. Der Mann stirbt, die bis dahin noch zahme und weitgehend auf West-Berlin beschränkte Studentenbewegung hat einen Märtyrer — breitet sich aus und radikalisiert sich.

Offizielle Biographie passt ins Feindbild

Dass ausgerechnet dieser Kurras, dessen Tat die Studentenrevolte in Deutschland maßgeblich zum Durchbruch verhalf, ein Stasi-Spitzel und SED-Mitglied war, lässt aufhorchen. Der später freigesprochene Polizist war offensichtlich nicht der, für den ihn die Republik mehr als 40 Jahre hielt. Für die Studenten passte die offizielle Biographie des damals 39-Jährigen ins Feindbild: Der ehemalige Wehrmachtsoldat gilt als Waffennarr, bis heute ist er Mitglied des Berliner Polizeisportvereins. Kurras hatte sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet und war 1946 wegen anti-sowjetischer Propaganda zu 25 Jahren Zuchthaus in Sachsenhausen verurteilt worden. 1949 wird er begnadigt, den jungen Mann zieht es in den Westteil der Stadt, wo er als Polizist arbeitet.

Ideologisch flatterhaft

Doch Kurras erweist sich offenbar als ideologisch flatterhaft: Schon fünf Jahre später will er in das sozialistische Deutschland zurück. Statt ihn einzubürgern erkennen die DDR-Behörden in ihm eine Chance: Ein Sozialist im West-Berliner Polizeidienst — in Zeiten der Ost/West-Konfrontation eine Gelegenheit, die sich die Kalten Krieger nicht entgehen lassen wollen. Am 19. April 1955 trifft Kurras eine Entscheidung, die sein Leben für immer verändern sollte: Als IM Otto Bohl spioniert er künftig für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) — und lässt sich dafür fürstlich entlohnen. 1000 D-Mark soll sie ihm laut "Bild am Sonntag" ("BamS") gezahlt haben, was der Kaufkraft von zehn Bauarbeiter-Monatslöhnen von damals entsprochen habe.

Die doppelte Karriere

Kurras macht eine doppelte deutsch-deutsche Karriere: Bei der West-Polizei gilt der Waffennarr als bester Schütze, er arbeitet für den Staatsschutz — und ist dort ausgerechnet für die Spionage-Abwehr aus dem Osten zuständig. Auch für die Stasi ist er ein wichtiger Mann, was sich am Gehalt zeigt. Der Politologe Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung zeigte sich gegenüber der "Hannoversche Allgemeine Zeitung" überzeugt: Kurras war ein Überzeugungstäter und Topspion für den Osten.

Übereifrig und mordlüstern

Der Stasi-Spitzel zeigt sich schon vor dem verhängnisvollen Schuss übereifrig, geradezu mordlüstern. Als eine DDR-Spionin ihm als westdeutschen Staatschützer gegenüber nicht nur gesteht, sondern auch noch ihren Mann verrät, offenbart sich seine Skrupellosigkeit. "Gebt mir den Auftrag, die würde ich umbringen, die Verräterin", richtet er sich damals laut "BamS" an seinen Führungsoffizier. Der Stasi missfällt laut Akte seine übersteigerte Leidenschaft für Waffen und die Jagd. Es habe "charakterliche Schwäche", die darin bestehe, "dass er für sein Hobby und auch um auf die Jagd gehen zu können, die Interessen anderer Menschen nicht beachtet", bemängelt die DDR-Behörde.

Offizielles Stasi-Geständnis

Der "BamS" gegenüber gab Kurras auch erstmals zu, für die Stasi gearbeitet zu haben, bestreitet aber bezahlt worden zu sein. "Von denen habe ich nie Geld bekommen. Das haben die sich sicher in die eigene Tasche gestopft", behauptet Kurras der Zeitung zufolge, obwohl das eindeutig der Darstellung in der Akte widerspricht.

Auf die Strafanzeige, die 42 Jahre nach der Tat Carl-Wolfgang Holzapfel, Vizechef der Vereinigung der Opfer des Stalinismus gegen Kurras stellte, reagiert Kurras sogar mit einem geschmacklosen Witz: "Das kann doch nur ein Ostdeutscher gewesen sein. Den hätte Erich Honecker früher mal richtig verurteilen sollen.", soll er laut "BamS" gesagt haben.

Aufdeckung mit Konsequenzen

Die Aufdeckung der Stasi-Mitgliedschaft könnte Konsequenzen für den Ohnesorg-Schützen haben. Das für die Pensionsangelegenheiten zuständige Landesverwaltungsamt soll erkunden, was es an nachweisbaren Vorgängen zu Kurras bei der Stasiunterlagenbehörde gebe, sagte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) am Montag im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Gegebenenfalls sollen "beamtenrechtliche Konsequenzen" gegen den Kriminalobermeister im Ruhestand geprüft werden. Im Klartext: Der heute 81-Jährige könnte seine Pensionsansprüche verlieren.

Mit Material von DDP

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