Essay Schluss mit der Ironie!

Ironie war lange ein Stilmittel. Heute ist sie der neue Standardmodus der Kommunikation. Damit entschärfen wir sie als Waffe, verharren in der Pubertät, geben schlechte Vorbilder ab – und machen die falschen Leute berühmt und reich.

 Mit diesem Bild warb Zack Danger Brown für seine Kartoffelsalat-Aktion auf Kickstarter.com. Er bekam 50.000 Dollar. Weil das lustig war.

Mit diesem Bild warb Zack Danger Brown für seine Kartoffelsalat-Aktion auf Kickstarter.com. Er bekam 50.000 Dollar. Weil das lustig war.

Foto: Screenshot: Kickstarter.com

Ironie war lange ein Stilmittel. Heute ist sie der neue Standardmodus der Kommunikation. Damit entschärfen wir sie als Waffe, verharren in der Pubertät, geben schlechte Vorbilder ab — und machen die falschen Leute berühmt und reich.

Ein Monster ist in der Stadt, nein in der ganzen westlichen Welt. Es zielt auf Lacher ab und nimmt keine Rücksicht auf Verluste.

In Columbus, Ohio will ein junger Mann namens Zack Brown zehn Dollar bei der Crowdfunding-Plattform Kickstarter einsammeln, um einen Kartoffelsalat zu machen. Er bekommt rund 50.000, mehr als 100 Spender geben sogar mehr als 50 Dollar — während viele sinnvolle Projekte zum Nutzen von Umwelt und Gesellschaft aus Mangel an Unterstützern scheitern.

Im Südosten Londons wird ein Stadtteil gentrifiziert, die alten, armen Bewohner durch steigende Mieten vertrieben. Anstelle des Arbeitsamts ist eine Bar für Besserverdienende entstanden. Sie trägt den Namen "Job Centre".

Im Zentrum der deutschen Politik antwortet Bundestagspräsident Norbert Lammert auf Gregor Gysis Feststellung, dass die NSA noch immer spioniert: "Im Unterschied zu Ihnen trage ich das mit Fassung."

Nur drei Beispiele, die belegen: Die Ironie, totgesagt nach dem 11. September 2001, ist auf einem Allzeit-Hoch.

Sparsam eingesetzte Ironie ist eine mächtige Waffe

Das klingt zunächst nach einem guten Zeichen, weil Ironie Intelligenz voraussetzt, einen gewissen Grad an Aufgeklärtheit. Diktatoren, Dogmatiker, Fundamentalisten aller Art kennen keine Ironie, Notleidende haben keinen Nerv dazu, Kinder kein Bedürfnis.

Grundsätzlich ist Ironie bereichernd, ein nicht-aggressives Mittel der Kritik und Konfrontation, sie hat ihre Zeit und ihren Ort. Und Fehlentwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft lassen sich mit Ironie gut entlarven. Die 2004 in Leipzig gegründete "Front Deutscher Äpfel" etwa karikiert neue und alte rechtsextreme Bewegungen, die "Partei" des Satirikers Martin Sonneborn zwingt zur Auseinandersetzung mit Parteipolitik. Die Satire-Website "Der Postillon" karikiert Auswüchse von Wirtschaft, Politik und Journalismus mit ihren eigenen Mitteln.

Doch fatalerweise haben wir Ironie als Allzweck-Reaktion auf unser beschleunigtes Leben entdeckt, das immer mehr Entscheidungen erzwingt, immer mehr Kommunikation. Was schon schlimm genug wäre, würde nicht die Unsitte um sich greifen, jedes dieser Worte und jede dieser Taten auf die Goldwaage zu legen. Jüngstes Beispiel: Der harmlose "Gaucho-Tanz" der deutschen Nationalelf zur Feier der Weltmeisterschaft, von einigen Beobachtern hysterisch hochstilisiert zum Zeichen latenten Faschismus.

