Prozess wegen Bestechlichkeit in Lüneburg Richter bot Jura-Examen gegen Bargeld an

Lüneburg · Wegen des Skandals um gekaufte Jura-Examen steht ein Richter vor dem Landgericht Lüneburg in Niedersachsen. Dem ehemaligen Referatsleiter im Landesjustizprüfungsamt werden Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall, Verletzung des Dienstgeheimnisses und versuchte Nötigung vorgeworfen.

 Der Angeklagte Jörg L. (Mitte) steht neben seinen Verteidigern Johannes Altenburg (links) und Oliver Sahan im Landgericht Lüneburg hinter der Anklagebank.

Der Angeklagte Jörg L. (Mitte) steht neben seinen Verteidigern Johannes Altenburg (links) und Oliver Sahan im Landgericht Lüneburg hinter der Anklagebank.

Foto: dpa, phs

Der Angeklagte wirkt vollkommen entspannt, fast gleichgültig. Ein groß gewachsener Mann, Vollbart, grauer Anzug, blaues Hemd, keine Krawatte. Der 48-Jährige ist selber Richter. Als Referatsleiter des Landesjustizprüfungsamtes soll er Referendaren Lösungen für das Zweite Staatsexamen angeboten haben, das über die berufliche Zukunft von Juristen entscheidet. Er soll von sich aus Wiederholungskandidaten angesprochen haben, die nicht noch einmal durchfallen durften, fünfstellige Summen soll er als Preis genannt haben.

Examen gegen Bares, Flucht, Verhaftung in Mailand, eine geladene Waffe dabei - das ist nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft keine Räuberpistole, sondern ein Fall von schwerer Bestechlichkeit und mehr. Einmal sei er von zunächst 50.000 auf 20.000 heruntergegangen, heißt es laut Anklage am Mittwoch, die Staatsanwaltschaft stützt sich dabei auf Aussagen von Referendaren und SMS-Nachrichten mit Hinweisen auf Lösungen. Die für Korruption zuständige Anklagebehörde in Verden wirft dem langjährigen Amtsrichter auch Verletzung des Dienstgeheimnisses und versuchte Nötigung vor. "So ein Fall ist mir bundesweit nicht bekannt", sagt Sprecher Lutz Gaebel. Mit einer der Referendarinnen soll der Mann eine intime Beziehung gehabt haben, heißt es bei Verlesung der Anklage.

Das Interesse an dem Prozess gegen den Richter ist immens: Das Landgericht hat sich auf die vielen Journalisten eingestellt und extra eine dreiseitige Medienverfügung erlassen, die alles regelt, was Presseleute dürfen und was nicht. Es steht ein Mammutverfahren bevor, bis Ende Juni 2015 hat die 3. große Strafkammer mehr als 50 Verhandlungstage angesetzt.

Verteidigung stellt Befangenheitsantrag

Doch das Verfahren beginnt mit einem Antrag, der es platzen lassen könnte: Die Verteidigung stellt einen Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin Sabine Philipp. Sie habe selbst zehn Jahre nebenamtlich im Landesjustizprüfungsamt gearbeitet und dabei auch an der Prüfung einer der betroffenen Nachwuchsjuristinnen teilgenommen. Sollte die Vorsitzende tatsächlich für befangen erklärt werden, müsste das Verfahren neu starten. "Das Gericht wird voraussichtlich bis Donnerstag über den Antrag entscheiden", sagt Sprecher König. Die Vorsitzende habe bereits vor dem Prozess die Beteiligten über ihre Tätigkeit informiert.

Sonderprüfer des Justizministeriums haben in den vergangenen Monaten die Abschlüsse von 2000 Juristen untersucht, Dienstag waren sie fertig. In 15 Fällen seien Verfahren eingeleitet worden, die die Aberkennung zum Ziel haben, sagt Ministeriumssprecher Alexander Wiemerslage. Rund 100 junge Juristen sind von der Sonderprüfung betroffen und arbeiten heute als Richter oder Staatsanwälte. Sollte einem Richter das Staatsexamen aberkannt werden, könnte das eine Lawine von neu aufzurollenden Prozessen auslösen, meinen Juristen. "Unter den 15 Verdachtsfällen sind keine Personen, die in der niedersächsischen Justiz beschäftigt sind", sagt Wiemerslage am Nachmittag. Er gebraucht den Präsens und lässt so offen, ob möglicherweise Betroffene bereits von sich aus gegangen sind.

Der Angeklagte selbst bleibt am Mittwoch stumm. Auf Anraten der Verteidigung wolle er keine Angaben zur Sache machen, erklärt einer seiner beiden Anwälte - später, vielleicht. Wegen des Anklagepunktes Bestechlichkeit im schweren Fall drohen dem Richter bis zu zehn Jahre Haft, gegen die Referendare wird gesondert ermittelt. "Die Kenntnis der entsprechenden Paragrafen kann man von den Referendaren erwarten", sagt Gaebel - von einem Richter sowieso.

(dpa)
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