Prozess in Oldenburg Mordserie in Klinik: Pfleger soll drei Patienten getötet haben

Oldenburg/Delmenhorst · Das Landgericht Oldenburg sitzt seit September über einen früheren Krankenpfleger zu Gericht, der wegen dreifachen Mordes und zweifachen Mordversuchs angeklagt ist. Warum kommt es immer wieder zu Morden in Kliniken?

 Der wegen dreifachen Mordes angeklagte Krankenpfleger Nils H. sitzt vor Beginn des Prozess im Gerichtssaal des Landgerichts in Oldenburg neben seiner Verteidigerin.

Der wegen dreifachen Mordes angeklagte Krankenpfleger Nils H. sitzt vor Beginn des Prozess im Gerichtssaal des Landgerichts in Oldenburg neben seiner Verteidigerin.

Foto: dpa, crj fdt

Der Angeklagte in Oldenburg soll Patienten am Klinikum Delmenhorst eine Überdosis eines Herzmedikaments gespritzt haben. Wegen einer ähnlichen Tat war er bereits 2008 zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er könnte aber noch mehr Patienten auf dem Gewissen haben. Die Ermittler prüfen gerade mehr als 100 Todesfälle.

Als die Mutter von Kathrin Lohmann auf der Intensivstation des Klinikums in Delmenhorst stirbt, hat die junge Frau gleich ein merkwürdiges Gefühl im Bauch. "Es passte alles nicht zusammen", sagt die 36-Jährige heute. Ihrer Mutter ging es schon deutlich besser, sie sollte auf eine normale Station verlegt werden - und dann war sie plötzlich tot.

Lohmann ist vor Trauer wie gelähmt. Ihrem Verdacht geht sie nicht weiter nach. Erst als sie Jahre später in der Zeitung von einem Prozess gegen einen Krankenpfleger liest, der auf genau dieser Station einen Patienten umbringen wollte, wird sie hellhörig. Sie erstattet Anzeige - und bringt damit einen Fall ins Rollen, der sich als eine der größten Mordserien in Deutschland erweisen könnte.

Sonderkommisssion untersucht 174 Todesfälle

Eine Sonderkommission der Polizei und die Staatsanwaltschaft untersuchen zurzeit allein in Delmenhorst den Tod von 174 Patienten, die von 2003 bis 2005 während der Schichten des Krankenpflegers starben. Doch wieso erst jetzt? Und wieso fielen seine Taten erst so spät auf? "Da haben viele die Augen zugemacht", meint Lohmann. Versäumnisse sieht sie aber auch bei der Staatsanwaltschaft.

Unter den Opfern im aktuellen Prozess befindet sich auch Kathrin Lohmanns Mutter. An jedem Verhandlungstag hört sich die 36-Jährige von der Nebenklagebank aus jedes Detail an. Für sie ist es häufig kaum zu ertragen - vor allem, weil den Angeklagten das ganze Geschehen nicht zu berühren scheint. Gleichgültig wirkt er.

Im Gefängnis war das anders: Dort soll er sich vor anderen Häftlingen mit seinen Taten gebrüstet haben. Bei 50 Morden will er aufgehört haben zu zählen. Das berichteten Zeugen vor Gericht. Dass die Oldenburger Staatsanwaltschaft das erst jetzt vollständig aufklären will, kann Lohmann nicht nachvollziehen. "Das hätten sie damals auch schon machen können. Die Beweise lagen vor."

Die Oldenburger Staatsanwaltschaft will die damalige Entscheidung nun intern überprüfen. "Die zuständigen Kollegen haben offensichtlich die Beweislage anders eingeschätzt", sagt Behördensprecherin Frauke Wilken. "Diese war damals aber eine andere. Es gibt schon eine Steigerung der Erkenntnisse." Neben dem Klinikum Delmenhorst wollen die Ermittler auch Todesfälle an den vorherigen Arbeitsstätten des Krankenpflegers in Oldenburg und Wilhelmshaven überprüfen sowie bei den Rettungssanitätern, für die er in seiner Freizeit fuhr.

Ob alle Morde nach so langer Zeit noch nachweisbar sind, ist fraglich. Dass es viele sein können, dafür sprechen die Fakten: Die Todesrate auf der Intensivstation in Delmenhorst verdoppelte sich von 2003 bis 2005 beinahe. Der Verbrauch des Herzmedikaments stieg in der Zeit sprunghaft. Doch wieso fiel das der Klinik nicht auf?

"Niemand traut einem Kollegen zu, dass er Patienten nicht helfen, sondern töten will", sagt der Rechtsanwalt der Klinik, Erich Joester. Die erhöhte Todesrate habe man unter anderem auf die neue Tumorabteilung zurückgeführt.

Mordserien bleiben lange unerkannt

Mordserien an Krankenhäusern wie die im niedersächsischen Delmenhorst bleiben nach Angaben eines Experten lange unerkannt, obwohl es Warnzeichen gibt. Es gebe ein bewusstes Weggucken, sagte der Psychiatrie-Professor Karl H. Beine der Nachrichtenagentur dpa. "Man traut sich nicht, seinen Kollegen zu denunzieren. Vorgesetzte reagieren bei Beschwerden nicht oder nicht adäquat." Außerdem seien Krankenhäuser und Heime ein idealer Tatort, weil der Tod dort Alltag sei. Der Lehrstuhlinhaber an der Privaten Universität Witten/Herdecke hat 36 solcher Mordserien weltweit untersucht. Dabei stellte er viele Parallelen fest.

"Das Krankenhaus ist stets bemüht, den Schaden fürs eigene Haus klein zu halten, indem es die Augen zumacht", sagt Biene weiter. Dazu gehört auch, dass auffällige Kollegen weggelobt werden. Dass etwas mit dem Krankenpfleger nicht stimmt, war auch schon den Kollegen am Klinikum in Oldenburg aufgefallen. Die Konsequenzen: Erst versetzte man ihn, dann forderte man ihn zur Kündigung auf und stellte ein gutes Arbeitszeugnis aus. Nebenklage-Anwältin Gaby Lübben spricht deshalb von einer Mitverantwortung. "Sie haben das Problem abgeschoben."

Mord und Totschlag in deutschen Krankenhäusern. Einige Fälle:

2014: Am Münchner Universitätsklinikum wird Ende Juli eine Hebamme verhaftet, die viermal versucht haben soll, bei Kaiserschnittgeburten zu töten. Sie soll den Frauen blutverdünnende Mittel gegeben haben.

2010: Wegen Mordes, Mordversuchs und Körperverletzung verurteilt das Landgericht Dresden eine Krankenschwester zu lebenslanger Haft. Die 33-Jährige tötete mehrere Menschen mit zu hoch dosiertem Insulin.

2007: Wegen fünffachen Mordes an schwer kranken Patienten wird eine ehemalige Krankenschwester der Berliner Charité zu lebenslanger Haft verurteilt. Die 55-Jährige brachte ihre Opfer mit Medikamenten um.

2006: Der "Todespfleger" von Sonthofen muss lebenslang ins Gefängnis. Nach Überzeugung der Richter hat der Mann 28 meist alte und zum Teil schwer kranke Klinikpatienten zu Tode gespritzt.

1993: Ein Krankenpfleger wird wegen Totschlags in zehn Fällen zu 15 Jahren Haft verurteilt. Nach Überzeugung des Gerichts tötete er in Gütersloh Patienten zwischen 69 und 92 Jahren.

1989: Eine als "Todesengel" von Wuppertal bekanntgewordene Krankenschwester wird wegen mehrfachen Totschlags zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht erkennt Mitleid als Motiv an.

(dpa)
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