Verunsichert flüchten wir uns in die Ironie — und merken nicht, dass sie in jeden Bereich unseres Lebens wuchert, zum Standardmodus der Kommunikation wird. Dabei verliert sie ihre Tauglichkeit als Waffe, ihr Effekt schlägt um in totale Inhaltsleere. "Was von der Jugend der Nuller-Jahre hängen bleibt, ist Flatrate-Saufen, neonfarbig anziehen, Hauptsache Party", befürchtet Rapper Casper. Was von gleich mehreren jüngeren Generationen aus den Zehner-Jahren hängenzubleiben droht, ist bestenfalls der Unwille, schlechtestenfalls die Unfähigkeit, unironisch zu sprechen, zu handeln, zu sein.

Die Omnipräsenz der Ironie erodiert unser Wertesystem

Ironie ist keine Haltung — sie ist die Verneinung jeder Haltung, das Maximum des Opportunismus. Wer auf Ironie verzichtet, muss sich festlegen und Risiken eingehen. Risiken, die es wert sind, sie einzugehen. Wirklich Großes verträgt sich nicht mit Ironie, die Liebe ist das ultimative Beispiel. Der 24/7-Ironiker aber scheut das Risiko der Zurückweisung, Kritik, Verantwortung. Er kann alles gleichzeitig mögen, anprangern und alles dazwischen, je nachdem, was gerade am bequemsten erscheint.

Ironie schützt nicht gegen Shitstorms (nichts vermag das), aber sie befreit von Rechenschaft. Was immer ich denke, sage, sogar tue — war doch nicht so gemeint! Zwinker-Smiley. Jeder möglichen Kritik ist damit schon im Vorhinein der Wind aus den Segeln genommen. Das ist sehr unerwachsen, aber eben auch sehr verlockend.

Fast nichts mehr kann man heute noch als ernst gemeint voraussetzen. Die Ironie durchdringt alles. Sie ist nicht zu bremsen, kennt keine Grenzen. In Videospielen wurden früher Flugzeugcockpits simuliert, heute und morgen mimt man Toilettengänger, Vorhänge-Zuzieher, Raucher, Ziegen, Socken, Felsbrocken.

Der Trend zum Dadaismus bei Computerspielen ist nur ein Symptom einer ernsten Entwicklung. Die Omnipräsenz der Ironie erodiert langsam, aber sicher unser Wertesystem: Sinnlosigkeit schlägt Sinnhaftigkeit. "Wird es uns zufriedenstellen, der Nachwelt ein Archiv mit Videoclips von Menschen zu hinterlassen, die dumme Dinge tun?", fragt die Kulturwissenschaftlerin Christy Wampole. "Ist ein ironisches Erbe überhaupt ein Erbe?"

Die Helden der Generation Ironisch heißen Katzenberger und Kollegah

Daniela Katzenberger, "Spielerfrauen" und die Insassen des RTL-"Dschungelcamps": Hirnlose sind die neuen Helden der Generation Ironisch. Der Ruf "Stop making stupid people famous!", klang nie verzweifelter als heute.

Hässliche, billige Klamotten mit Leo-Print und Katzenmotiven sind in. Wer oder was früher verachtet oder schlicht ignoriert wurde, wird heute oft gefeiert. Ironisch natürlich, höhö, aber gewissermaßen macht das überhaupt keinen Unterschied: Die Quoten der trashigen TV-Sendungen und der Profit der Billigst-Klamottenkette Primark steigen ganz real.

Das gilt auch für die Plattenverkäufe von Kollegah. Unter diesem Künstlernamen rappt Felix Antoine Blume unbestreitbar kreativ, atemberaubend schnell und beeindruckend eloquent — über Schießereien, Drogenhandel, Zuhälterei. Überdrehter, krasser als Sido, Bushido und Co.

