EKD-Friedensbeauftragter im Gespräch "Es gibt keine militärische Lösung für Syrien"

Hannover · 2016 war ein Jahr der Kriege, der Terroranschläge und der politischen Radikalisierung. Unsere Redaktion hat einen Kirchenmann gefragt, warum er nicht die Hoffnung verliert - und wie die Welt an Weihnachten ein bisschen friedlicher werden kann.

 Soldaten der syrischen Regierung patrouillieren in Aleppo, während die letzten Zivilisten darauf warten, evakuiert zu werden.

Soldaten der syrischen Regierung patrouillieren in Aleppo, während die letzten Zivilisten darauf warten, evakuiert zu werden.

Foto: afp, eid

Renke Brahms steht an der Spitze der Evangelischen Kirche Bremen. Seit 2008 arbeitet er als Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche Deutschlands. Er will erforschen, welche anderen Wege zum Frieden es gibt. Trotz der Krisen und Katastrophen in der Welt verliert er nicht die Hoffnung. Wofür er an Weihnachten betet und warum man als Christ Pazifist ist, erklärt er im Interview.

Wie sehen Sie auf dieses Jahr?

Brahms Ich betone immer die positiven Entwicklungen. Wir haben seit dem Zweiten Weltkrieg viel erreicht mit der UN und mit Europa als Friedensbündnis. Aber in diesem Jahr gibt es zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder deutlich weniger Frieden auf der Welt. Es ist eine bedrückende Situation. Das hängt natürlich mit der Situation im Nahen und Mittleren Osten und in Europa zusammen.

Was ist Frieden?

Brahms Die evangelische Kirche hat Frieden als Prozess zunehmender Gerechtigkeit und abnehmender Gewalt definiert. Für uns evangelische Christen gibt es den Leitbegriff des "gerechten Friedens". Der Begriff meint deutlich mehr als die Abwesenheit von Krieg. Er meint auch soziale Gerechtigkeit bis hin zum persönlichen Wohlergehen.

Ist Deutschland für Sie ein friedliches Land?

Brahms Ja.

Ohne Einschränkungen?

Brahms Frieden ist niemals selbstverständlich und nie vollständig erreicht. Aber im weltweiten Vergleich leben wir in einem friedlichen Land. Das gilt auch nach dem schrecklichen Anschlag in Berlin. Natürlich können wir in den letzten Monaten in der Debatte um Flüchtlinge feststellen, dass äußerer und innerer Friede eng miteinander verknüpft sind. Der äußere Friede ist in Syrien bedroht, und in der Folge kommen Flüchtlinge zu uns. Bei uns entstehen dann Gegenbewegungen, wie Populismus oder Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte.

Seit dem Anschlag in Berlin hat die Debatte über die verschärfte Sicherheitspolitik wieder an Fahrt aufgenommen. Ist Unsicherheit die Gegnerin des Friedens?

Brahms Es gibt diese Unsicherheit. Ich würde darin aber kein Gegenüber zum Frieden sehen. Wir müssen uns fragen, wie wir den Frieden täglich neu gestalten können. Frieden ist ein Wagnis. Dazu gehört auch, der Angst nicht zu viel Raum zu geben und weiter für eine offene Gesellschaft einzutreten. Darin sehe ich auch unsere Rolle als Kirche.

 Renke Brahms ist seit 2008 Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Renke Brahms ist seit 2008 Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Foto: M.ULRICHS

Wo kann sich die Evangelische Kirche Deutschland für den Frieden in der Welt einsetzen?

Brahms Ich unterscheide mehrere Ebenen. Es gibt die ganz konkrete Friedensarbeit von Organisationen wie "Brot für die Welt" (und) "Aktion Sühnezeichen" oder "Eirene". Es gibt daneben die politische Ebene. Wenn wir uns einmischen mit Stellungnahmen, zum Beispiel im Prozess um das "Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands 2016." Unsere Rolle als Kirche ist es, konstruktive Resonanzräume zu schaffen — auch und gerade im Gespräch mit Politikern. Wir sind nicht die besseren Politiker. Aber wir müssen uns an der Diskussion beteiligen. Eine weitere Ebene ist der Kontakt zu unseren Partnerkirchen im Ausland. Kirche ist per se ein "global player". Wir sind gut vernetzt. Wir haben die Verantwortung, unsere Partnerkirchen zu stärken, damit sie am Frieden in ihren Ländern mitwirken können.

Die Verteidigungsministerin hat jetzt Soldaten in Afghanistian besucht. Sie waren selbst schon dort. Wie schätzen Sie die derzeitige Situation dort ein?

Brahms Der Afghanistan-Einsatz ist im Großen und Ganzen gescheitert. Das ist leider so. Man hat nicht früh genug daran gedacht, dass man einen solchen Konflikt nicht nur militärisch lösen kann. Heute ist das anders. Damals hat man gedacht, man schafft Räume des Friedens durch militärisches Eingreifen und der Rest passiert von selbst. Das hat nicht funktioniert. Die Fortschritte, die zum Beispiel bei der Schulbildung erzielt wurden, sind wieder gefährdet. Das zeigt, dass der gesellschaftliche Fortschritt nicht nachhaltig ist. Und die Hilfsprojekte, die mit den zugesagten finanziellen Mitteln nach dem offiziellen Ende des Einsatzes gestartet werden sollten, geraten ins Stocken.

