Bilder 10 Dinge aus unserer Kindheit, die wir vermissen
Der Western am Sonntagnachmittag
Immer wieder sonntags kam in der Kindheit verlässlich die Langeweile, vorzugsweise am Nachmittag. Ein in der Erinnerung schmerzlich schöner Zustand, weil die Zeit sich ausdehnte ins schier Unendliche, es aber nichts gab, diese Leere zu füllen. Hausaufgaben waren gemacht, Spiele gespielt, Eltern genervt. Heute gäbe man alles, erneut ins Land der Langeweile eintreten zu dürfen – undenkbar, zumindest ohne Zen-Meister. Was diese Sonntagnachmittags-Langeweile noch spezieller machte, war der Streifen Licht am Horizont: Ab 18.10 Uhr lief "Bonanza", später ersetzt durch "Big Valley" oder "Die Leute von der Shiloh Ranch". Wenn die Cartwrights durch die brennende Landkarte ritten, war man erlöst. Hoss verliebte sich unglücklich, Little Joe geriet in eine Schlägerei und der weise Ben rückte die Dinge gerade. Adam, stets in Schwarz gekleidet, kehrte für mich bald als The Virginian zurück, auf der Shiloh Ranch. Es ging immer um alles, um Liebe, Ehre, Verrat, Freundschaft, Loyalität, Moral, das Leben. Danach war die Welt wieder in Ordnung. Das vermisse ich: Dass das Wochenende mit einem Western endet.
Jörg Isringhaus
Die Traumwelt des Doctor Snuggles
Nie war ein Intellektueller liebevoller und schnuckeliger als Doctor Snuggles. Dieser auf einem Regenschirm durch ein Märchenland hüpfende Comic-Erfinder aus dem Jahr 1979 prägte meine Kindheit. Ich träumte von Fräulein Reinlich, Wilhelma Weinessig und Mathilde Dosenfänger. Ich schaute jede der nur 13 Folgen und lachte über die Abenteuer von Dennis, dem Dachs, und Knabber, der Maus. Und fragte mich, warum es in der echten Welt nicht auch Marmeladenbäume und sprechende Wecker gibt. Und eine "Wo-wo-was"-Maschine, die mir alle Fragen beantwortet.
Alle Dinge haben bei Doctor Snuggles (im britischen Original von dem großen Erzähler Peter Ustinov gesprochen) eine Seele und wollen nur Gutes. Was für eine wunderbare Utopie. "Doctor Snuggles, Freund von allem, was liebt" heißt die passende Botschaft in dem Lied zum Intro, das ich noch heute summen kann. Schade, dass so schnell Schluss war mit der Serie. Vielleicht war sie zu nett für diese Welt. Aber Snuggles ist ja als DVD zeitlos. Mein Sohn kennt alle Folgen. Und schaut sie auch immer wieder. Mit mir.
Michael Bröcker
Mit Lotus und Schlagkraft: Emma Peels Charme
Es ist die Eigenart des britischen Geheimdienstes, dass er Attacken auf Krone und Menschheit mit Gelassenheit und minimalem Personalaufwand pariert. Die Haltung des Secret Service, dass einer die Chose allein regeln könne, konzentrierte sich indes nicht nur auf James Bond. Reizender, listiger, geistreicher war in den 60ern das Agentenduo John Steed/Emma Peel (mit Patrick Macnee/ Diana Rigg). Sie fehlen heutzutage in jeder Sekunde, da man im TV lauter humorlose Krimi-Ödnis erblickt.
Als Paar sind beide ein Mythos. Er: der Gentleman, der formvollendet Höflichkeiten austauscht. Sie: die hübsche, pragmatische, modisch kesse Dame, die Knie zeigt, Lack-Catsuits trägt, Lotus fährt und mit Karate Massenmörder außer Gefecht setzt. Ihre Autonomie neben Steed lässt sich als "M-Appeal" der Emma Peel deuten. Ihr Verhältnis ist exklusiv. Beide reden einander mit "Sie" und – spitz lächelnd – mit Nachnamen an. Daneben lösen sie verspielte Grusel-Fälle, die eine geniale Facette von Science-Fiction in die Tea-at-five-Behaglichkeit der Insulaner bringen. Damals war ich sieben und überzeugter Brite.
