Schweinegrippe Plötzlich sind alle mögliche Virusüberträger

Düsseldorf (RP). Die Gefahr einer Grippe-Epidemie wirkt sich auf unser soziales Verhalten aus: kein Händedruck, kein Kuss, keine Großveranstaltung. Denn plötzlich sind alle potentielle Virusüberträger.

Antworten auf häufige Fragen von Eltern zur Schweinegrippe
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Foto: AFP

Die Welle der Schweinegrippe rollt. Und wer noch keinen Krankheitsfall in den eigenen Reihen weiß, kann das Bedrohliche schon einmal fremdfühlen: in den Statistiken der örtlichen Gesundheitsämter mit ihrer stetig steigenden Zahl an Infizierten. Es sind Wasserstandsmeldungen einer nahenden Flut. Und wer sich dank einer Impfung noch nicht aus der Gefahrenzone bringen konnte, kann im übertragenen Sinne vorerst nur eins machen: Sandsäcke stapeln.

Bei einer virologischen Gefahr sind das vor allem neue Verhaltensweisen, die nicht wirklich neu sind, sondern alte außer Kraft setzen wie etwa das Händeschütteln. Vielleicht ist es nur eine beiläufige Geste, auf die sich scheinbar leicht verzichten lässt. Der Händedruck aber ist Teil unserer Zivilisationsgeschichte. Mit ihm werden bis heute Verträge besiegelt; und im Mittelalter galt er als Friedensgeste. Wer seine rechte Hand ausstreckte, konnte kein Schwert mehr führen.

Direkte Einladung zur Infektion

Noch ärger verhält es sich mit dem Kuss, der nach Auskunft aller Virologen eine direkte Einladung zur Infektion ist. Geächtet also auch diese Form höchster Ehrerweisung: Friedens- und Osterkuss sind virologisch bedenklich. Unser eingeübter Umgang mit Menschen bekommt so den Makel des Unreinen, der mit vermehrtem Händewaschen kompensiert wird.

Wie ja mittlerweile überhaupt von jeder Menschenannäherung mehr oder weniger abgeraten wird. Die Schweinegrippe macht uns asozial; die vielgepriesene Kompetenz, sich im gesellschaftlichen Umfeld einzubringen, ist plötzlich nicht mehr sehr gefragt.

Wir entwickeln uns zu einer antiseptischen Gesellschaft. In Türklinken sehen wir allerorts Einfallstore der Krankheit, und plötzlich erwischen wir uns dabei, dass wir das Wechselgeld an der Supermarktkasse lieber gleich ins offen gereichte Portemonnaie hineinklimpern lassen — in der absurden Hoffnung, dass bis zum nächsten Griff in die Börse alle Viren mausetot sind. Ganz abgesehen davon, dass wir mit dieser Form des Bargeldverkehrs den Kontrollverlust eigener Finanzen in Kauf nehmen.

Hygienewahn

Begleitet wird das von allerlei Hygiene-Illusionen. "Desinfizierendes Handgel", das Bakterien und Keime "beseitigen" soll und jetzt schon beim Discounter zu haben ist, steht auf dem Schreibtisch. Und die Anwendung des vermeintlichen Überlebens-Gels ist keine Nebensache — sie ist ein Ritus.

Erliegen wir dem Hygienewahn? Verabschieden wir uns davon, soziale Wesen zu sein? Befördert das Virus den einst schräg angesehenen Individualismus? Die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs galt als ökologische Tugend der mobilen Gesellschaft. Jetzt erscheinen Bus und Bahn wie virologische Ausgabe-Stationen auf Rädern.

Die Schweinegrippe macht den öffentlichen Raum zur Gefahr. Gleichzeitig ist die Verantwortung jedes Einzelnen abstrakt. Denn mit der medizinischen Voraussage, dass der Ausbruch einer Epidemie nur bei einer Impfquote von 80 Prozent verhindert werden kann, stehen alle als potentielle Virusüberträger in der Mitverantwortung. Wir meiden zwar größere Menschenansammlungen wie auch den näheren Kontakt zu Einzelnen; aber wir sind eingebunden in die große, anonyme Solidargemeinschaft Infektionsgefährdeter.

Im Extremfall totalitäre Maßnahmen

Unsere Verhaltensweisen in Zeiten der virologischen Bedrohung stehen unter Beobachtung. Und damit auch jene Regeln des Freiherrn von Knigge (1752—1796), die ja keineswegs nur als Leitfaden für gute Tischmanieren gedacht waren. Knigges Werk "Über den Umgang mit Menschen" sollte dem Bürgertum zu einer kulturellen Identität verhelfen.

Auch Verhaltensweisen können also etwas mit Freiheit und Emanzipation zu tun haben. Und dazu gehören selbstverständlich alle mehr oder weniger rigorosen Eingriffe ins Gemeinwesen — wie angeordnete Quarantäne, die Absage von St.-Martinszügen, von Karnevals- oder Sportveranstaltungen. Der fortgeschrittene Kampf gegen eine Epidemie droht im Extremfall totalitäre Maßnahmen nach sich zu ziehen. Weil die Freiheit des Einzelnen eine potentielle Gefahr der Anderen bedeuten kann.

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