Bleibende Schäden nach "Stuttgart 21"-Demo Rentner bleibt nach Wasserwerfereinsatz blind

Stuttgart (RPO). Der mit seinen blutüberströmten Augen zum Symbol der Eskalation der Proteste gegen "Stuttgart 21" gewordene Rentner Dietrich Wagner wird lebenslang auf einem Auge blind bleiben. Eine Sprecherin des behandelnden Stuttgarter Katharinenhospitals sagte am Mittwoch auf Anfrage, auf einem Auge werde definitiv keine Sehfähigkeit mehr eintreten.

Stuttgart 21: Blutiger Protest
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Beide Augen waren durch einen Wasserwerfereinsatz der Polizei schwer verletzt worden. Den Angaben zufolge wird der zuvor sehfähige 66-Jährige auch auf dem zweiten Auge schwer sehbehindert bleiben. Wagner werde auch mit diesem Auge nie mehr eine Sehfähigkeit erreichen können, die zum Autofahren oder Lesen reiche.

Vor knapp zwei Wochen war die Polizei massiv gegen die Gegner des Bahnhofsneubaus in Stuttgart vorgegangen und hatte unter anderem Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt. Nach offiziellen Angaben waren die Beamten zuvor von Demonstranten provoziert worden. Den Polizeiangaben zufolge war Wagner von der Polizei immer wieder gewarnt worden und hatte sich selbst in den Strahl des Wasserwerfers gestellt. Im Magazin "Stern" hatte der ehemalige Ingenieur aber gesagt, "nur zwei oder drei Kastanien" geworfen zu haben.

Nach Angaben der Krankenhaussprecherin wurde Wagner am Montag erneut operiert, er werde in einigen Monaten nochmals an beiden Augen operiert werden müssen. Mit dem Auge, bei dem die Sehfähigkeit noch erhalten sei, könne er "grob" Menschen erkennen. Es bestehe die Hoffnung, dass hier zumindest soviel Sehfähigkeit zurückkehre, dass er wieder einigermaßen selbstständig werde und etwa ohne Begleitung gehen könne.

Atomkraftgegner reisen zu Montagsdemo gegen "Stuttgart 21"

Derweil kündigte die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg an, sich den Protesten gegen "Stuttgart 21" auch vor Ort anschließen zu wollen. Die seit Jahren gegen ein Atommüll-Endlager in Gorleben kämpfenden Demonstranten werden demnach mit ihren eigenen Traktoren an der nächsten Montagsdemo in der kommenden Woche teilnehmen.

Die Traktoren sollen per Tieflader nach Stuttgart gebracht werden, ein Bus wird die Aktivisten der Bürgerinitiative demnach nach Stuttgart bringen. "Wir demonstrieren den Schulterschluss, denn Stuttgart 21 und Gorleben stehen symbolisch für das Vorgehen der politischen Klasse, die Profit- und Renommierinteressen gegen die Bürgerinnen und Bürger durchsetzt", erklärte die Bürgerinitiative. Diese bereitet sich derzeit auf den für Anfang November erwarteten nächsten Atommülltransport ins Wendland vor.

Özdemir fordert weiterhin Unterbrechung der Bauarbeiten

Grünen-Chef Cem Özdemir wiederholte unterdessen seine Aufforderung an die Verantwortlichen von "Stuttgart 21", die Bauarbeiten für Gespräche mit den Gegnern zu unterbrechen. "Selbstverständlich haben die Gespräche nur dann einen Sinn, wenn sie ergebnisoffen sind, die Bagger ruhen und keine neuen Aufträge vergeben werden", erklärte Özdemir. Deshalb sei die Forderung nach einem Bau- und Vergabestopp keine Radikalforderung, sondern schlichtweg ein logisches Gebot der Friedenspflicht, die während der Gespräche gelten soll.

"Stuttgart 21" sieht vor, dass der bisherige Stuttgarter Kopfbahnhof als Durchgangsbahnhof in den Untergrund verlegt wird. Die Gegner warnen vor hohen Kosten, negativen ökologischen Folgen und Sicherheitsgefahren durch das Milliardenprojekt. Am Montagabend gingen erneut tausende Menschen auf die Straße, um gegen das Bauvorhaben zu protestieren.

Geißler hält Projekte wie "Stuttgart 21" für kaum noch durchsetzbar

Der Vermittler im Konflikt um das Bahnprojekt "Stuttgart 21", Heiner Geißler, hält ähnliche Projekte in der Zukunft für kaum noch durchsetzbar. "Es wird keine Regierung mehr geben, die ein solches Projekt in dieser Weise durchzieht", sagte Geißler der Wochenzeitung "Die Zeit". "Die Politik wird gezwungen sein, nicht nur die technologischen und ökonomischen Vorteile zu sehen, sondern auch die Auswirkungen auf die Menschen zu berücksichtigen", fügte er hinzu. Unabhängig davon, ob ihm eine Schlichtung gelinge, sehe die Welt "nach 'Stuttgart 21' auf jeden Fall anders aus als vorher", prognostizierte der 80-Jährige.

Dass die Fronten in Stuttgart derart verhärtet sind, verwundert Geißler nicht. "Die Menschen wissen, dass das Wirtschaftssystem versagt hat, und sie übertragen ihr Misstrauen auf die Politik insgesamt", sagte er mit Blick auf das Versagen der Finanzmärkte, dem Ohnmachtsgefühl der Bürger und die schlechte Figur, die Politik unter solchen Umständen mache.

(AFP/dapd)
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