Wolfram Goertz
Hippie-Look: Ein Poncho aus Alpaka als Rock
Ende der Siebziger war infolge der Studentenunruhen alle Konvention dahin. Frauen trugen keine BH mehr, dafür lila Latzhosen, Männer lange Haare und nie mehr Schlips. In dieser Zeit kamen Alpaka-Ponchos in Mode, superwarme Kleidungsstücke aus Peru. Ein solch wertvolles handgestricktes Wollteil, fair gehandelt und daher für eine Studentin recht teuer, war über lange Jahre mein Lieblingsstück. Das Verrückte daran: Ich hatte den Poncho zum Rock umgewidmet, er schmiegte sich abwärts von der damals noch sehr schlanken Taille, die Fransen stießen auf Westernstiefel aus Wildleder, die unbedingt dazugehörten. Als der berufliche Werdegang derlei modische Eskapaden nicht mehr zuließ, überließ ich meinen Rock-Poncho den Katzen.
Annette Bosetti
Foto: CC BY Rocco Lucia 2
Gummitwist – der Tanz ums Hosenband
Wir waren nur zwei Schwestern, und der Bruder war nicht interessiert. Also wurde das Gummiband daheim auf der einen Seite um zwei Stuhlbeine geschlungen und dann um die Wette gehopst. Bis die Nachbarn klopften. Gummitwist ist die Kunst, mit den Füßen so in eine Gummischlinge zu springen, dass sich aus dem Verweben der Schlinge hübsche Muster ergeben. Der Hüpfer darf weder aus dem Rhythmus kommen noch versehentlich auf das Band treten. Anspruchsvolle Sache. Aber einfach in der Anschaffung: Das Band wurde aus Omas Nähschrank gemopst. Die Zahl der Schritte wurden laut mitgezählt, hüpfend, japsend, das hat man noch im Ohr. Danach gab’s manchmal Malzbier, der Geschmack zum Gummitwist.
Dorothee Krings
Foto: CC BY Werner SA 3.0
Schreiendes Pink: Wunderkugeln der 80er
Es gab in den 80er Jahren herrliche Süßigkeiten voller Farbstoffe, die damals nur ein E mit Zahlen waren und heute verdammt sind in alle Ewigkeit. So kann die Farbe an den Wunderkugeln auch nicht natürlichen Ursprungs gewesen sein: Sie waren entweder lila, blau, gelb oder schreiend-pink, und beim Lutschen im Mund wechselten sie die Farbe und den Geschmack. Das war ein Fest, wenn wir ständig die Kugeln wieder aus dem Mund holten, um die Farbe zu kontrollieren, und ganz am Ende war in der Mitte ein Kaugummi. Das war aber das Schlechteste an der Wunderkugel.
Martina Stöcker
Foto: CC BY Living in Monrovia SA 2.0
Ein Tonbandgerät von Grundig war sooo modern
Kaum zu fassen, dass das Grundig TK 19 Automatic heutzutage bei Ebay nur knapp zehn Euro kostet. Damals, in den 60er Jahren, musste man für dieses Tonbandgerät sage und schreibe 38 D-Mark hinlegen. Hinzu kamen die Magnetbänder zur Tonaufzeichnung, wahlweise von Agfa in Blau-Orange oder von BASF in Rot-Schwarz. Als Schüler konnte ich mir so etwas nicht leisten, doch mein Vater hatte den Apparat zum Auftakt des Wirtschaftswunders als Teil einer Hifi-Anlage gekauft. Und da er dafür eigentlich keine Verwendung hatte, bekam ich den Zugriff. Auf diesem Tonbandgerät – einem Nachfolgemodell des oben abgebildeten – entstand eine Reihe von Hörspielen, als deren Sprecher Nachbarschaftskinder ein Engagement erhielten. Schwere Ketten gingen geräuschvoll auf und nieder, als Fred von Hoerschelmanns Stück "Das Schiff Esperanza" über die Hörbühne ging. Später nahmen die Magnetbänder auch jene Töne auf, die mein Bruder und ich an Weihnachten feierlich, aber nicht immer ganz treffsicher auf Klavier und Geige erzeugten, bevor wir auspacken durften. Auch Texte waren da zu hören: "Allüberall auf den Tannenspitzen / sah ich goldene Lichtlein flitzen." Es war geschehen, Theodor Storm für immer entstellt, unlöschbar zwar nicht, doch die Aufnahme blieb bestehen und erzeugte auch dann noch Heiterkeit, als die Töne längst auf Kassette überspielt waren. Moderne Zeiten. Der Clou des TK 19 war übrigens die sogenannte Übersprechtaste: ein schwergängiger roter Stift, den man erst zur Seite drehen und dann nach unten pressen musste. In dieser Stellung hatte man so lange zu verharren, bis man seinen Senf zu der im Hintergrund laufenden Musik gegeben hatte. Ach, war das schön.
