Oppositionsparteien fordern Untersuchung Scharfe Kritik an Polizeieinsatz in Stuttgart

Stuttgart (RPO). Die Auseinandersetzungen um das Großbauprojekt "Stuttgart 21", bei dem viele Menschen durch den Einsatz von Wasserwerfern und Trängengas durch die Polizei am Donnerstag verletzt worden sind, hat die unterschiedlichsten Reaktionen in Politik und Gesellschaft hervorgerufen. Die Oppositionsparteien verurteilen das Vorgehen der Sicherheitskräfte.

"S21": Eskalation im Schlosspark
12 Bilder

"S21": Eskalation im Schlosspark

12 Bilder

SPD, Grüne und Linke zeigen sich besorgt wegen der gewaltsamen Auseinandersetzungen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warnte in Berlin vor einer Eskalation der Gewalt. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) trage die Verantwortung, "Staat und Bürger nicht weiter gegeneinander aufzustacheln". Der Generalsekretär der SPD Baden-Württemberg, Peter Friedrich, sprach von einer "vollkommen unnötigen Eskalation." Es seien "beschämende Bilder, die in Stuttgart durch die Eskalation entstehen".

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, greift Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen Zuspitzung in dem Konflikt an. Merkel bringe eine "unnötige Schärfe in politische Auseinandersetzungen", "indem die hochgerüstete Polizei vorgeschickt wird für etwas, was Politik nicht lösen will". Grünen-Bundeschef Cem Özdemir sprach von einer "brutalen Bulldozer-Politik", durch die die Auseinandersetzung nur noch schärfer und schwieriger werde.

Der Bundestag in Berlin wird sich schon am Freitag mit der Polizeiaktion gegen die Demonstranten in Stuttgart befassen. Der Innenausschuss des Parlaments kommt am Morgen (08 Uhr) zu einer Sondersitzung auf Antrag der Linken zusammen. Grünen-Sprecher Michael Schroeren erklärte darüber hinaus, seine Partei habe eine Vereinbarte Debatte im Plenum beantragt. Sie solle auch noch am Freitag stattfinden. Mit diesem Antrag muss sich zuvor der Ältestenrat befassen. Offen ist, ob dabei die nötige Mehrheit zustande kommt.

OB Schuster: "Trauriger Tag für Stuttgart"

Der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) hat indirekt eingeräumt, dass bei dem Polizeieinsatz gegen Demonstranten im Schlossgarten Kinder verletzt wurden. "Es war ein trauriger Tag für Stuttgart. Die Vorkommnisse machen sehr betroffen. Ich bedauere sehr, dass Menschen verletzt wurden und vor allem dass Kinder und Jugendliche zu Schaden gekommen sind", erklärte er am Abend.

Es werde derzeit geprüft, wie es dazu kommen konnte. "Klar ist bislang: Es gab eine Genehmigung für die Demonstration, die am 24. September von einer Vertreterin der 'Jugendoffensive gegen Stuttgart 21' angemeldet wurde." Diese Organisation bezeichne sich als "revolutionär sozialistisch". Schuster rief "alle - ob Sie für oder gegen Stuttgart 21 sind -" zur Deeskalation auf.

Rücktrittsforderungen gegen Rech

Der Vize-Fraktionschef der Linken im Bundestag, Ulrich Maurer, forderte den Rücktritt von Innenminister Rech: "Wer versucht, angemeldete Schülerdemos mit Schlagstöcken, Reizgas und Wasserwerfern aufzulösen, hat mit der Demokratie gebrochen und muss als Innenminister seinen Hut nehmen." Rech habe einen Einsatz zu verantworten, "wie man ihn sonst nur aus Diktaturen kennt".

Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) hat dagegen den Demonstranten die Schuld für die Eskalation der Gewalt zugewiesen. Die Polizei sei aus einer angemeldeten Schülerdemonstration heraus mit Pfefferspray und Pflastersteinen angegriffen worden, fasste Ministeriumssprecherin Alice Loyson-Siemereng am Abend die Erkenntnisse Rechs zusammen, der zuvor die Einsatzkräfte vor Ort besucht hatte.

Rech habe sich "entsetzt über die Aggression aus einer Schülerdemonstration heraus" gezeigt, sagte sie. Die Teilnehmer hätten sofort die "Einsatzmaßnahme gestört" und beispielsweise Bänke aus einem Biergarten zu Barrikaden umfunktioniert sowie Reifen von Polizei-Lastwagen zerstochen. Als die Beamten mit Pfefferspray besprüht und mit Pflastersteinen beworfen worden seien, habe die Polizei "ihre Deeskalationsstrategie nicht weiterführen" können und zunächst "einfache körperliche Gewalt" angewendet.

Später seien die Einsatzkräfte ihrerseits mit Pfefferspray und Wasserwerfern gegen die Protestierer vorgegangen, schließlich hätten sie die Demonstranten weggetragen. "Die Aggression ging von den Demonstranten aus und nicht von den Einsatzkräften", zitierte die Sprecherin den Minister. Meldungen, dass eine Frau bei dem Einsatz zu Tode gekommen sei, nannte sie "eindeutig falsch". Zu weiteren Meldungen, nach denen ein Demonstrant sein Augenlicht verloren habe, konnte sie nichts sagen.

"Erschüttert" zeigten sich auch der evangelische Landesbischof Frank Otfried July und der katholische Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, über die Eskalation. Sie riefen Gegner und Befürworter dazu auf, erneut das gemeinsame Gespräch zu suchen und mahnten zum Gewaltverzicht.

DGB-Landeschef Nikolaus Landgraf kritisierte die Landesregierung scharf: "Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen." Er forderte den Ministerpräsidenten auf,zur Deeskalation beizutragen und in einen direkten Dialog mit den Projektgegnern zu treten.

Das "Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21" zeigte sich "zutiefst empört über den heutigen wahnsinnigen Gewaltexzess der Polizei gegenüber friedlichen Stuttgart 21-Demonstranten". Der Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas, Pfefferspray sei durch nichts zu rechtfertigen. Die Konsequenz von Hunderten von Verletzten, insbesondere Schülern, sei ein Skandal, den Mappus zu verantworten habe", sagt der BUND-Regionalvorsitzende Axel Wieland.

CDU verteidigt Polizei

Baden-Württembergs CDU-Generalsekretär Thomas Strobl stellte sich "glasklar" hinter das Vorgehen der Polizei, die mit ihrem Einsatz die Umsetzung einer rechtsstaatlich einwandfrei legitimierten Baumaßnahme ermögliche: "Der Rechtsstaat darf nicht vor der Agitation linksextremistischer Protest-Anführer zurückweichen."

Auch die Projektpartner rechtfertigten das Vorgehen. Es sei notwendig, die Fläche im Schlossgarten freizuräumen, um das Grundwassermanagement für "Stuttgart 21" vorbereiten zu können. Dafür soll unter anderem eine 1000 Quadratmeter große Halle entstehen. 25 Bäume sollen im Schlossgarten dafür ab der Nacht zum Freitag fallen. Zahlreiche Demonstranten richteten sich auf eine lange Nacht ein, indem sie sich mit Wärmedecken unter die Bäume setzten oder teils an die Bäume ketteten.

Mit Agenturmaterial

(apd/felt)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort