Arzt machte laut Schlichtungsstelle schwere Fehler Patient erhält 75.000 Euro wegen Schlafmittel-Abhängigkeit

Bremen (rpo). Für deutsche Verhältnisse reich entschädigt wurde ein Patient, der nach jahrelanger Einnahme rezeptpflichtiger Schlafmittel abhängig geworden war. Der 52-jährige Mann aus Bremen erhielt 75.000 Euro Schadenersatz.

Er war nach jahrelanger Einnahme des Mittels Rohypnol süchtig geworden, wie seine Anwälte Evelyn Lenz-Jakubczyk und Thomas Röwekamp am Freitag mitteilten.

Die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern habe festgestellt, dass die ärztliche Betreuung des Mannes "vermeidbar schwer fehlerhaft" gewesen sei. Der Mann hatte jahrelang das rezeptpflichtige Schlafmittel Rohypnol von seinem Arzt verordnet bekommen. Nachdem der Arzt dem Mann das Mittel entzogen hatte, brach der Patient zusammen und musste in einer psychiatrischen Klinik entgiftet werden, bestätigte Lenz-Jakubczyk einen Bericht der Wochenzeitung "Die Zeit".

Nach ihren Angaben geht der Fall schon auf das Jahr 2000 zurück, der Vergleich zwischen dem Patienten und der Versicherung des Arztes stamme aus dem Mai 2003. Die Schlichtungsstelle in Hannover wollte sich nicht zu dem Fall äußern und berief sich auf den Datenschutz.

In Deutschland einmaliger Fall

Anwalt Röwekamp sagt: "Es ist nach meinen Recherchen das erste Mal, dass eine zu intensive Medikation, die sich in einer Sucht auswirkte, Gegenstand eines Haftungsverfahrens war." Zwar gebe es kein Gerichtsurteil, aber das Gutachten der Schiedstelle. In ähnlich gelagerten Fällen könnten Patienten darauf verweisen.

Dem Bremer Patienten sei 18 Jahre lang eine Medikation ohne ärztliche Kontrolle verordnet worden, wobei der Arzt hätte wissen müssen, dass das Medikament zur Sucht führe. So werde im Beipackzettel vor längerfristiger Einnahme gewarnt. Laut Röwekamp könne der Fall Bewusstsein dafür schaffen, dass der Süchtige nicht allein Schuld sei an seiner Sucht, sondern unter Umständen auch andere. "Wer über lange Zeit Psychopharmaka verschreibt, hat eine besondere Sorgfaltspflicht. Wenn er die nicht beachtet, ist er dem Grunde nach entschädigungspflichtig." Röwekamp hat inzwischen seine Anwaltstätigkeit eingestellt und ist Bremer Innensenator und CDU-Politiker.

Rund 1,4 Millionen Medikamentenabhängige

Die Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren erklärte, es gebe in Deutschland rund 1,4 Millionen Medikamentenabhängige. "Das ist ein klassischer Fall", sagte Sprecherin Christa Merfert-Diete über den 52 Jahre alten Bremer. Nach ihrer Ansicht werden süchtigmachende Medikamente von manchen Ärzten zu leichtfertig verordnet.

Der Bremer Patient hatte laut "Zeit" das Schlafmittel Rohypnol gegen Ende seines Studiums verordnet bekommen. Mit dem Mittel habe der Wirtschaftsingenieur gut schlafen können, auch während seiner beruflichen Karriere habe er das Mittel weiter genommen, ohne auffällig zu werden. Der Arzt habe die Rezepte auf Telefon- oder Telefaxanforderung ausgestellt.

Erst als der Mann 1997 nach dem Tod seiner Frau zusammenbrach und zu trinken begann, bemerkte der Arzt den Angaben zufolge die Probleme und verweigerte das Schlafmittel. Er kümmerte sich nicht um eine Suchttherapie. Erst später klagte er gegen den Arzt. Anwältin Lenz-Jakubczyk erklärte, der Fall könne nicht wie gerichtliche Urteile als Musterprozess angesehen werden. "Er kann aber Mut machen", sagte sie.

(AZ Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen 2458/00)

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