"Würde und Rechte von Kindern verletzt" Papst verurteilt Missbrauch in der Kirche

Vatikanstadt (RPO). Papst Benedikt XVI hat den Missbrauch von Kindern innerhalb der katholischen Kirche bedauert. Einige Mitglieder der Kirche hätten "in verschiedenen Fällen" die Würde und Rechte von Minderjährigen verletzt, sagte der Benedikt XVI. am Montag bei einer Tagung des päpstlichen Rats für die Familie im Vatikan. Unterdessen gibt es erste Rücktritte im Zuge der Affären.

Sexueller Missbrauch an Berliner Eliteschule
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Dies sei "ein Verhalten, bei dem die Kirche nicht versäumt und auch in Zukunft nicht versäumen wird, es zu missbilligen und es zu verurteilen". Der Papst nahm in seiner Ansprache nicht ausdrücklich Bezug auf den Missbrauchsskandal an deutschen Jesuitenschulen, der von Enthüllungen am Berliner Canisius-Kolleg ausging.

Verantwortlich sein sollen drei Pater des katholischen Ordens, die jahrzehntelang an verschiedenen Orten als Lehrer und Jugendseelsorger tätig waren. Bislang meldeten sich bundesweit etwa 30 potenzielle Opfer der Beschuldigten, die ihre Taten teilweise einräumten.

Die Leitung der Jesuiten gab zu, dass der deutsche Orden schon in den 80er Jahren Hinweise auf mögliche Missbrauchsfälle hatte. Die Ordensführung habe keine Anzeigen erstattet und versucht, das Problem intern zu regeln. Einer Umfrage des Nachrichtenmagazines "Spiegel" unter allen 27 deutschen Bistümern zufolge hat es in der katholischen Kirche in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren mindestens 94 Verdachtsfälle auf Kindesmissbrauch gegeben.

Auch in anderen Ländern haben Skandale um pädophile Geistliche die katholische Kirche erschüttert. Im Dezember entschuldigte sich Benedikt XVI. für den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester in Irland. Ein Bericht der irischen Regierung hatte zuvor aufgedeckt, dass vier frühere Erzbischöfe von Dublin systematisch katholische Geistliche schützten, die sich des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht hatten. In der Vergangenheit hatte sich der Papst bereits für die Misshandlungen von Kindern durch Priester in den USA, Australien und Kanada entschuldigt.

Über die sexuellen Verfehlungen ihrer Priester hat die katholische Kirche lange den Mantel des Schweigens gebreitet. Täter, Vorgesetzte und Opfer wurden zu Geheimhaltung gedrängt. Doch im Zuge der jüngsten Missbrauchs-Skandale gehen nun erstmals nicht nur die Opfer an die Öffentlichkeit, sondern auch viele ranghohe Kirchenvertreter. Eine offene Diskussion, die mögliche Ursachen der Übergriffe einschließt, wird auch für bitter nötig gehalten, denn sonst droht der Kirche ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust.

"Die Kirche versteht sich als moralische Autorität, und sie zeichnet gerne ein nahezu perfektes Bild von sich selbst", sagt etwa der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, unserer Redaktion.

Deshalb gerate die Kirche noch stärker als andere Institutionen bei vergleichbaren Vorwürfen in Glaubwürdigkeits-Probleme, wenn sie nicht mit Offenheit reagiere.

Nach Auffassung der Laienbewegung "Wir sind Kirche" müssen die tieferen, strukturellen Ursachen für solche Missbrauchsfälle in den Blick genommen werden: die strikte Sexualmoral, ein überhöhtes männliches Priesterbild und autoritäre hierarchische Strukturen.

"Ohne eine Enttabuisierung in der Sexuallehre und eine grundlegende Änderung in der Einstellung zur menschlichen Sexualität wird nach Auffassung der katholischen Reformbewegung der Teufelskreis von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt in der römisch-katholischen Kirche nicht zu durchbrechen sein", erklärt die Organisation.

Die Verantwortung für die Auswüchse sieht nicht nur "Wir sind Kirche" beim Vatikan. Dort ergingen im Jahr 1962 mit dem Geheimdokument "Crimine Sollicitatonis" strikte Anweisungen an die Bischöfe, wie sie mit Anschuldigungen gegen Priester wegen sexueller Übergriffe umzugehen hätten. Im Falle eines "Crimen Sollicitationis" ("Verbrechen der Anstiftung") wurde verlangt, dass Vorkommnisse dieser Natur geheim zu halten seien; diese Geheimhaltung wurde auch auf das Dokument selber und die Opfer ausgedehnt.