Bertram Müller
Foto: CC BY Hannes Grobe SA 2.5
Als die Bundesliga noch an einem Spieltag stattfand
Es gab mal eine Zeit, da hielt die Welt den Atem an. Das war die Welt des Fußballs, die jeden Samstag um Punkt 15.30 Uhr erschaffen wurde. Mal abgesehen von wenigen lästigen Freitagsspielen kickten alle am Samstagnachmittag. Bis in die 80er Jahre hinein hatte das Wort "Spieltag" im Singular noch seine Bedeutung und Berechtigung. Das Besondere an der Zeitgleichheit der Ereignisse war, dass man ein Gefühl für den Kosmos des Fußballs entwickeln konnte. Wer etwa an der Wedau von den Stehrängen die Zebras anfeuerte, glaubte, die Anspannung auch in den Nachbararenen von Gelsenkirchen und Essen, Oberhausen und Bochum spüren zu können. Die Welt stand still an diesen Samstagnachmittagen. Und wer nicht den Weg ins Stadion einschlug, saß daheim vor dem Radio und wurde fasziniert vom radiotechnischen Wunderwerk, das "Konferenzschaltung" hieß. Dies vermisse ich bis heute, da von Freitag bis Montag irgendwo irgendwer spielt. Der einheitliche Spieltag war auch dramaturgisch reizvoll. Denn an jedem Samstag stand um 17.15 Uhr fest, wer für eine ganze Woche neuer Spitzenreiter war.
Lothar Schröder
Foto: CC BY Bundesarchiv, Bild 183-N0716-0315 / Mittelstädt, Rainer SA 3.0 DE
Heimkino für die ganze Familie: Super-8-Filme
Super-8-Filme waren Kult in unserer Familie. Eine Filmkassette von Kodak kostete 15 Mark und reichte nur für ein paar Minuten, da musste jeder Dreh gut überlegt sein. Der Bruder lernt laufen, die Schwester flötet, die Sonne geht per Zeitraffer über der Ostsee unter – alles ohne Ton. Auf eine Pappe schrieben wir Zwischentitel: "Höning-Film zeigt". Zur Entwicklung mussten die Filme weggeschickt werden, Warten erhöhte den Reiz. Besonderen Reiz bot auch das Angucken: Die Leinwand wurde aufgebaut, der Projektor knatterte. Am Ende verfing sich der Film, ein Loch brannte sich ein. Was tun Menschen heute mit Handy-Videos, die sie überall filmen? Unsere Super-8-Filme von 1972 laufen weiter zu Weihnachten im Heimkino.
Antje Höning
Melancholische Momente mit der Löwenmähne
Manchmal ertappe ich mich noch heute dabei, wie ich auf den LP-Hüllen der 80er-Jahre die Löwenmähnen der Sängerinnen bewundere. Jene von Kim Wilde zum Beispiel, Bonnie Tylers oder Gloria Estefans Haarpracht. Diesen Mut zum Großeinsatz von Föhn und Dauerwelle wünsche ich mir in solchen melancholischen Momenten ebenso zurück wie oftmals die dazu passende Musik. Gleiches gilt für die Schauspielerinnen jener Jahre und die entsprechenden Filme und Fernsehserien: Farrah Fawcett-Majors, Olivia Newton-John oder Heather Locklear aus dem "Denver"-Clan. Die Rückkehr des männlichen Frisur-Pendants wie bei der Band Europe kann mir dagegen gestohlen bleiben – dass es längst der "Final Countdown“ ereilte, ist schon okay.
Bernd Jolitz