Bei Kollegah geht es nicht um Linien, sondern um ganze Gebirge von Kokain. Nicht um Pistolen im Hosenbund, sondern um Sturmgewehre im Villen-Wandschrank. Alle und alles um ihn herum wird begattet oder zerstört, was Kollegah mit derselben Vokabel bezeichnet und wobei die Unterschiede ohnehin fließend sind.

Doch all das sind nur sprachliche Codes, Metaphern, mit etwa so viel Bedeutung "wie das 'Yeah' und 'Shalala' eines Pop-Songs", wiegelt die Süddeutsche Zeitung ab. "Wer das nicht als Selbstironie erkennt, hält Heino wirklich für einen Rocker."

Gangsta-Rapper entdecken die Selbstironie, ihre Fans nicht immer

Alles Realsatire, eine Karikatur hedonistischer Allmachtsfantasien, beteuert auch Kollegah selbst. So halb zumindest. Allzu große Distanzierung könnte ihm ein Teil seiner Fans übelnehmen, die nicht wie er selbst Abitur gemacht haben und Jura studieren. Die die Selbstironie nicht erkennen, vielleicht überhaupt nicht erkennen können, weil sie im Übermaß damit sozialisiert wurden.

"Eine gewisse Verantwortung" habe er natürlich schon, räumt Kollegah ein. "Aber ich kenne meine Fans und weiß, wie die das aufnehmen. Keiner von ihnen rennt nach dem Konzert los und knallt irgendjemanden ab oder schmuggelt Koks über die Grenze."

Das mag so sein, muss aber nicht. Als Beispiel mag das R(h)einkultur-Festival dienen. 2011 hatte es zum 29. Mal in den Bonner Rheinauen stattgefunden, kostenlos, wie immer. Mehr als 150.000 Menschen waren gekommen, um 31 Bands zu sehen, Liedermacher, Rocker, Reggae-Künstler, auch Rapper alter Art. Die Stimmung war sensationell. Bis ein paar Dutzend Jugendliche randalierten, Fans von Kollegahs Gangstarap-Kollege Haftbefehl, zu dessen "reflektierter Selbstinszenierung" die taz später befand: "Haftbefehl als Rapper wahrt immer genügend Distanz zu Haftbefehl, der Kunstfigur."

Vielen seiner Fans gelang diese Transferleistung nicht. Sie spielten den Inhalt ihrer Lieblingslieder nach, zunächst wie ausgelassene Jungs auf dem Spielplatz, schubsend, lachend, posend. Dann zunehmend aggressiver, berauscht von Alkohol und Testosteron. Stürmten die Bühne, putschten einander auf. Plötzlich brannten Bengalos, krachten meterhohe Boxentürme ins unbeteiligte Publikum. Es waren beängstigende Szenen.

Von Ironie bis Nihilsmus ist es nur ein kleiner Schritt

Haftbefehl fand dazu in einer weitschweifigen Video-Erklärung nur die pflichtschuldige, onkelhafte Mahnung: "An meine Fans: So was soll bitte nicht mehr vorkommen. Das ist keine Lösung." Konstruktiv wurde er aber auch noch: "An den Veranstalter: Vielleicht kannst du mich ja nächstes Jahr als Haupt-Act nehmen! Haste ja gesehen, die Leute reißen sonst die Boxen runter..." Grins, grins, lach, lach.

Doch eine nächste Auflage des R(h)einkultur-Festivals hat es bis heute nicht gegeben. Wegen eines Moments, in dem die Selbstironie nicht von allen als solche erkannt wurde. Ups! ;)

Dasselbe Schicksal droht dem Crowdfunding-Prinzip, wenn es zu viele potenzielle Spender mit dem Kartoffelsalat-Irrsinn verbinden. Und überhaupt allem, irgendwie. Alles easy, alles egal — überzogene Ironie und Nihilismus gehen fließend ineinander über.

Kollegah steuert auf seine Weise gegen. "Aus großem Bizeps erwächst große Verantwortung", lautet einer seiner Lieblingssprüche. Na denn.

(tojo)
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