Versetzung statt Verfolgung

Um großes Aufsehen zu vermeiden, wurden Täter in der Regel nicht der weltlichen Justiz übergeben, sondern nur an einen anderen Ort versetzt. Die Gründe für die Versetzung erfuhren ihre neuen Vorgesetzten in der Regel nicht. So kam es immer wieder vor, dass sich die Täter auch an ihren neuen Betätigungsorten wieder an Kindern vergreifen konnten.

Für eine Welle der Empörung sorgte der Fall des ehemaligen Pfarrers von Riekofen in Bayern. Der einschlägig vorbestrafte Geistliche verging sich mehr als 20 Mal an einem Ministranten, wurde deswegen zu drei Jahren Haft verurteilt und zum Schutz der Öffentlichkeit in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen.

Wegen der Affäre geriet auch der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig unter Druck, der aber jede Mitverantwortung ablehnte. Für seine Haltung wurde Müller aber von der Bischofskonferenz im Jahr 2007 zumindest indirekt gerügt. Der damalige Vorsitzende Kardinal Karl Lehmann stellte klar, das wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte Priester auf keinen Fall mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten dürften.

In der Folge der aktuellen Entwicklungen um das katholischen Aloisiuskolleg in Bad Godesberg ist der Rektor des Kollegs, Pater Theo Schneider, mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurückgetreten. Der Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten, Stefan Dartmann, habe den Rücktritt angenommen, teilte die Organisation am Montagabend in München mit.

Pater Schneider habe den Provinzial am Montag darüber informiert, dass er diesen Schritt im Interesse einer lückenlosen Aufklärung aller im Raum stehenden, einschließlich der gegen seine eigene Person gerichteten Vorwürfe für angeraten halte. Das Aloisiuskolleg ist eine von drei deutschen Schulen in Trägerschaft des Jesuiten-Ordens.

Atmosphärische Veränderungen

Dass jetzt in so kurzer Zeit so viele Missbrauchsfälle bekannt werden, ist so in Deutschland bislang einzigartig. Pater Johannes Siebner, Direktor des ebenfalls betroffenen Kollegs St. Blasien im Schwarzwald, erklärte im ZDF-Morgenmagazin, "dass sich atmosphärisch etwas geändert hat, dass Übergriffigkeit als solche benennbar ist". Für ihn sei im Moment entscheidend, "dass die Opfer endlich reden und dass ihnen geglaubt wird".

Auch der Hildesheimer Bischofs Norbert Trelle versucht es mit einer neuen Offenheit: "Im Namen der Kirche von Hildesheim drücke ich den Opfern mein tief empfundenes Mitgefühl aus", schrieb er in einem Brief an die Pfarrgemeinden des Bistums. Das Bistum werde alles daran setzen, für Aufklärung zu sorgen.

Für die Leitung des Canisius-Kollegs in Berlin und des Jesuitenordens gibt es sogar von kirchenkritischer Seite Lob. Diese schenkten nicht nur den Opfern Gehör, sondern stellten auch die Fragen nach den zugrundeliegenden Strukturen, "die zu sexualisierter Gewalt und ihrer systematischen Vertuschung führen", erklärt etwa die Organisation "Wir sind Kirche".

Debatte über Zwangszölibat

Die Deutsche Bischofskonferenz und ihr Vorsitzender Robert Zollitsch halten sich dagegen noch zurück. Bei der Frühjahrsvollversammlung in Freiburg vom 22. bis 25. Februar sollen die Missbrauchsfälle aber Thema sein.

Um die Glaubwürdigkeit zu wahren, muss die Kirche dann mehr als nur ein paar warme Worte bieten, sondern wie gefordert auch die Ursachen des Missbrauchs thematisieren. Dazu gehört auch die Frage des Zölibats. Die den Priestern verordnete Ehelosigkeit schreckt nicht nur viele Kandidaten von dem Beruf ab und sorgt so für Nachwuchssorgen, sie ist nach Ansicht vieler Kritiker auch ein möglicher Grund für die sexuellen Übergriffe.

Zollitsch selbst hatte sich übrigens kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2008 gegen Denkverbote beim Zwangszölibat ausgesprochen. Die Verbindung zwischen Priestertum und Ehelosigkeit sei "nicht theologisch notwendig", sagte er und stieß damit auf Widerstand bei seinen Bischofskollegen, so dass er seine Aussagen später wieder relativierte.

(AFP/APN/felt)
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