Was halten Sie davon, dass die Bundesregierung Flüchtlinge aus Afghanistan abschiebt?

Brahms Ich kann nicht erkennen, dass es in Afghanistan sichere Zonen gibt, in die man abschieben könnte. Ich bezweifle auch, dass es auf längere Sicht sichere Zonen geben wird. Das Asylrecht sieht auch nicht vor, dass man ein Land in sichere und nicht sichere Zonen aufteilt. Daher halte ich dieses Vorgehen für problematisch.

Wieso passiert das trotzdem?

Brahms Ich erkenne, dass die innen- und europapolitische Situation enormen Druck erzeugt. Der Druck, Flüchtlinge wieder zurück zu schicken, wächst ganz eindeutig. Das sieht man an der Verschärfung des Asylrechts.

Haben die Vereinten Nationen in Syrien versagt?

Brahms Man kann es als Versagen bezeichnen. Die UN kommen an ihre Grenzen. Aber: Die UN sind nur so stark, wie ihre Mitgliedstaaten sie haben wollen. Die Grenzen der UN zeigen sich im Sicherheitsrat. In den letzten Jahrzehnten gab es da keine Weiterentwicklung. Es spricht nichts dagegen, dass auch Staaten wie etwa Brasilien Mitglied im Sicherheitsrat werden. Es gibt einen Reformstau. Und es ist bedauerlich, dass es nicht gelingt, UN-verantwortete Truppen im Sinne einer polizeilichen Ordnungsmacht in Krisengebiete zu schicken.

Sehen Sie eine Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, in Syrien militärisch einzugreifen?

Brahms Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich finde es furchtbar, dass da Kräfte mit Gewalt und Menschenverachtung ihre politischen Interessen durchsetzen und wir dem nichts entgegensetzen. Aber es gibt keine militärische Lösung. Ein Eingreifen würde die Situation eskalieren lassen und die Bevölkerung noch mehr in Gefahr bringen, statt sie zu schützen. Der Krieg ist mit Fall Ost-Aleppos ja nicht zu Ende. Der Schlüssel liegt bei denen, die dort einen Stellvertreterkrieg führen: Russland, USA, Saudi-Arabien und der Iran. Die Verantwortung der UN sehe ich in der humanitären Hilfe und der Flüchtlingshilfe.

Was kann man tun, um den Konflikt in den Griff zu kriegen?

Brahms Es gibt diplomatische Initiativen, die gescheitert sind. Es gibt aber keine Alternative zu immer wieder neuen Versuchen der Diplomatie. Aktuell müssten die Genfer Gespräche über eine Lösung für Syrien wieder aufgenommen werden — ganz gleich, wer hierfür diplomatisch die Initiative ergreift. Die internationale Gemeinschaft hat eine Verantwortung gegenüber den Menschen. Es ist ein Skandal, dass das Flüchtlingshilfswerk UNHCR vor eineinhalb Jahren kein Geld mehr hatte für die Essensrationen in den Flüchtlingslagern. Das ist ein Armutszeugnis. Das darf jetzt nicht wieder passieren. Die Ratlosigkeit und Verzweiflung darf uns nicht lähmen, über den Konflikt hinauszudenken. Wir sollten jetzt schon daran denken, wie die Gesellschaft nach dem Krieg wieder aufgebaut werden kann. Wir müssen die Zivilgesellschaft unterstützen, wie zum Beispiel die "White Helmets"

Seit 2008 sind Sie Friedensbeauftragter. Was liegt Ihnen am Herzen?

Brahms Ich will erforschen, welche anderen Wege zum Frieden es gibt. Statt Konflikte immer so lange eskalieren zu lassen, bis man vor der Frage eines militärischen Eingriffs steht. Politische Maßnahmen sind häufig zu kurzfristig gedacht, weil Politik in Wahlperioden und Haushalten denkt. Wir habe es mit so komplexen und differenzierten Situationen zu tun, dass einfache Antworten nicht weiterhelfen. Mut zur Differenzierung ist ein Anliegen von mir.

Muss man als Christ nicht konsequenter Pazifist sein?

Brahms Ja. Nur gibt es unterschiedliche Auffassungen des Pazifismus-Begriffes. Wir sind Friedensstifter. Das ist unser Auftrag. Und es herrscht Einigkeit darin, dass gewaltfreie Mittel immer Vorrang haben. Damit haben wir genug zu tun. Wir sollten uns nicht allein auf die Frage konzentrieren, in dieser einen Frage streiten, ob und wann Gewalt legitim eingesetzt werden darf. Ich würde auf die radikalen Pazifisten allerdings ungern verzichten. Diesen Stachel im Fleisch brauchen wir unbedingt.

Die meisten Menschen beten an Weihnachten für den Frieden. Wofür beten Sie?

Brahms Ich singe und ich bete. Mich bewegt jedes Weihnachten wieder der Vers "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden". Dieser Zusammenhang ist mir wichtig. Ich singe und bete aus der Dankbarkeit, dass ich in Frieden leben darf, und bete für Menschen, aus dem Wissen, dass das nicht selbstverständlich ist. Und natürlich bete ich in diesen Tagen in besonderer Weise für die Angehörigen der Opfer und die Verletzten des Berliner Anschlags und für die Menschen in Aleppo.

Franziska Hein stellte die Fragen.

(heif)
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